Nr. 10/1999
Vollständige Information bei Produkte-Tests

(Verein Atops c. „Puls-Tip“) Stellungnahme des Presserates vom 30. Juni 1999

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I. Sachverhalt

A. Unter dem Titel „Pflegemittel versagen im Schadstoff-Test“ veröffentlichte die Zeitschrift „Puls-Tip“ in ihrer Ausgabe vom Januar 1999 einen Test über Kosmetikmittel für Neurodermitiker. Der Test stammt ursprünglich aus der deutschen Zeitschrift „Öko-Test“ vom März 1998 und wurde für schweizerische Verhältnisse angepasst und im Umfang reduziert. Die Testreihe geht nicht auf die Heilwirkung der Mittel ein, sondern zeigt, dass in manchen von ihnen umstrittene Produkte verarbeitet sind, die Nebenwirkungen haben könnten. Im Artikel werden zwei Schweizer Experten zum Wesen der Neurodermitis zitiert: Stanislaw Büchner, Dermatologe am Kantonsspital Basel und Liz Isler, Präsidentin des Vereins Atops, der sich seit 10 Jahren der Interessen der von Neurodermitis Betroffenen annimmt. Artikel und Testübersicht im „Puls-Tip“ waren ergänzt mit Tipps vom Verein Atops.

B. Als Reaktion auf den Artikel verschickte der Verein Atops eine als Gegendarstellung betitelte Studie an „Puls-Tip“, als Kopie aber gleichzeitig an Gesundheitsbehörden, Kosmetikhersteller und den Schweizer Verband der Journalistinnen und Journalisten als Träger des Presserats. Darin kritisiert der Verein Atops die Testreihe als „fachlich inakzeptabel“. Es würden beispielsweise Medikamente und Kosmetika in der Testreihe miteinander verglichen. Dies habe bei den Patientinnen und Patienten zu massiver Verunsicherung geführt. Der Verein Atops distanziere sich vehement von den Testresultaten und habe auch den verantwortlichen Redaktor gebeten, auf eine Publikation zu verzichten, schreibt Liz Isler. Jetzt aber werde im Gegenteil der Eindruck erweckt, der Verein Atops befürworte die fragliche Testreihe.

C. „Puls-Tip“ ging in einem zweiten Artikel in der März-Ausgabe auf die heftigen Reaktionen ein, die ihr erster Artikel ausgelöst hatte. Liz Isler und Stanislaw Büchner werden erneut zitiert und machen darauf aufmerksam, dass der Test aus ihrer Sicht unseriös und verunsichernd ist.

D. Mit Schreiben vom 22. März 1999 an den Presserat konkretisierte der Verein Atops seine Vorwürfe an „Puls-Tip“ – und ergänzte sie um einige zusätzliche Punkte. Der Verein Atops sieht durch das Verhalten von „Puls-Tip“ die Präambel der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ verletzt, vor allem den Punkt, der auf die „Verantwortlichkeit der Journalisten gegenüber der Öffentlichkeit“ eingeht. Die Verunsicherung einer zum Teil schwer chronisch kranken Bevölkerungsgruppe durch schlechte Recherchen sei verantwortungslos, schreibt Atops. Ferner sei Ziff. 5 der „Erklärung“ (Berichtigung) verletzt, da ihre Gegendarstellung nicht abgedruckt worden sei. Stattdessen habe „Puls-Tip“ ihre Zitate „erneut aus dem Kontext gerissen“. Dadurch sei die Glaubwürdigkeit des Vereins Atops geschädigt worden, was auch finanzielle Konsequenzen habe. Die unzähligen Reaktionen auf die Artikel hätten zudem das Privatleben der Präsidentin Liz Isler beeinträchtigt (Verstoss gegen Ziff. 7 der „Erklärung“ – Respektierung der Privatsphäre).

E. Mit Brief vom 25. Mai 1999 nahm „Puls-Tip“ gegenüber dem Presserat Stellung zu den Verwürfen von Atops. Bei der Veröffentlichung von Testresultaten sei es entscheidend, dass die Leser klar erführen, nach welchen Kriterien ein Testergebnis zustande komme. Diese Kriterien müssten nicht Branchen-Richtlinien oder gesetzlichen Verordnungen entsprechen. „Im ‘Puls-Tip’ war klar ersichtlich, nach welchen Kriterien die Pflegemittel getestet wurden“, schreibt die Redaktion „Puls-Tip“. In den zweiten Artikel seien zudem „aktuelle Stellungnahmen der Parteien“ eingeflossen.

