Zusammenfassung
Die «Neue Zürcher Zeitung» veröffentlichte im Februar 2024 mehrere Artikel über Roma aus der Ukraine, die in der Schweiz mit dem Schutzstatus S aufgenommen worden sind. Mit pauschalisierenden und unbelegten Behauptungen über angeblich gekaufte Pässe, erschlichene Rückkehrhilfe, organisierte Kriminalität von «Grossfamilien» sowie Integrationsproblemen zeichnete die NZZ ein Bild, das der Presserat als Verletzung des Diskriminierungsverbots einstuft. Zudem rügt der Presserat die mangelhafte Angabe oder das gänzliche Fehlen von Quellen. Und er kritisiert, dass in einem der NZZ-Texte die 60’000 ukrainischen Flüchtlinge mit Schutzstatus S den schätzungsweise 50’000 bis 80’000 in der Schweiz lebenden Roma gegenübergestellt werden. Zwischen den beiden Gruppen besteht kein Zusammenhang. Falsch und diskriminierend war auch die Aussage, dass die in der Schweiz lebenden Roma lediglich «toleriert» würden, da sie nicht als nationale Minderheit anerkannt seien. Diese Roma sind Schweizer StaatsbürgerInnen und ein fester Bestandteil der Schweizer Gesellschaft.
Résumé
La NZZ a publié en février 2024 plusieurs articles sur des Roms en provenance d’Ukraine accueillis en Suisse sous la protection du statut S. Usant de propos globalisants et d’affirmations non étayées à propos de passeports prétendument achetés, d’aides au retour détournées, de crime organisé étant le fait de clans et de problèmes d’intégration, la NZZ a brossé un tableau dans lequel le Conseil suisse de la presse a vu une violation de l’interdiction de la discrimination. Le Conseil suisse de la presse décrie en outre la citation lacunaire des sources utilisées voire l’absence totale de sources. Il se montre par ailleurs critique quant au fait que l’un des articles oppose les 60 000 réfugiés ukrainiens bénéficiant du statut S et les 50 000 à 80 000 Roms vivant en Suisse. Il n’y a pas de lien entre ces deux groupes de personnes. L’assertion selon laquelle les Roms vivant en Suisse y sont seulement tolérés dans la mesure où ils ne sont pas une minorité reconnue à l’échelon national est également fausse et discriminatoire. Ces Roms sont des ressortissants suisses et font partie intégrante de la société suisse.
Riassunto
Nel febbraio del 2024, la «Neue Zürcher Zeitung» ha pubblicato svariati articoli sui rom provenienti dall’Ucraina e ammessi in Svizzera con lo status di protezione S. Con affermazioni generiche e non documentate riguardo presunti acquisti di passaporti, assistenza al rimpatrio ottenuta in modo fraudolento, criminalità organizzata delle «grandi famiglie» e problemi di integrazione, la NZZ ha dipinto un quadro che il Consiglio della stampa ha classificato come violazione del divieto di discriminazione. Il Consiglio della stampa critica inoltre la mancanza di informazioni o la totale assenza di fonti. Critica altresí che in uno dei testi la NZZ paragoni i 60’000 rifugiati ucraini con status di protezione S ai circa 50’000-80’000 rom che vivono in Svizzera. Non esiste alcun nesso tra i due gruppi. È falsa e discriminatoria anche l’affermazione secondo cui i rom che vivono in Svizzera sarebbero semplicemente «tollerati» perché non riconosciuti come minoranza nazionale. Questi rom sono cittadini svizzeri e sono quindi parte integrante della società elvetica.
I. Sachverhalt
A. Im Februar 2024 veröffentlichte die «Neue Zürcher Zeitung» (NZZ) in ihren Online- und Printausgaben drei Artikel, die sich mit Roma und dem Schutzstatus S befassen. Unter dem Titel «Immer mehr Roma profitieren vom Schutzstatus S» schreibt Jenny Bargetzi am 10. Februar 2024, dass der Ukraine-Krieg noch immer «Hunderttausende» zur Flucht zwinge, «unter ihnen auch Roma». Mit Bezug auf das «St. Galler Tagblatt» berichtet die Autorin, dass in den Kantonen St. Gallen und Thurgau «immer mehr Roma» den Ausweis S erhielten, «obwohl die dazu nicht berechtigt sind». 66’143 Flüchtlingen mit Schutzstatus S werden «50’000 bis 80’000» Roma gegenübergestellt, die in der Schweiz «zwar toleriert» und gemäss Bundesrat Teil der Gesellschaft seien, aber nicht als nationale Minderheit anerkannt würden. «Nun scheinen einige Roma das 2022 aktivierte System des Schutzstatus S auszunutzen», so die NZZ weiter.
