Nr. 51/2012
Wahrheitspflicht / Überprüfung von Kolumnen

(X. c. «Weltwoche») Stellungnahme des Presserates vom 14. September 2012

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I. Sachverhalt

A. Die «Weltwoche» veröffentlichte in der Ausgabe 30-31/2012 vom 26. Juli 2012 eine Kolumne von Peter Bodenmann – «Hotelier in Brig und ehemaliger Präsident der SP Schweiz» – mit dem Titel «Die wahren Diebe jagen». Der Lead lautet: «Zu hohe Zölle dienen der Durchsetzung von zu hohen Preisen. Darunter leiden die Konsumenten und das Gastgewerbe.»

Der Autor vertritt darin die These, dass im Zusammenhang mit aktuellen Entwicklungen in der Schweiz die Zuwanderer zu Unrecht als Sündenböcke herhalten müssten. Das mit der Schweiz vergleichbare deutsche Bundesland Baden-Württemberg habe 10 Millionen Einwohner und viel weniger Fläche als die Schweiz. «Trotzdem leidet die Schweizer Bevölkerung unter Platzangst, und wir beginnen, kollektiv zu hyperventilieren. Dabei haben zehn Millionen Menschen in jeder Grossstadt dieser Welt Platz.» Weil wir zu wenig verdichtet bauten und die SBB im Vergleich mit den U-Bahnen in den Grossstädten zu wenig produktiv arbeiteten, nehme der soziale Stress und damit die Suche nach Sündenböcken zu.

Und daran, dass die Schweiz bei der Entwicklung des realen Wirtschaftswachstums pro Kopf schlecht dastehe, seien ebenso wenig die Zuwanderer schuld, sondern vielmehr die Gegner der Zuwanderung. «Die Bauern in der Schweiz erhalten vier Milliarden Franken Direktzahlungen von den Steuerzahlenden. Weitere vier Milliarden knöpfen sie den Konsumenten in Form von überhöhten Preisen ab. Die zu hohen Zölle dienen der Durchsetzung dieser zu hohen Preise. Das zu teure Fleisch verschlingt zu viel Kaufkraft. Und belastet das Gastgewerbe und den Tourismus im Jahr mit einer Milliarde Franken. Deshalb kaufen immer mehr Menschen im Ausland ein.»

B. Am 30. Juli 2012 beschwerte sich X. beim Presserat die Kolumne von Peter Bodenmann enthalte eine Reihe von falschen Aussagen, weshalb er beantrage, diese zu korrigieren und zu berichtigen. Konkret seien folgende Aussagen fehlerhaft:

– «Die Bauern in der Schweiz erhalten vier Milliarden Franken Direktzahlungen von den Steuerzahlenden.»
– «Weitere vier Milliarden knöpfen sie (die Bauern) den Konsumenten in Form von überhöhten Preisen ab.»
– «Das Land Baden-Württemberg hat mehr als 10 Millionen Einwohner. Und viel weniger Fläche als die Schweiz.»
– «Beim Vergleichen von Volkswirtschaften zählt (…) nur das reale Wirtschaftswachstum pro Kopf. Und hier ist die Schweiz schlecht unterwegs. Weil die Pro-Kopf-Einkommen real wenig bis nicht steigen.»

C. Gemäss Art. 12 Abs. 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presseratspräsidium Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.

D. Das Presseratspräsidium, bestehend aus Presseratspräsident Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann, hat die vorliegende Stellungnahme per 14. September 2012 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Gemäss Art. 10 Abs. 1 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf eine Beschwerde ein, wenn sie offensichtlich unbegründet erscheint.

2. Der Beschwerdeführer bezeichnet vier Aussagen der beanstandeten Kolumne als fehlerhaft, rügt also eine Verletzung von Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten». Dazu ist vorab darauf hinzuweisen, dass Peter Bodenmann kein Journalist ist und als Hotelier und (ehemaliger) Politiker nicht der Beurteilung durch den Presserat unterliegt. Vom Presserat zu prüfen ist einzig, ob die Redaktion der «Weltwoche» beim Abdruck des Textes die ihr berufsethisch obliegende Prüfungspflicht verletzt hat. Gemäss der Praxis des Presserates erstreckt sich die berufsethische Verantwortung der Redaktionen zwar auch auf die Veröffentlichung von Kolumnen. Ähnlich wie bei Leserbriefen (vgl. dazu die Richtlinie 5.2 zur «Erklärung») müssen Redaktionen bei Kolumnen aber nur dann redigierend eingreifen, wenn berufsethische Normen in offensichtlicher Weise verletzt sind (Stellungnahme 17/2001).

