Zusammenfassung
Der Schweizer Presserat heisst die Beschwerde einer Privatperson gegen die Zeitung «Fridolin» in den wesentlichen Punkten gut. In einem Artikel vom Oktober 2016 behauptete der Redaktor, dass Asylbewerber bei Grossverteilern und Detailhändlern im Kanton Glarus «rucksackweise» Waren stehlen und dabei sehr dreist vorgehen. Teilweise verköstigten sie sich im Laden ohne zu bezahlen oder zögen Kleider gleich an. Als Quellen gab der Journalist Stammtische und Gespräche auf der Strasse an. Den Detailhändlern unterstellte er zudem eine Maulkorbpolitik, Mitarbeitende dürften sich nicht äussern. Die vom Autor angefragten Pressestellen konnten die Diebstähle jedoch nicht bestätigen, ebenso wenig der Mediensprecher der Kantonspolizei Glarus.
Im Interesse des Publikums ist die Überprüfung und Bezeichnung einer Quelle unerlässlich. Gegenüber dem Presserat berief sich der Autor zwar auf den Quellenschutz, aus seinem Artikel ging jedoch nicht hervor, dass er sich überhaupt auf ihm bekannte und von ihm überprüfte Quellen stützt. Im Gegenteil widerlegten alle im Artikel zitierten Aussagen den angeblichen Sachverhalt. Auch die leicht zugängliche, offizielle Kriminalitätsstatistik stützt die Behauptungen nicht. Für das medienethische Gremium ist dies ein klarer Verstoss gegen die Wahrheitspflicht, den ersten Grundsatz des Journalistenkodex. Die unhinterfragten, tatsachenwidrigen und pauschalen Behauptungen über Asylbewerber verletzen zudem gemäss Presserat das Diskriminierungsverbot.
Résumé
Le Conseil suisse de la presse accepte dans ses points essentiels la plainte d’un particulier contre le journal «Fridolin». Le rédacteur d’un article paru en octobre 2016 y affirmait que les requérants d’asile volaient des marchandises «par sacs entiers» chez les grands distributeurs et les petits détaillants, et qu’ils le faisaient avec énormément de culot. Toujours selon lui, certains se sustentaient dans le magasin sans payer, quand ils n’y enfilaient pas directement des vêtements. Le journaliste citait comme source des tables d’habitués de bistrots et des discussions dans la rue. Il présumait que les détaillants pratiquaient une politique de la muselière, interdisant à leurs employés de s’exprimer. Les services de presse contactés par l’auteur n’ont toutefois pu confirmer les vols, pas plus que le porte-parole de la police cantonale de Glaris.
Il est indispensable, dans l’intérêt du public, de vérifier et de nommer ses sources. L’auteur de l’article a invoqué la protection de ses sources vis-à-vis du Conseil de la presse, mais son texte n’indique pas qu’il se fondait sur des sources connues et vérifiées par lui. Toutes les déclarations citées dans l’article réfutaient au contraire les faits présumés. La statistique officielle de la criminalité, facile d’accès, ne corrobore pas non plus ses allégations. Pour l’organe en charge de l’éthique des médias, il s’agit là clairement d’une violation du devoir de rechercher la vérité, le premier principe du code de déontologie des journalistes. Le Conseil de la presse estime en outre que les affirmations irréfléchies, contraires aux faits et indifférenciées sur les requérants d’asile violent l’interdiction de la discrimination.
Riassunto
Il Consiglio svizzero della stampa ha ritenuto fondati i punti principali del reclamo di un privato contro il giornale locale glaronese «Fridolin». Un articolo dell’ottobre 2016 faceva carico ai richiedenti asilo in genere di comportarsi in modo insolente e di rubare merci nei grandi magazzini e nei negozi del cantone. Alcuni, secondo l’autore, consumano cibo e bevande senza pagare o si mettono addosso i vestiti esposti. Come fonte della notizia il giornalista citava voci del pubblico raccolte in osteria o in strada. Quanto ai negozianti, secondo lui tacevano, anzi: vietavano al loro personale di parlarne. Dai servizi stampa della grande distribuzione non c’era stata comunque conferma dei furti, e neppure dalla polizia cantonale.