Die Autorin verweist auf die Generalsekretärin der Konferenz der Kantonalen Sozialdirektionen (SODK), gemäss welcher zunehmend Roma den Schutzstatus S erhielten, obwohl sie eigentlich in eine andere Asylkategorie fallen würden. Ein Behördenvertreter des Kantons Graubünden «vermutet», dass «mindestens die Hälfte» der dem Kanton zugewiesenen 470 Personen mit Schutzstatus S Roma seien, da sie trotz ukrainischer Pässe und der Angabe der Ukraine als früherem Wohnort weder Ukrainisch noch Russisch sprächen. Für den Kanton St. Gallen spricht die Geschäftsführerin des Vereins Integrationsprojekte von 175 Roma, von denen «etwa die Hälfte» weder Ukrainisch noch Russisch sprächen, ukrainische Pässe besässen, aber in einem anderen Land gelebt hätten. «Gerüchten zufolge» seien viele Pässe von der gleichen Behörde ausgestellt worden und es stelle sich die Frage, ob in der Ukraine Pässe gekauft werden könnten, so die Geschäftsführerin. Dies sei jedoch nicht systematisch überprüft worden.
Im Weiteren wird berichtet, dass sich die Unterbringung in einigen Kantonen schwierig gestalte, da beispielsweise Wohnungen in einem schlechten Zustand hinterlassen worden seien. Namentlich zitiert wird der Integrationsbeauftragte des Kantons Thurgau. Im Kanton Luzern seien 47 Personen mit Schutzstatus S «offiziell als Roma» registriert, man gehe aber von insgesamt 200 Personen aus. Aus verschiedenen anderen Kantonen seien «keine Fälle von Roma mit ungerechtfertigtem Schutzstatus S bekannt».
Die SODK sowie der Vertreter des Kantons Graubünden hinterfragen, ob die Dokumente und die Voraussetzungen für den Schutzstatus S ausreichend überprüft wurden. Der Sprecher des zuständigen Staatssekretariats für Migration (SEM) hält jedoch fest, dass «jedes Gesuch» zum Status S im Einzelfall geprüft werde, «auch die Echtheit der Reisepässe». Bei Zweifeln bezüglich Identität oder Wohnsitz bei Kriegsausbruch würden zusätzliche Abklärungen getroffen. Es gebe keine Angaben über die Anzahl Roma mit Schutzstatus S, da die ethnische Zugehörigkeit nicht erfasst werde. Für Roma würden die gleichen «Prüfkriterien» wie für alle Schutzsuchenden gelten.
Ein zweiter, online erschienener Artikel der NZZ vom 12. Februar 2024, gezeichnet von Christina Neuhaus, thematisiert ebenfalls die Sprachkenntnisse der Flüchtlinge sowie die Reisedokumente. Der Titel lautet: «Weil Roma das Schweizer System ausnutzen: Der Schutzstatus S soll überprüft werden». Im Lead heisst es, «immer mehr Nichtukrainer reisen mit gekauften Papieren in die Schweiz ein».
Im Weiteren wird berichtet, dass die geflüchteten Roma «mittlerweile einen sehr schlechten Ruf» hätten. Sie würden wegen Lärmbelästigung und Bettelei auffallen, Wohnungen verschmutzt und verwüstet hinterlassen. Der Artikel hält zudem fest, in vielen osteuropäischen Ländern würden Roma diskriminiert, gälten als schlecht integrierbar, besuchten keine Schulen und seien daher schlecht gebildet. Zudem seien einige «Grossfamilien […] seit vielen Jahren auf organisierte Kriminalität spezialisiert».
Im zweiten Teil befasst sich der Artikel mit politischen Vorstössen des St. Galler Kantonsrats Boris Tschirky sowie des St. Galler Ständerats Beni Würth zur Einschränkung des Schutzstatus S. Zum einen gehe es um eine Art «Tourismus», mit dem Ziel, Rückkehrhilfe zu beziehen. Im Weiteren wird die geringe arbeitsmarktliche Integration der «Ukrainerinnen und Ukrainer» angeführt. Im Artikel wird nicht spezifiziert, ob sich diese Aussagen auf Roma und/oder die eingangs genannten «Nichtukrainer» beziehen. Abschliessend wird im Text die Frage aufgeworfen, ob angesichts der Integrationsprobleme und des «Kostendrucks» im Asylwesen der befristete Schutzstatus S erneuert werden soll.
