Nr. 36/2012
Wahrheit / Entstellung von Informationen / Leserbriefe / Privatsphäre

(Schmidhauser c. «Beobachter») Stellungnahme des Presserates vom 13. Juli 2012

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I. Sachverhalt

A. Am 13. April 2012 veröffentlichte der «Beobachter» in der Ausgabe Nr. 8/2012 einen Artikel von Daniela Schwegler mit dem Titel «Streit um Allahs Botschaft». Darin berichtet die Journalistin über eine politische Auseinandersetzung zum islamischen Religionsunterricht in der Gemeinde Kreuzlingen. Der Lead lautet: «Muslimische Kinder in Kreuzlingen erhalten ganz offiziell islamischen Religionsunterricht. Doch jetzt wollen die Schweizer Demokraten den Koran aus den Schulen verbannen.»

Seit eineinhalb Jahren erhielten 53 muslimische Buben und Mädchen islamischen Religionsunterricht an der Primarschule Kreuzlingen. Dabei lernten sie den Islam mit seiner Geschichte und seinem religiösen Leben kennen, ebenso aber andere Religionen. Der Unterricht basiere auf in Bayern entwickelten Lehrplänen sowie auf einem unter anderem auch in den Luzerner Schulgemeinden Ebikon und Kriens benutzten Lehrmittel.

Dies gefalle im Thurgau nicht allen und «wecke diffuse Ängste». Eine Gruppe um Willy Schmidhauser, Präsident der Schweizer Demokraten im Thurgau, wolle mit der kantonalen Volksinitiative «Gegen frauenfeindliche, rassistische und mörderische Lehrbücher» diesen Unterricht «gleich ganz aus den Schulzimmern verbannen». Pikant sei dabei, dass Schmidhauser vor einiger Zeit in seiner Parteizeitung dazu aufgerufen habe, Muslime allein aufgrund ihrer Religion nicht einzubürgern. Er sei deshalb wegen Rassismus verurteilt worden. Das Thurgauer Obergericht habe ihm in zweiter Instanz im April 2011 eine «bedenkliche Uneinsichtigkeit» und «unheilvolle Mischung» aus «verblendeter Rechthaberei, eingebildetem Wissen und borniertem Nationalismus» vorgeworfen.

Der Präsident des hinter dem Islam-Unterricht stehenden Vereins sowie eine Pädagogikdozentin, die das Projekt wissenschaftlich begleitet, kritisieren im «Beobachter»-Artikel, Schmidhauser werfe den Muslimen in der Schweiz unterschwellig vor, sie seien nicht demokratiefähig. Und er habe offenbar den Lehrplan nicht angeschaut und übersehen, dass es «kein fundamentalistisch islamisches Insider-Dokument ist, sondern ein fundierter und staatlich bewilligter Fachlehrplan für Islam-Unterricht an Grundschulen».

B. Am 21. Mai 2012 beschwerte sich Willy Schmidhauser, Dettighofen, beim Presserat über den «Beobachter»-Bericht, der falsche Aussagen und Anschuldigungen enthalte. Der Satz «Muslimische Kinder in Kreuzlingen erhalten ganz offiziell islamischen Religionsunterricht» sei falsch. Weder das Volk noch das Parlament sei dazu je befragt worden. Der «Beobachter»-Artikel gaukle der Leserschaft mit «faulen und lächerlichen Argumenten» eine «seriöse Vermittlung des Koran» vor, was «nachgewiesen und weltweit dokumentiert niemals» stimme.

Der «Beobachter» spitze die von 5000 Personen unterzeichnete Initiative auf seine Person zu und bemühe dafür ein «äusserst fragwürdiges und juristisch umstrittenes Urteil aus dem Thurgau». Der Initiator des Koranunterrichts in Kreuzlingen sowie die vom «Beobachter» ebenfalls zitierte Dozentin operierten ihm gegenüber zudem mit falschen und «ehrverletzenden» Unterstellungen. Schliesslich sei eine Stellungnahme des Initiativkomitees auf ein «ganz kleines Leserbrieflein» zusammengestrichen worden.

C.
Auf Aufforderung des Presseratssekretariats hin gab Willy Schmidhauser in einer ergänzenden Eingabe vom 12. Juni 2012 an, die Berichterstattung des «Beobachter» verletze die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Entstellung von Tatsachen), 4 (Lauterkeit der Recherche), 5 (Leserbriefe), 7 (Respektierung der Privatsphäre) und 8 (Menschenwürde, Diskriminierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten».

D. Gemäss Art. 12 Abs. 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presseratspräsidium Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.

E. Das Presseratspräsidium, bestehend aus Presseratspräsident Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann, hat die vorliegende Stellungnahme per 13. Juli 2012 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Gemäss Art. 10 Abs. 1 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf eine Beschwerde ein, wenn sie offensichtlich unbegründet erscheint.