F. Die Beschwerde wurde vom Präsidium des Presserats der dritten Kammer zugewiesen, welche sie an der Sitzung vom 15. April 1999 sowie auf dem Korrespondenzweg behandelte. Der dritten Kammer des Presserats gehören an: Reinhard Eyer (Vizepräsident des Presserats und Kammerpräsident), Catherine Aeschbacher, Luisa Ghiringhelli, Marie-Therese Larcher, Iwan Lieberherr und Adi Kälin.

II. Erwägungen

1. Produktetests, die im Auftrag von Redaktionen bei unabhängigen Instituten durchgeführt werden, sind grundsätzlich ein wichtiges journalistisches Mittel. Die Tests sind auch aus ethischer Sicht zu begrüssen, da sie die journalistische Unabhängigkeit gegenüber Produzenten und Verteilern der Produkte dokumentieren und einzig das Interesse der Konsumentinnen und Konsumenten im Auge haben. Diese Unabhängigkeit den wirtschaftlichen Akteuren (und Inserenten) gegenüber ist eine der zentralen Forderungen der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“, auf die sich die Arbeit des Presserats stützt. „Puls-Tip“ macht denn auch in ihrer Stellungnahme zu Recht darauf aufmerksam, dass die Kriterien für die Testreihen nicht dem Brancheninteresse zu folgen hätten – ebenso wenig den gesetzlichen Bestimmungen. Nur wenn die Testgrundlagen unabhängig von der bisherigen Praxis aufgestellt werden, können ja unter Umständen Mängel ebendieser Praxis aufgedeckt werden. Aus diesem Grund sieht der Presserat auch keinen Anlass, auf die von Atops gerügte Verletzung der Kosmetikverordnung durch ein angeblich falsch deklariertes Produkt in der Testreihe einzugehen. Unter denselben Gesichtspunkten kann der Presserat auch keine Verletzung der in der Präambel der Erklärung festgehaltenen Grundsätze sehen: Dort wird nämlich darauf verwiesen, dass die Verantwortlichkeit der Journalistinnen und Journalisten gegenüber der Öffentlichkeit Vorrang habe vor jeder anderen (Verantwortlichkeit). Speziell erwähnt wird die Verantwortlichkeit gegenüber den Arbeitgebern und gegenüber staatlichen Organen.

2. Produktetests sind zwar als solche zu begrüssen, sie bergen aber auch gewisse Risiken. Sie kommen im Kleid der Wissenschaftlichkeit daher und wirken auf Leserinnen und Leser nüchtern und sachlich. Damit täuschen sie unter Umständen eine Objektivität vor, die sie natürlich stets nur bedingt haben. Je nach Art der Befragung, der Zusammenstellung der Produktereihe und der verwendeten Methoden kommen unterschiedliche Ergebnisse zustande. Gerade weil Leserinnen und Leser bereit sind, den Tests Vertrauen zu schenken, ist den Journalisten, die Tests veröffentlichen, eine erhöhte journalistische Sorgfaltspflicht abzuverlangen. Vor allem müssen Quellen und Entstehungsweise, Hintergründe und Absichten des Tests exakt deklariert werden.

3. Die erhöhte Sorgfaltspflicht drängt sich grundsätzlich auch auf, weil es um die Berichterstattung über Medikamente (und Pflegemittel für Patienten) geht, von denen viele Betroffene direkt abhängig sind. Das heisst nun allerdings nicht, dass die offenbar durch die „Puls-Tip“-Artikel ausgelöste Verunsicherung der Patienten allein schon einen Verstoss gegen journalistische Regeln beinhaltet, wie das der Verein Atops sieht. Im Gegenteil: Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Patienten ebenso wie Nichtpatienten an der ungeschminkten Wahrheit über die von ihnen verwendeten Produkte interessiert sind – und allenfalls von den Ergebnissen einer Testreihe profitieren können. Ziffer 1 der „Erklärung der Pflichte und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ hält ausdrücklich fest, dass sich Journalisten an die Wahrheit zu halten hätten, „ohne Rücksicht auf die sich daraus für sie ergebenden Folgen“. Ebenso wie die Journalisten haben auch die andern Akteure diese Folgen zu tragen, wenn sie der Wahrheitsfindung dienen. Daher kann auch der Verein Atops im Grundsatz keine Verletzung der Privatsphäre als Folge eines Artikels geltend machen.

