Nr. 34/2012
Wahrheits- und Berichtigungspflicht / Unterschlagung von Informationen /Anhörung bei schweren Vorwürfen

(Iyengar-Yoga Vereinigung Schweiz c. «NZZ am Sonntag») Stellungnahme des Presserates vom 11. Juli 2012

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I. Sachverhalt

A. Am 22. Januar 2012 veröffentlichte die «NZZ am Sonntag» einen ausführlichen Artikel von David Signer mit dem Titel «Die Yoga-Lüge». Entgegen der verbreiteten Annahme sei Yoga nicht gut für die Gesundheit. Vielmehr seien die gesundheitlichen Gefahren viel grösser als bisher angenommen. Der Autor stützt seine These auf einen am 9. Januar 2012 in der «New York Times» erschienenen Artikel («How Yoga can wreck your body»), welcher unzählige Einzelfälle aufzähle, bei denen Yoga-Übungen zu ernsthaften gesundheitlichen Problemen geführt hätten.

Darüber hinaus kritisiert er, Yoga wie es heute mehrheitlich im Westen gelehrt und praktiziert werde, sei «Lichtjahre von der ursprünglichen indischen Lehre entfernt». Ursprüngliches Yoga habe eigentlich nichts mit Körperkult, Fitness oder Leistungsoptimierung zu tun, vielmehr gehe es «traditionell um Askese, um die Vorstellung, alles Weltliche sei Illusion, Leiden und Vergänglichkeit». Besonders problematisch sei das Interieur vieler Yogastudios. «Wie sollen all die Spiegel einhergehen mit dem anvisierten Geist der Selbstlosigkeit?» Die Schweiz und insbesondere Zürich hätten übrigens eine wichtige «Brückenkopf-Funktion» beim Transfer von Yoga in den Westen gehabt. Und dass Lady Gaga im vergangenen Jahr ausrechnet einer Zürcher Yogaschule einen Besuch abgestattet habe, sei kein Zufall. Zürich gelte heute als Yoga-Hauptstadt. «Allein in Zürich üben 20’000 Schüler in etwa hundert Yoga-Zentren (…) Anstatt dass die Yoga-Adepten ihren Stress, ihren Ehrgeiz und ihren Narzissmus loslassen lernen, tragen sie ihn in die Übungsräume.»

B. Am 30. Januar und 9. Februar 2012 wandte sich die Iyengar-Yoga-Vereinigung Schweiz an die Chefredaktion der «NZZ am Sonntag» und verlangte den Abdruck einer ausführlichen Gegendarstellung. Sowohl der Titel «Die Yoga-Lüge» als auch die Behauptung, die gesundheitlichen Gefahren von Yoga seien viel grösser als angenommen, seien falsch. Es treffe auch nicht zu, dass Yoga-Lehrer Verletzungsgefahren verschwiegen. In den Räumlichkeiten von B-K-S. Iyengar werde nicht mit Spiegeln gearbeitet. Und das «ursprüngliche Yoga» lasse sich heute geschichtlich gar nicht mehr eruieren. Entsprechend sei ein Vergleich des heutigen mit dem früheren Yoga nicht möglich.

C. Nach einigem Hin und Her per E-Mail teilte die «NZZ am Sonntag» am 3. März 2012 der Vereinigung mit, man lehne den Abdruck einer Gegendarstellung ab. Ebenso komme es nicht in Frage, einen PR-Artikel über das Iyengar-Yoga zu veröffentlichen.

D. Am 4. Juni 2012 beschwerte sich die Präsidentin Ingrid M. Balles namens der Iyengar-Yoga-Vereinigung Schweiz beim Presserat und beanstandete, der Bericht der «NZZ am Sonntag» verletze die Ziffer 3 (Unterschlagung von Informationen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» sowie die Richtlinien 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) und 5.1 (Berichtigung) zur «Erklärung».

Die «NZZ am Sonntag» unterschlage in ihrem Bericht, dass die «New York Times» am 20. Januar 2012 eine Gegendarstellung der amerikanischen Iyengar-Yoga-Vereinigung veröffentlicht habe. Im Artikel könne zudem kein Yoga-Lehrer zu den erstaunlichen Behauptungen («Yoga-Lüge») Stellung nehmen. Weiter enthalte der Bericht zwei falsche Tatsachenbehauptungen: Es treffe keineswegs zu, dass Yoga-Lehrer die Verletzungsgefahren verheimlichten. In Iyengar-Studios werde zudem nicht mit Spiegeln gearbeitet. Anhand der alten Schriften lasse sich zudem nicht belegen, was früher unter Yoga genau verstanden wurde. Ein entsprechender Vergleich sei deshalb gar nicht möglich.