Bei einem dritten Artikel mit dem Titel «Probleme mit Roma» (12. Februar 2024), ebenfalls von Christina Neuhaus, handelt es sich um die gekürzte Print-Version des Texts, der online erschienen ist.
B. Am 14. Februar 2024 reichte X. eine Beschwerde gegen den Artikel «Weil Roma das Schweizer System ausnutzen: Der Schutzstatus S soll überprüft werden» ein. Er macht eine Verletzung von Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) sowie von Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») bzw. von Richtlinie 8.2 (Diskriminierungsverbot) geltend.
Die Wahrheitssuche sei verletzt, weil die NZZ Vermutungen bezüglich des Kaufs von Pässen durch Nichtukrainer anstelle, wobei offensichtlich Roma gemeint seien. Fehlende Sprachkenntnisse der betreffenden Personen oder die Ausstellungsdaten bzw. der Ausstellungsort seien keine Beweise, dass «Romas mit gekauften ukrainischen Pässen eingewandert sind». Dies sei irreführend und eine «gravierende Ungenauigkeit».
Diskriminierend seien die Aussagen bezüglich der Aus- und Wiedereinreise, der Lärmbelästigungen und der Verschmutzung und Verwüstung von Wohnungen. Obwohl die NZZ auch die systematische Diskriminierung der Roma erwähne, bediene sie sich rassistischer Vorurteile.
C. Am 19. Februar 2024 reichte Stéphane Laederich, Exekutivdirektor der Rroma Foundation, Beschwerde gegen alle drei genannten Artikel der NZZ ein. Diese seien eine «Diffamierung von Roma» und «rassistisch». Gemäss dem Beschwerdeführer verstossen die Beiträge gegen die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Unterschlagen von Informationen) sowie 8 (Verletzung der Menschenwürde, Diskriminierungsverbot) der «Erklärung».
Die Beiträge enthielten zahlreiche unbewiesene und nicht dokumentierte Behauptungen, pauschalisierende Aussagen und Unterstellungen. Bezüglich der Sprachkenntnisse verweist der Beschwerdeführer darauf, dass ein grosser Teil der Bevölkerung in der früher zum ungarischen Königreich gehörenden Westukraine ungarischer Muttersprache sei. Die Unterstellungen bezüglich der angeblich gekauften Pässe würden in der NZZ kommentarlos übernommen. Damit werde kolportiert, die Roma seien kriminell. Die Autorinnen hätten keine konkreten Fälle oder Zahlen anführen können. Wäre recherchiert worden, so hätte sich gezeigt, dass die fragliche Region nicht sehr gross und es daher naheliegend sei, dass die Dokumente von der gleichen Behörde ausgestellt würden. Zudem werde die falsche Aussage verbreitet, dass sich die Angaben in den Pässen nicht überprüfen liesse. Ebenso gebe es keine Belege dafür, dass es sich bei den Einreisenden um Nichtukrainer handle bzw. um «Roma, die mit echten ukrainischen Pässen eingereist sind».
Mit den Aussagen über die schlechte Integration der Roma, die mangelnde Bildung oder die angebliche Kriminalität von Grossfamilien würden Standard-Stereotype verbreitet. Solche pauschalisierenden Aussagen seien rassistisch.
Die Gegenüberstellung von den mindestens 80’000 Roma in der Schweiz und den gut 66’000 Personen mit Schutzstatus S sei irreführend und diskriminierend. Es werde der Eindruck erweckt, die Roma in der Schweiz seien Ausländer bzw. die Personen mit Schutzstatus S seien Roma. Tatsächlich gebe es keinen Zusammenhang zwischen den beiden Gruppen. Es werde unterschlagen, dass viele der in der Schweiz lebenden Roma Schweizer Bürger seien. Es werde der Eindruck erweckt, die Roma gehörten nicht in die Schweiz.
Die im zweiten Artikel berichtete politische Diskussion um den Schutzstatus S habe nichts mit den Roma zu tun. Der Artikel als Ganzes instrumentalisiere die Roma, um gegen den Schutzstatus S Position zu beziehen und sei eine «Hetzerei».
