Nr. 5/1998
Weitergabe von Leserbriefen

(A./ Z. c. „Zofinger Tagblatt“) Stellungnahme des Presserates vom 30. April 1998

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I. Sachverhalt

A. Am 26. August 1997 publizierte die „Aargauer Zeitung“ einen Artikel mit dem Titel „Wolken über dem Jugendtreff“, der sich mit unterschiedlichen Auffassungen über den Betrieb des Zofinger Ju-gendhauses befasste. Als Reaktion darauf verfassten A. und Z. aus Zofingen einen Leserbrief , worin sie einzelnen Vorstandsmitgliedern und vorab der Präsidentin des Vereins Jugendtreff Zofingen u.a. Ausländerfeindlichkeit und „widerwärtige Moral“ vorwarfen. Diesen Leserbrief schickten die Verfasser an die „Aargauer Zeitung“ und das „Zofinger Tagblatt“. Die „Aargauer Zeitung“ publizierte den Leserbrief in ihrer Ausgabe vom 3. September 1997. Das „Zofinger Tagblatt“ bzw. dessen Chefredaktor E. veröffentlichte den betreffenden Leserbrief nicht, sondern brachte ihn der Präsiden-tin des Vereins Jugendtreff Zofingen zur Kenntnis mit der gleichzeitigen Bitte um Stellungnahme. Diese Stellungnahme benutzte E. als Quelle für einen kommentierenden Beitrag zum Thema mit dem Titel „Un- und Halbwahrheiten um den Jugendtreff Zofingen“. Dieser erschien am 30. September 1997.

B. Am l5. Oktober 1997 wandten sich A. und Z. an den Presserat mit der Bitte um Abklärung, ob die Praxis, Leserbriefe ohne Einwilligung der Autoren an Drittpersonen weiterzuleiten, gegen die journalistische Ethik verstosse beziehungsweise eine Persönlichkeitsverletzung darstelle.

C. Der Presseratspräsidium wies die Beschwerde der l. Kammer zu (bestehend aus Presseratspräsi-dent Roger Blum, Sylvie Arsever, Sandra Baumeler, Enrico Morresi und Klaus Mannhart). Diese behandelte die Beschwerde an den Sitzungen vom 22. Januar 1998 und 30. März 1998. Der Chefre-daktor des „Zofinger Tagblatts“, E., wurde vom Presseratssekretariat am 12. November 1997 um einer erste und am 17. Februar 1998 um eine ergänzende Stellungnahme gebeten.

D. E. nahm mit Schreiben vom 10. Dezember 1997 dahingehend Stellung, dass er Passagen des Le-serbriefes – insbesondere die Begriffe „widerwärtige Moral“ und „latenter Rassismus“ als ehrenrührig empfunden und sich deshalb zuerst mit der angegriffenen Person in Verbindung habe setzen wollen. Diese sei gerne auf sein Angebot eingegangen, wenn möglich die Zuschrift nicht zu veröffentlichen. Dafür habe sie ihm eine Gegendarstellung zur Verfügung gestellt, die er in seinem Artikel verarbeitet habe. Es entspreche der Praxis des „Zofinger Tagblatts“, an Ehrverletzung grenzende Leserbriefe nicht zu veröffentlichen.

Auf Nachfrage der 1. Kammer hin teilte E. mit Schreiben vom 13. März 1998 mit, der Entscheid, den Leserbrief von A. und Z. nicht zu veröffentlichen, sei erst gefallen, nachdem ihn die Betroffene im Gespräch gebeten habe, die Zuschrift nicht zu veröffentlichen. Er habe keine Veranlassung gehabt, den Leserbrief auch nur auszugsweise zu veröffentlichen. Auf dessen Inhalt sei in der Gegendarstel-lung eingegangen worden. Letztlich sei es um einen in der „Aargauer Zeitung“ erschienenen Artikel gegangen, mit dem sich die beiden Leserbriefschreiber befasst hätten.