E. Gemäss Art. 12 Abs. 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presseratspräsidium Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.

F. Das Presseratspräsidium, bestehend aus Presseratspräsident Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann, hat die vorliegende Stellungnahme per 11. Juli 2012 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Gemäss Art. 10 Abs. 1 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf eine Beschwerde ein, wenn sie offensichtlich unbegründet erscheint.

2. Die «NZZ am Sonntag» adaptiert im beanstandeten Bericht «Die Yoga-Lüge» zum Teil einen Artikel der «New York Times». Ist sie damit auch verpflichtet, eine von der «New York Times» veröffentlichte Gegendarstellung zum Originalbericht abzudrucken? Nach Auffassung des Presserats ist dies zu verneinen. Es ist für ein Schweizer Publikum nicht unabdingbar, zu wissen, wie sich die amerikanische Iyengar-Yoga-Vereinigung zum beanstandeten Bericht geäussert hat.

3. Wie aus der Korrespondenz zwischen der Beschwerdeführerin und der «NZZ am Sonntag» hervorgeht, steht in Bezug auf die Frage, ob und wie Yoga-Lehrer in der Schweiz ihre Schüler über gesundheitliche Gefahren aufklären, für den Presserat Aussage gegen Aussage. Eine Verletzung der Wahrheitspflicht ist unter diesen Umständen nicht erstellt, zumal die Beschwerdeführerin keinerlei Belege für ihre Tatsachenbehauptungen eingereicht hat. Ohnehin macht sie bloss geltend, Lehrer, die nach der Iyengar-Methode unterrichteten, berieten ihre Schüler auch in gesundheitlicher Hinsicht umfassend und würden dazu – wenn nötig – einen Arzt beiziehen. Dies sagt aber nichts darüber aus, ob dies andere Schweizer Yoga-Schulen ebenfalls so handhaben.

Dasselbe ist in Bezug auf die Kritik des Autors an der Zunahme von Spiegeln in Yoga-Studios festzustellen. Allein durch das Dementi der Beschwerdeführerin, wonach in Iyengar-Studios keine Spiegel verwendet würden, ist keineswegs belegt, dass der Bericht der «NZZ am Sonntag» die Wahrheitspflicht verletzt. Schreibt doch David Signer lediglich, vom «Interieur vieler Studios», was Raum für spiegellose Trainingsräume lässt.

Im Lichte der Kommentarfreiheit für zulässig hält der Presserat schliesslich auch den wertenden Vergleich des Autors, wonach gewisse Aspekte des westlichen Yoga-Booms, insbesondere Zeitdruck und Leistungszwang, in scharfem Kontrast zum traditionellen Geist von Askese und Selbstlosigkeit stünden. Mit «traditionellem» Yoga ist dabei offensichtlich das «Yoga» gemeint, wie es laut der «NZZ am Sonntag» Ende des 19. Jahrhunderts und im 20. Jahrhundert im Westen und in der Schweiz Einzug hielt. Dabei deutet David Signer durchaus an, dass sich der Ursprung dieses traditionellen Yoga offenbar nicht ohne Weiteres eruieren lässt, wenn er ausführt, das «Hata-Yoga, also jener heute vornehmlich gepflegte Zweig», sei nicht so «urindisch», wie es häufig dargestellt werde.

4. Ist eine Unterschlagung von wichtigen Informationen sowie eine Verletzung der Wahrheitspflicht zu verneinen, war die «NZZ am Sonntag» auch nicht verpflichtet, eine Berichtigung zu veröffentlichen.

5. Soweit die Beschwerdeführerin schliesslich eine Verletzung der Anhörungspflicht (Richtlinie 3.8) beanstandet, erscheint zunächst fraglich, ob der Vorwurf, Yoga-Lehrer klärten ihre Schüler ungenügend über gesundheitliche Gefahren auf, überhaupt als «schwer» im Sinne dieser Bestimmung zu werten ist. Ungeachtet davon ist die Kritik derart allgemein formuliert, dass es an einer vom Vorwurf unmittelbar betroffenen Person fehlt. Weder die Beschwerdeführerin noch andere Yoga-Vereinigungen sind dadurch in einer Weise betroffen, dass die «NZZ am Sonntag» sie zwingend hätte anhören müssen.

III. Feststellung

Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.