Il Consiglio della stampa fa notare che è nell’interesse del lettore che le notizie siano verificate da una fonte che accetti di essere citata. Il giornalista dice di essere tenuto al segreto delle sue fonti, ma dall’articolo non risulta che egli si sia dato la pena di verificarle. Anzi, quelle poche che citava si sono affrettate a smentire, e le statistiche penali non danno il fenomeno per assodato. Si tratta dunque di una violazione del dovere di ricerca della verità, il primo comandamento del codice deontologico dei giornalisti. Il Consiglio deplora anche la discriminazione inerente alla colpevolizzazione di un’intera categoria di persone.
I. Sachverhalt
A. Am 27. Oktober 2016 veröffentlichte die Glarner Wochenzeitung «Fridolin» unter dem Titel «Dazu darf ich nichts sagen» und der Überschrift «Kriminalität» einen Artikel, der sich mit dem Thema Ladendiebstahl durch Asylbewerber befasst. Der Artikel ist mit einem Foto des Einkaufszentrums Wiggispark in Netstal bebildert, das die Logos verschiedener Grossverteiler und Detailhändler zeigt. Eingangs heisst es, dass «an Stammtischen und in Gesprächen auf der Strasse» von Asylbewerbern gesprochen werde, die «angeblich» Rucksäcke voll Waren stehlen, sich in den Läden verköstigen ohne zu bezahlen oder Kleider gleich anziehen und auf diese Weise Ware entwenden. Für Verkaufspersonal, Detektive und Polizei sei es frustrierend, dass fehlbare Personen umgehend wieder frei kämen und erneut Straftaten begingen. «Direkt betroffene Personen» und Mitarbeitende der «bestohlenen Detailhändler» dürften sich gegenüber der Presse dazu nicht äussern, weil das Thema «heikel» sei. Namentlich erwähnt werden Migros und Coop sowie C&A in Näfels, deren Filialleiter sich «gänzlich in Schweigen hüllen» und jeweils an die Pressestelle verweisen würden. «Das klingt mehr nach Maulkorb, als nach Meinungsfreiheit.»
Die Pressestellen der genannten Detailhändler verneinten, dass die Diebstähle zugenommen hätten oder dass Asylbewerber besonders oft Diebstähle begehen würden. Gleiches gelte für den Medienverantwortlichen der Kantonspolizei Glarus, der mit Verweis auf die Kriminalstatistik weder bestätigen könne, dass die Zahl der Ladendiebstähle zugenommen hat, noch dass ihm die behauptete Art der Diebstähle bekannt sei («ganze Einkaufswagen voll»). Der Artikel schliesst mit dem Hinweis, dass die Polizei «in anderen Kantonen» «ihren Frust über kriminelle Asylbewerber» schon länger kundtue.
B. Am 19. Januar 2017 reichte X. beim Schweizer Presserat Beschwerde gegen den genannten Zeitungsartikel ein. Der Beschwerdeführer sieht die Ziffer 1 (Wahrheit), 3 (Quellen), 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) und 8 (Menschenwürde, Diskriminierung) der «Erklärung der Pflichten der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») verletzt. Im Detail werden insbesondere die zur «Erklärung» gehörenden Richtlinien 1.1 (Wahrheitssuche), 3.1 (Quellenbearbeitung) sowie im Weiteren auch die Richtlinien 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen), 7.2 (Identifizierung) und 8.2 (Diskriminierungsverbot) genannt. Der Beschwerdeführer habe sich vorgängig direkt an die Redaktion «Fridolin» gewandt und Kritik am Artikel vorgebracht, was jedoch nicht zu einer Klärung geführt habe. Der Mailverkehr mit dem Redaktionsleiter und Autor Marc Holdener liegt der Beschwerde bei.
Bezüglich Wahrheitssuche und der Überprüfung von Quellen kritisiert der Beschwerdeführer drei Aussagen, deren Richtigkeit durch die Fakten widerlegt werde und für die keine glaubwürdigen Quellen aufgeführt seien. Erstens sei die Behauptung, dass Asylbewerber «auffallend oft» Ladendiebstahl begehen würden «gelinde gesagt fragwürdig» und mit der im Internet zugänglichen offiziellen Statistik leicht zu widerlegen. Zweitens sei der Vorwurf einer «Maulkorbpolitik» der Detailhändler nicht belegt. Zu diesem Vorwurf hätten gemäss Beschwerdeführer zudem die Detailhändler und insbesondere die Kantonspolizei angehört werden müssen. Der dritte zu rügende Punkt sei der Hinweis auf andere Kantone, wo – so werde suggeriert – die Situation besser sei.