D. Mit Schreiben vom 29. Mai 2024 nahm die «Neue Zürcher Zeitung» Stellung und beantragte, die Beschwerden vollumfänglich abzuweisen. Der NZZ gehe es um die Aufdeckung von «Missbrauchsfällen im Asylwesen», der Schutzstatus S sei dafür besonders anfällig. So habe man schon früher über «Ukrainer (nicht-Roma)» berichtet, die Sozialleistungen bezogen und mehrfach in die Ukraine gereist seien. Es sei eine Aufgabe der Medien und im Interesse der Öffentlichkeit, darüber zu berichten. «Wenn bestimmte Ethnien dabei hervortreten, ist dies ein Faktum, worüber berichtet werden darf und – aus Sicht der Beschwerdegegnerin – muss.» Die Artikel würden auf die Probleme in der Verwaltung abzielen und es werde differenziert, «dass nicht alle Roma involviert sind, sondern spezifische Gruppen». Es könne sein, dass bestimmte Formulierungen für «unschuldige» Roma negativ klingen könnten. Es handle sich aber um «Fakten bzw. Aussagen von Experten».
Die Artikel seien «sachlich», die Sprache nicht abwertend oder diskriminierend. Es würde «über beobachtete Tatsachen» berichtet und «verantwortliche Behörden und Experten» zitiert. Die Quellen würden benannt und die Artikel «enthalten Hinweise darauf, dass die Aussagen auf aktuellen Beobachtungen und Berichten» basieren. Man würde auch darüber berichten, «wenn eine andere Ethnie, Rasse oder Religionszugehörigkeit von diesem System missbräuchlich Gebrauch machen oder Auffälligkeiten zeigen» würde.
Die NZZ hebe hervor, dass genaue Zahlen zur ethnischen Zugehörigkeit fehlten, die Autorinnen seien sich der Grenzen ihrer Berichterstattung bewusst. «Vermutungen und Beobachtungen» würden nicht «als unumstössliche Fakten präsentiert». Es werde klargestellt, dass «weitere Untersuchungen» erforderlich seien.
In Bezug auf die Sprachkenntnisse der Flüchtlinge schreibt die NZZ in ihrer Beschwerdeantwort zum einen, dass es «nicht immer notwendig sei, auf jede ethnische Minderheit in der Ukraine einzugehen» und dass sie gewisse Kenntnisse über die «komplexe ethnische Zusammensetzung» bei der Leserschaft voraussetze, auch über die Ungarisch sprechende Minderheit im Westen des Landes. Zum anderen wird jedoch betont, dass Flüchtlinge, die nicht Ukrainisch oder Russisch sprächen, «kritischer zu hinterfragen sind». Die Herkunftsregion der Roma an der ungarischen Grenze sei vom Krieg nicht betroffen. Es werde aber auch nicht behauptet, dass alle diese Flüchtlinge «illegal» seien.
In Bezug auf den Status der Schweizer Roma sei das Verb «toleriert» – gemäss Beschwerdeantwort – «unglücklich» gewählt worden. Die entsprechende Passage sei korrigiert und man bedaure es, wenn diese Formulierung einen falschen Eindruck hinterlassen habe.
Aus Sicht der Redaktion habe sich die NZZ mit der «notwendigen Sorgfalt und Differenzierung» mit diesem «sensiblen und komplexen» Thema befasst. Es sei «sorgfältig» recherchiert worden und man habe die journalistische Sorgfaltspflicht erfüllt. Eine Verletzung der «Erklärung» sei «nicht ersichtlich». Es sei in diesen Artikeln weder um «die Roma im Allgemeinen noch um Schweizer Roma oder Roma, die schon lange hier leben» gegangen, sondern «ausschliesslich um Einzelpersonen, die unter dem Status S einreisen». Es sei der NZZ bewusst, dass die Roma unter Vorurteilen und Diskriminierung litten, deshalb habe man versucht, «mit Verweis auf allgemeine Diskriminierung und eine gewisse Stigmatisierung durch einzelne Grossfamilien, den gesellschaftspolitischen Hintergrund wenigstens leise anzudeuten».
E. Am 25. Juli 2024 teilte der Presserat den Parteien mit, dass die beiden Beschwerden vereinigt und der 1. Kammer zugewiesen werden, bestehend aus Susan Boos (Präsidentin), Luca Allidi, Dennis Bühler, Ursin Cadisch, Michael Herzka, Francesca Luvini und Casper Selg. Susan Boos trat von sich aus in den Ausstand.