2. Zunächst ist festzustellen, dass sich der Beschwerdeführer in seiner Beschwerdeergänzung vom 12. Juni 2012 darauf beschränkt, zu seinen einzelnen Beanstandungen jeweils eine oder mehrere Ziffern der «Erklärung» anzuführen, ohne jedoch näher zu begründen, weshalb die einzelnen Bestimmungen verletzt sein sollen. Insbesondere ist für den Presserat durch die vom Beschwerdeführer eingereichten Unterlagen nicht belegt, inwiefern einzelne der vom «Beobachter» veröffentlichten Äusserungen Dritter wahrheitswidrig oder ehrverletzend sein sollen.

3.
Willy Schmidhauser ist als langjähriger Präsident der Schweizer Demokraten Thurgau immer wieder mit politisch zumindest kontroversen Stellungnahmen und Leserbriefen in der (Thurgauer) Öffentlichkeit präsent. Die thurgauische Volksinitiative «Gegen frauenfeindliche, rassistische und mörderische Lehrbücher», dessen Initiativkomitee der Beschwerdeführer angehört, bewegt sich thematisch im gleichen politischen Kontext. Entsprechend ist es dem «Beobachter» berufsethisch unbenommen, seine Leserschaft darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer zu den Urhebern der Initiative gehört. Ebenso ist es zulässig, im gleichen Kontext auf die Verurteilung Schmidhausers durch das Thurgauer Obergericht wegen Rassendiskriminierung vom Frühjahr 2011 hinzuweisen, steht doch auch dieses Urteil mit der Haltung des Beschwerdeführers gegenüber dem Islam und den Muslimen in der Schweiz in Zusammenhang.

4. Gemäss ständiger Praxis des Presserates entscheiden die Redaktionen nach eigenem Ermessen, ob sie einen bestimmten Leserbrief abdrucken oder nicht (vgl. zuletzt die Stellungnahme 11/2012 mit zahlreichen Hinweisen). Redaktionen dürfen Leserbriefe zudem redigieren und kürzen, sofern der Sinn dadurch nicht entstellt wird (Stellungnahmen 48/2008 und 53/2009).

Vorliegend hat der «Beobachter» in der Nr. 9/2012 vom 27. April 2012 zwei kurze Leserbriefe abgedruckt, davon einen des Initiativkomitees mit folgendem Inhalt: «Der Artikel ist eine Beleidigung für die fast 5000 Unterzeichner der Thurgauer Initiative ‹Gegen frauenfeindliche, rassistische und mörderische Lehrbücher›. Unsere Initiative will nichts anderes als den Koran-Unterricht an den Volksschulen verhindern. Gemäss Religionsfreiheit kann der Koran in Moscheen und Gebetshäusern vermittelt werden, aber bitte nicht in den Volksschulen, weil diese indirekt unserer Verfassung verpflichtet sind.» Diese Kurzfassung einer sehr ausführlichen Stellungnahme mit teils zumindest grenzwertigem Wortlaut – Gleichsetzung von Koran und Rassismus; der Koran sei mit der Glaubensfreiheit und der Bundesverfassung nicht vereinbar – gibt die politische Stossrichtung des Initiativkomitees nach Auffassung des Presserats in sprachlich «entschärfter» Form inhaltlich durchaus korrekt wieder. Ebenso wenig ist es unter diesen Umständen zu beanstanden, dass der «Beobachter» darauf verzichtete, einen ähnlichen Leserbrief Schmidhausers abzudrucken.

5. Im Weiteren erschöpft sich die Beschwerde von Willy Schmidhauser darin, die im Artikel erwähnte strafrechtliche Verurteilung durch das Obergericht Thurgau als «Skandal» zu kritisieren und zu beanstanden, die Befürworter des Islam-Unterrichts kämen im «Beobachter»-Artikel in einseitiger Weise zu Wort, ohne dass ihre Aussagen hinterfragt würden.

Zunächst ist der Presserat offensichtli
ch nicht zuständig, zu überprüfen, ob das Thurgauer Obergericht den Beschwerdeführer zu Recht wegen Rassendiskriminierung verurteilt hat. Und in Bezug auf die angebliche Einseitigkeit des «Beobachter»-Berichts ist daran zu erinnern, dass gemäss ständiger Praxis des Presserats aus der «Erklärung» keine Pflicht zu «objektiver» Berichterstattung abzuleiten ist. Mithin sind auch einseitige, parteiergreifende Artikel mit der «Erklärung» vereinbar. Von daher zielt die Kritik Schmidhausers, die Gegenseite komme im Artikel in einem unverhältnismässigen Ausmass zu Wort, von vornherein ins Leere.


III. Feststellung

Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.