3. Entsprechend ist vorliegend zu prüfen, ob die vom Beschwerdeführer als «fehlerhafte Aussagen» bewerteten Sätze, von der «Weltwoche» als offensichtlich unwahr hätten erkannt werden und die Redaktion deshalb redigierend hätte eingreifen müssen.

a) Bezüglich der Aussage «Die Bauern in der Schweiz erhalten vier Milliarden Franken Direktzahlungen von den Steuerzahlenden» macht der Beschwerdeführer geltend, tatsächlich zahle das Bundesamt für Landwirtschaft pro Jahr bloss etwa 2,7 Milliarden in Form von Direktzahlungen an Landwirtschaftsbetriebe aus, die den ökologischen Leistungsausweis erfüllten. Von den vier Milliarden des Agrarpolitik-Budgets, von denen Peter Bodenmann schreibe, würden alleine 290 Millionen an Lebensmittelverarbeiter und 36 Millionen an die Mitarbeiter des Bundesamts für Landwirtschaft fliessen. Ein grosser Teil des Agrarbudgets lande mithin gar nicht bei den Landwirten.

Ungeachtet davon, ob die Zahlen und Präzisierungen des Beschwerdeführers zutreffen – was vom Presserat nicht zu prüfen und zu beurteilen ist – gehen diese Einwände an der Sache vorbei. Denn im Ergebnis bestreitet X. nicht, dass der Globalbetrag des Agrarbudgets vier Milliarden ausmacht. Gestützt darauf ist der beanstandete Satz «Die Bauern in der Schweiz erhalten vier Milliarden Franken Direktzahlungen von den Steuerzahlenden» als journalistisch zulässige Zuspitzung zu werten, die als solche nicht gegen die Ziffer 1 der «Erklärung» verstösst.

b) Den Satz «Weitere vier Milliarden knöpfen sie (die Bauern) den Konsumenten in Form von überhöhten Preisen ab» bezeichnet der Beschwerdeführer lediglich als unbelegt und polemisch, nicht aber ausdrücklich als falsch. Gestützt auf die ihm vorliegenden Unterlagen ist für den Presserat eine (offensichtliche) Unwahrheit dieser Aussage entsprechend nicht erstellt. Ohnehin ist Peter Bodenmann der Leserschaft der «Weltwoche» als Kolumnist bestens bekannt und der Hinweis am Ende des Textes, der Autor sei «Hotelier in Brig und ehemaliger Präsident der SP Schweiz» verdeutlicht zusätzlich, dass es sich bei der beanstandeten Aussage nicht um die Präsentation von wissenschaftlich erhobenen Daten, sondern um eine wertende Einschätzung eines Gastkommentators handelt.

c) Für den Presserat nicht erkennbar ist weiter, was an den beiden Sätzen «Das Land Baden-Württemberg hat mehr als 10 Millionen Einwohner. Und viel weniger Fläche als die Schweiz» falsch sein soll. Der Beschwerdeführer beanstandet dazu, die Aussage sei ungenau oder irreführend, da das Bundesland Baden-Württemberg eine grössere nutzbare Landwirtschaftsfläche als die Schweiz habe. Baden-Württemberg habe zudem keine Berge, sei flacher und könne mehr Bevölkerung an einem Punkt zentrieren. Das mag zwar alles zutreffen, und dem Beschwerdeführer steht es darüber hinaus frei, den Vergleich zwischen Baden-Württemberg und der Schweiz als absurd zu werten. Dies ändert aber nichts daran, dass die Aussage, Baden-Württemberg habe mehr als 10 Millionen Einwohner und sei flächenmässig kleiner als die Schweiz ebenso richtig ist.

d) Schliesslich macht X. geltend, die Sätze «Beim Vergleichen von Volkswirtschaften zählt (…) nur das reale Wirtschaftswachstum pro Kopf. Und hier ist die Schweiz schlecht unterwegs. Weil die Pro-Kopf-Einkommen real wenig bis nicht steigen», das Wirtschaftswachstum pro Kopf könne nicht wachsen, wenn es in den umliegenden Ländern auch nicht wachse. Offenbar meine der Kolumnist etwas anderes.

Für den Presserat sind die beanstandeten Sätze der Kolumne sehr wohl verständlich und nachvollziehbar. Das reale Wirtscha
ftswachstum pro Kopf lässt sich ohne Weiteres aus dem vom Bundesamt für Statistik veröffentlichten Bruttoinlandprodukt pro Einwohner – bereinigt um die Teuerung – berechnen. Dazu zeigen die jüngsten Zahlen zudem offenbar, dass das Wirtschaftswachstum der letzten Jahre in der Schweiz in erster Linie auf die starke Zuwanderung zurückzuführen ist. Auch in diesem Punkt erweist sich die Beschwerde deshalb als offensichtlich unbegründet.

III. Feststellung

Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.