F. Die 1. Kammer des Presserats verabschiedete die Stellungnahme an ihrer Sitzung vom 30. August 2024 und 6. Januar 2025 sowie auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. Zu Ziffer 1 und Ziffer 3 der «Erklärung»: Ziffer 1 verlangt, dass sich Journalistinnen und Journalisten an die Wahrheit halten. Richtlinie 1.1 betont die «Wahrheitssuche als Ausgangspunkt der Informationstätigkeit». Ziffer 3 der «Erklärung» verlangt, dass keine wichtigen Elemente von Informationen unterschlagen oder Tatsachen entstellt werden.
Im Beitrag vom 10. Februar 2024 wird behauptet, dass «immer mehr Roma» den Flüchtlingsstatus S erhalten, obwohl sie «dazu nicht berechtigt sind». Zudem werden die gut 60’000 Flüchtlinge mit Schutzstatus S den «50’000 bis 80’000» Roma und Romnja in der Schweiz gegenübergestellt. Diese würden in der Schweiz «zwar toleriert», seien aber nicht als «nationale Minderheit» anerkannt, heisst es im Artikel. Der darauffolgende Abschnitt beginnt mit dem Satz: «Nun scheinen einige Roma das 2022 aktivierte System des Schutzstatus S auszunutzen». Wie der zweite Beschwerdeführer festhält, besteht zwischen den in der Schweiz lebenden Roma und Flüchtlingen mit Schutzstatus S kein Zusammenhang. Die Schweizer Roma mit der Flüchtlingsfrage in Verbindung zu bringen ist nicht nur unsinnig, sondern auch falsch und verstösst gegen Ziffer 1 der «Erklärung».
Die Behauptung, dass Roma mit gekauften Pässen in die Schweiz einreisen, basiert im ersten Artikel vom 10. Februar 2024 auf Vermutungen, die von einzelnen Vertreterinnen und Vertretern der Kantone geäussert werden. Im zweiten Artikel (12. Februar 2024) werden diese Vermutungen als Fakten präsentiert, dies ohne Verweis auf die ursprünglichen Quellen oder andere Belege. Ebenfalls ohne Belege wird den Roma in allgemeiner Form eine Verbindung zu «organisierter Kriminalität» unterstellt. Richtlinie 3.1 (Quellenbearbeitung) hält fest, dass eine genaue Bezeichnung der Quelle eines Beitrags im Interesse des Publikums liegt. Sie ist unerlässlich, wenn sie zum Verständnis der Information wichtig ist. Die Leserschaft wird vorliegend mit diesen pauschalen Aussagen konfrontiert, wird jedoch im Unklaren gelassen, woher diese stammen und kann sie somit auch nicht einordnen. Die fehlende Quellenangabe stellt einen Verstoss gegen Ziffer 3 der «Erklärung» dar.
Dass «Roma-Gruppen» den Ausweis S erhielten, obwohl sie «dazu nicht berechtigt sind», wird im ersten Beitrag damit begründet, dass einige Personen weder Ukrainisch noch Russisch sprechen würden. Gemäss dem Beschwerdeführer der Rroma Foundation wird dabei missachtet, dass viele in der Ukraine lebende Roma ungarischer Muttersprache sind. In ihrer Beschwerdeantwort argumentiert die NZZ zusätzlich, dass die Westukraine, aus der die Flüchtlinge stammten, gar nicht vom Krieg betroffen sei. Es sei daher «plausibel», dass Menschen aus dieser Region den Schutzstatus S missbrauchen könnten. Diese weitere Mutmassung der NZZ steht im Widerspruch zum Beitrag vom 10. Februar 2024, in dem «Roma-Gruppen» noch zu den «Hunderttausenden» gezählt wurden, die der Krieg zur Flucht «zwingt».
Im zweiten Beitrag wird insinuiert, wer weder Ukrainisch noch Russisch spreche, könne gar nicht aus der Ukraine stammen und sei daher nicht berechtigt, den Schutzstatus S zu erhalten. Dies ist offensichtlich ein falscher Schluss. Dabei ist es unerheblich, ob die NZZ bei ihrer Leserschaft gewisse Kenntnisse über die «komplexe ethnische Zusammensetzung» voraussetzt, auch über die Ungarisch sprechende Minderheit im Westen des Landes. Angesichts der Schwere der Vorwürfe bezüglich Staatsbürgerschaft, Ausweisepapiere oder Flüchtlingsstatus wäre eine Nachfrage bei Betroffenen oder ihrer Vertretungen angezeigt gewesen. So hätte sich dieser Zusammenhang klären lassen.