II. Erwägungen

l. Der Presserat hat in früheren Stellungnahmen darauf hingewiesen, dass Leserbriefseiten ein „freies Tummelfeld“ für Meinungen aus dem Leserkreis sollten, um möglichst viele und unterschiedliche Reaktionen auf einen Artikel publik zu machen. Jede Zeitung sollte Spielregeln für die Leserbriefseite aufstellen und diese in regelmässigen Abständen veröffentlichen (Stellungnahme i.S. E. c. „Tages-Anzeiger vom 23. Oktober 1991, Sammlung 1991, 29ff.). Das „Zofinger Tagblatt“ hat entsprechen-de Regeln publiziert. Darin behält sich die Redaktion den Entscheid über die Veröffentlichung eines Leserbriefs in jedem Fall vor. Die Nichtveröffentlichung war darüber hinaus schon deshalb vertretbar, weil sich der Leserbrief auf einen in einem anderen Medium erschienenen Artikel bezog. 2. Die Beschwerdeführer beanstanden insbesondere, dass der Chefredaktor des „Zofinger Tagblatts“ ihren Leserbrief ohne ihre Einwilligung Drittpersonen weiterreichte.

Als „Leserbriefe“ gekennzeichnete Briefe sind zur Veröffentlichung bestimmt. Mit der Bekanntma-chung ihres Inhaltes wird der Zweck des Leserbriefs erfüllt. Wenn der Inhalt eines Leserbriefs der gesamten Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht werden darf, muss es auch zulässig sein, diesen einem betroffenen Dritten zugänglich zu machen. Wenn die Beschwerdeführer mit der Bitte um Abdruck des Leserbriefes ihrem Wunsch nach Veröffentlichung des Inhalts Ausdruck gegeben haben, hatte E. also durchaus das Recht, den Leserbrief an die Betroffenen weiterzuleiten.

3. Gemäss Ziff. 3 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ sollen Medienschaffende keine wichtigen Elemente von Informationen unterschlagen. Der Presserat hat in einer Stellungnahme i.S. J. c. „Il Dovere“ und Corriere del Ticino“ (Stellungnahme vom 1. Oktober 1993, Sammlung 1993, 71ff.) darauf hingewiesen, dass es einem Medium zwar unbenom-men ist, auch solche Sachverhalte und Ereignisse zu kommentieren, über die es nicht selber berichtet hat. Es wäre jedoch wünschenswert, wenn auch die einem Bericht und Kommentar zugrundeliegen-den Basisinformationen vermittelt würden, damit der Kommentar auch von Lesern verstanden werden kann, die sich nur auf ein Medium als Informationsquelle konzentrieren.

Unter diesen Gesichtspunkten handelte das „Zofinger Tagblatt“ widersprüchlich, wenn es dieStel-lungnahme der von einem nicht veröffentlichten Leserbrief Betroffenen wiedergab und den Leserbrief auch noch kommentierte, ohne der Leserschaft über den Inhalt des umstrittenen Leserbriefs bzw. über die Begründung der darin enthalteenen Vorwürfe wenigstens in groben Zügen zu informieren. Und auch wenn einseitige und parteiergreifende Medienbeiträge berufsethisch zulässig sind, war es zudem nicht fair, die Beschwerdeführer in harschem Ton zu kritisieren, ohne deren Standpunkt in irgendei-ner Form wiederzugeben.

III. Feststellungen

1. Redaktionen sind frei, über den Abdruck von Leserbriefen zu entscheiden, sofern sie sich an die von ihnen erlassenen Spielregeln halten. Die Nichtveröffentlichung eines in einem anderen Medium Leserbriefs ist vertretbar.

2. Leserbriefe sind für die Öffentlichkeit bestimmt. Ihr Inhalt darf Dritten zugänglich gemacht wer-den.

3. Es ist widersprüchlich, allein die Stellungnahme der von einem nicht veröffentlichten Leserbrief Betroffenen wiederzugeben und den Leserbrief auch noch zu kommentieren, ohne der Leserschaft über den Inhalt des umstrittenen Leserbriefs wenigstens in groben Zügen zu informieren.