Im Weiteren kritisiert der Beschwerdeführer, dass keinerlei Quellen deklariert würden, auch nicht anonyme. Damit könne man schlicht «beliebige Dinge» behaupten und einzelne Personen oder Gruppen «anschwärzen». Dass die «ohnehin kritisch beobachtete» Gruppe der Asylbewerber tatsachenwidrig in ein schiefes Licht gerückt werde, beeinflusse das Bild von Asylbewerbern in der Öffentlichkeit negativ. Der Beschwerdeführer sieht darin eine Diskriminierung.
C. Mit Schreiben vom 24. Februar 2017 nahm Redaktionsleiter und Autor Marc Holdener zur Beschwerde Stellung. Ihm seien die Quellen durchaus bekannt, mit dem Hinweis auf «direkt betroffene Personen» sei dies hinreichend belegt. Aus Gründen des Quellenschutzes könne er zwar nicht näher darauf eingehen, es handle sich jedoch um «mehrere glaubhafte und seriöse Quellen». Explizit genannt werden in der Beschwerdeantwort «ein ehemaliger Geschäftsführer eines Detailhandelsgeschäfts» sowie «Angestellte anderer Geschäfte». Im Weiteren habe es gemäss seiner Recherchen tatsächlich Fälle gegeben, in denen Asylbewerber versucht hätten, «rucksackweise» Ware zu stehlen. Er habe mit dem Artikel ja gerade aufzeigen können, dass es nicht viele solche Fälle gab. Wäre dies jedoch gar kein Thema, hätten dies bereits die angefragten Geschäftsführer ausdrücklich bestätigt. Dass sie ihn an die Pressestelle verwiesen haben, sei die Bestätigung für einen Maulkorb.
Die Statistik zeige zwar, dass Ausländer krimineller seien als Schweizer. Im Artikel werde jedoch keine spezifische Bevölkerungsgruppe diskriminiert. Das Thema «kriminelle Asylbewerber» beschäftige die Bevölkerung. Eine Regionalzeitung müsse ein Thema aufgreifen, wenn dies «mehrere seriöse Quellen» bestätigen. Der Beschwerdegegner verwahrt sich gegen die Unterstellung, er sei ausländerfeindlich. Im Übrigen müssten abwertende Äusserungen eine «Mindestintensität erreichen», um als diskriminierend zu gelten. Auf die kritisierte Aussage bezüglich der Situation in anderen Kantonen geht die Beschwerdeantwort nicht ein.
D. Das Präsidium des Presserats wies den Fall der 1. Kammer zu, der Francesca Snider (Präsidentin), Dennis Bühler, Michael Herzka, Klaus Lange, Francesca Luvini, Casper Selg und David Spinnler angehören.
E. Die 1. Kammer des Presserats behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 6. Juni 2017 sowie auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. Ziffer 1 der «Erklärung» verlangt, dass sich Journalistinnen und Journalisten an die Wahrheit halten. Die ausführende Richtlinie 1.1 stellt die Wahrheitssuche ins Zentrum und verlangt zudem, dass verfügbare und zugängliche Daten beachtet werden. Im kritisierten Artikel der Zeitung «Fridolin» wird unter der Überschrift «Kriminalität» ein spezifisches Problem behauptet (besonders dreiste Form sowie Zunahme von Diebstählen). Der Autor verweist für diese Behauptung lediglich auf Gespräche an Stammtischen und auf der Strasse. Er verwendet auch keine der leicht zugänglichen offiziellen Daten. Gemäss den vom Autor angefragten Zuständigen der angeblich betroffenen Detailhändler und der Polizei besteht das Problem jedoch gar nicht. Durch den Titel sowie durch die einleitenden und abschliessenden Paragrafen entsteht für die Leserinnen und Leser klar der Eindruck, dass Asylbewerber in der geschilderten Art und in bedeutendem Umfang Ladendiebstähle begehen würden. Der Autor kann dies nicht belegen, die zitierten Aussagen widerlegen die Behauptung eindeutig. Damit sind die Wahrheitspflicht und das Gebot der Wahrheitssuche (Ziffer 1 der «Erklärung») klar verletzt.
2. Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten der Journalistinnen und Journalisten» verlangt, dass Journalisten nur Informationen aus ihnen bekannten Quellen verwenden, keine wichtigen Elemente von Informationen unterschlagen und Tatsachen nicht entstellen. Gemäss Richtlinie 3.1 ist die Überprüfung und Bezeichnung einer Quelle im Interesse des Publikums unerlässlich. Für deren Geheimhaltung muss zudem ein überwiegendes Interesse gegeben sein. Aus dem Zeitungsartikel geht nicht hervor, dass der Autor sich auf ihm bekannte und überprüfte Quellen stützt. Die erwähnten «direkt betroffenen Personen» bleiben für die Leser gänzlich unkonkret und nebulös, sodass sie nicht als bekannte Quelle gelten können, zumal es sich bei den mutmasslich Geschädigten um Unternehmen handelt. Diejenigen Personen, welche mandatiert sind, für die Firmen zu sprechen, ebenso wie der Vertreter der Polizei widerlegen die zentralen Aussagen des Artikels. Auch für Aussagen zur Situation in anderen Kantonen werden keinerlei Belege angeführt. Die Verweise in der Beschwerdeantwort auf einen ehemaligen Geschäftsführer und weitere Angestellte hätten bereits in den Artikel einfliessen können, ohne diese Quellen preiszugeben. Selbst dann hätte der Autor jedoch erläutern müssen, weshalb er die anonymen Quellen für glaubwürdiger hält als die zitierten offiziellen. Ziffer 3 der «Erklärung» sowie Richtlinie 3.1 sind verletzt.
3. Ebenso verletzt ist zudem das Diskriminierungsverbot gemäss Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten der Journalistinnen und Journalisten». Gemäss Richtlinie 8.2 ist die Nennung der Herkunft zu unterlassen, sofern damit «negative Werturteile verallgemeinert und damit Vorurteile gegenüber Minderheiten verstärkt» werden. Mit der pauschalen, nicht plausibel begründeten Kriminalisierung einer Gruppe von Menschen ausländischer Herkunft, den Asylbewerbern, wurde diese Bestimmung missachtet.
4. Die vom Beschwerdeführer ebenfalls angeführte Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) ist hingegen nicht verletzt. Den Detailhändlern wird implizit die Verhängung eines Maulkorbes vorgeworfen, obwohl die angesprochenen Mitarbeitenden richtigerweise an die Pressestellen verwiesen haben. Bezüglich Detailhändlern und Polizei steht zudem der Verdacht der Fehlinformation oder zumindest des Negierens einer Problematik im Raum. Nach bisheriger Praxis des Presserats ist eine Anhörung jedoch nur bei Vorwürfen vorgeschrieben, die einen bestimmten Schweregrad erreichen, die also beispielsweise ein illegales oder damit vergleichbares Verhalten bezeichnen.
5. Nicht anwendbar sind nach Meinung des Presserates im vorliegenden Fall die Ziffer 7 der «Erklärung» (anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) sowie Richtlinie 7.2 (Schutz der Privatsphäre). Beide Bestimmungen beziehen sich auf den Schutz der Privatsphäre von Personen und nicht einer Gruppe wie vorliegend die Asylsuchenden.
III. Feststellungen
1. Die Beschwerde wird in den wesentlichen Punkten gutgeheissen.
2. «Fridolin» hat mit dem Artikel «Dazu darf ich nichts sagen» vom 27. Oktober 2016 Ziffer 1, 3 und 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt. Dies, indem die Zeitung die Aussagen bezüglich des kriminellen Verhaltens von Asylbewerbern, den Vorwurf eines Maulkorbs für Mitarbeitende von Detailhändlern sowie Behauptungen über die Lage in anderen Kantonen nicht genügend belegt hat und diesbezüglich auf keine hinlänglichen Quellen verweist. Die Aussagen sind zudem diskriminierend.
3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.