Aus dem Titel und dem Inhalt des zweiten Artikels (12. Februar 2024) geht hervor, dass es sich bei den angeblichen «Nichtukrainern» um Roma handle, die einen schlechten Ruf hätten, wegen Lärm und Bettelei auffallen sowie Wohnungen in einem schlechten Zustand hinterlassen würden. Es wird pauschal darauf verwiesen, dass man «in den Migrationsämtern der betroffenen Kantone» die Probleme kenne, Belege oder Quellen werden nicht genannt. Die fehlende Quellenangabe stellt auch hier eine Verletzung von Ziffer 3 der «Erklärung» dar.
Im Titel heisst es, weil Roma das Schweizer System ausnutzten, solle der Schutzstatus S überprüft werden. Am Schluss des Textes wird darüber berichtet, dass die Integration der ukrainischen Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt schwieriger sei als ursprünglich angenommen. Die Politik fordere deshalb Sparmassnahmen und eine Anpassung des Schutzstatus S. Inhaltlich ist aber gerade kein Zusammenhang ersichtlich zwischen der tiefen Arbeitsquote aller ukrainischer Flüchtlinge mit Status S und den Roma, deren Flüchtlingsstatus und Nationalität ja gerade bezweifelt wird.
2. Zu Ziffer 8 der «Erklärung»: Sie verlangt, dass auf «diskriminierende Anspielungen» bezüglich der ethnischen Zugehörigkeit verzichtet wird. Richtlinie 8.2 verweist auf die Gefahren der Verallgemeinerung negativer Werturteile sowie der Verstärkung von Vorurteilen gegenüber Minderheiten. Journalistinnen und Journalisten sind aufgefordert «den Informationswert gegen die Gefahr einer Diskriminierung» abzuwägen sowie die Verhältnismässigkeit zu wahren.
Die NZZ behauptet, dass der Schutzstatus S vielen Roma nicht zustehe, weil sie nicht aus der Ukraine stammten, und dieser Status daher missbräuchlich erlangt worden sei. Entgegen der Darstellung in der Beschwerdeantwort wird über keinen konkreten Fall berichtet und es geht gerade nicht «ausschliesslich um Einzelpersonen, die unter dem Status S einreisen», wie die NZZ in ihrer Beschwerdeantwort behauptet. Die Autorinnen schreiben konsequent nur über «die Roma», «Roma-Gruppen» oder «Roma-Familien». Spekulationen über «gekaufte», aber offenbar «echte» Pässe durch «Nichtukrainer» werden vermischt mit angeblichen Verhaltens- und Integrationsproblemen von Roma, Erschleichung von Rückkehrhilfen sowie mangelhafte Arbeitsintegration der «Ukrainerinnen und Ukrainer». Die Beiträge der NZZ basieren auf Mutmassungen, stellen widersprüchliche Zusammenhänge her und behaupten Kausalitäten, ohne konkrete Belege zu liefern. Die Kritik am Schutzstatus S wird mit der unbelegten Kritik an den Roma verknüpft, obwohl inhaltlich kein nachvollziehbarer Zusammenhang besteht zwischen den beiden Themen. Durch solch unzulässige Verknüpfungen werden Vorurteile gegenüber ethnischen oder religiösen Gruppen verstärkt. Sie verstossen gegen Ziffer 8 (Diskriminierungsverbot) der «Erklärung».
Scharf zu rügen ist die Formulierung, dass die in der Schweiz lebenden Roma lediglich «toleriert» würden. Der Bundesrat hat in seiner Medienmitteilung vom 1. Juni 2018 zur Nichtgewährung der Anerkennung als nationale Minderheit ausdrücklich festgehalten, dass die Roma «unabhängig von der Frage der Anerkennung als nationale Minderheit ein anerkannter Bestandteil der Schweizer Gesellschaft sind».
Die NZZ hat mit den beiden monierten Beiträgen gegen das Diskriminierungsverbot (Ziffer 8 der «Erklärung») verstossen.
III. Feststellungen
1. Der Presserat heisst die beiden Beschwerden gut.
2. Die «Neue Zürcher Zeitung» hat mit den Beiträgen «Immer mehr Roma profitieren vom Schutzstatus S» vom 10. Februar 2024, «Weil Roma das Schweizer System ausnutzen: Der Schutzstatus S soll überprüft werden» vom 12. Februar 2024 sowie «Probleme mit Roma», ebenfalls vom 12. Februar 2024, die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht), 3 (Quellenbearbeitung) und 8 (Diskriminierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.