4. Der Verein Atops rügt in seiner Beschwerde, dass seine Gegendarstellung nicht abgedruckt worden sei, wie dies Ziffer 5 der „Erklärung“ verlange. Nun ist festzustellen, dass die mehrseitige Studie von Atops in keiner Weise
den gesetzlichen Bestimmungen einer Gegendarstellung entsprach. Unabhängig davon postuliert Ziffer 5 der „Erklärung“, dass Fehler berichtigt werden – in welcher Form wird offen gelassen. „Puls-Tip“ ist in einem zweiten Artikel auf die Reaktionen eingegangen, die auf der Redaktion nach Publikation des ersten Artikels eingegangen sind. Unbestrittenermassen haben zwischen erstem und zweitem Artikel Gespräche zwischen der Redaktion und den beiden Experten stattgefunden. Einen zweiten Artikel zu publizieren, in dem auf die Vorwürfe eingegangen wird, ist im Prinzip ein gangbarer Weg der Berichtigung. Allerdings gebietet die journalistische Fairness, dass bei dieser Form der Berichtigung die Argumente der Kritiker in klarer und eindeutiger Form wiedergegeben werden.

5. Der Presserat sieht es nicht als seine Aufgabe an, auf die wissenschaftliche Diskussion über den Nutzen und möglichen Schaden einzelner Produkte für Neurodermitiker einzugehen. Er beschäftigt sich einzig mit den ethischen Grundregeln, denen sich Journalistinnen und Journalisten zu unterziehen haben. So postuliert Ziffer 3 der „Erklärung“ etwa, dass Journalisten keine wichtigen Elemente von Informationen unterschlagen sowie Tatsachen, Dokumente und Bilder nicht entstellen. Dazu gehörte in diesem Fall, dass die Rolle der beiden Neurodermitis-Experten klar deklariert würde. Der erste Artikel im „Puls-Tip“ erweckt nun aber den falschen Eindruck, sowohl Liz Isler von Atops wie auch Stanislaw Büchner vom Kantonsspital Basel stünden hinter dem veröffentlichten Test. Beide Experten nehmen zu Beginn des Artikels grundsätzlich Stellung zu Neurodermitis und geben Tipps für richtiges Verhalten ab. Ein speziell ausgegliederter Text mit Tipps des Vereins Atops erweckt zusätzlich den Eindruck, die Testveröffentlichung werde von Atops unterstützt. Obwohl Liz Isler die Redaktion gebeten hatte, den Test nicht zu veröffentlichen, kann sie im Artikel selber die Grundlagen des Tests nirgends kritisieren. Der einzige Einwand von ihr, man dürfe chemische Produkte nach dem Test nun nicht verteufeln, ist jedenfalls keine prinzipielle Distanzierung vom Test und seinen Grundlagen. Ganz offensichtlich hat die Redaktion des „Puls-Tip“ von den beiden Experten nur unverfängliche Zitate verwendet, um der Testreihe zusätzliche Glaubwürdigkeit zu verleihen. Damit hat sie aber das Publikum über die wahre Haltung der beiden Akteure im Unklaren gelassen. Die Kritiker kommen zwar im zweiten Artikel klarer zu Wort, noch immer aber wird Liz Isler nicht Gelegenheit geboten, eine unzweideutige Aussage zum Test zu machen. Damit hat „Puls-Tip“ gegen die Forderung von Ziffer 3 der „Erklärung“ verstossen.

6. „Puls-Tip“ selber macht in seiner Stellungnahme darauf aufmerksam, dass es entscheidend sei, den Lesern die Kriterien des Tests transparent zu machen. Den eigenen Ansprüchen genügt „Puls-Tip“ allerdings nur ungenügend. Zwar wird darauf aufmerksam gemacht, dass der Test aus der Zeitschrift „Öko-Test“ stammt. Es fehlen aber Angaben darüber, wann der Test erstmals veröffentlicht wurde (fast ein Jahr früher) und wie „Öko-Test“ die Produkte begutachtet hat. Es wird auch nicht offengelegt, nach welchen Kriterien „Puls-Tip“ die Produktereihe der ersten Untersuchung reduziert hat. Auch vermisst man deutliche Hinweise darauf, dass die Heilwirkung der Produkte nicht berücksichtigt wurde, sondern dass es ausschliesslich um mögliche negative Nebenwirkungen von Substanzen ging. Gerade wenn es um die Veröffentlichung relativ alter Testergebnisse geht, sollte die Leserschaft auch über die zwischenzeitliche Entwicklung und allfällige Reaktionen orientiert werden.

III. Feststellungen

1. Produktetests sind aus ethischer Sicht grundsätzlich zu begrüssen, dokumentieren sie doch die Unabhängigkeit der Journalisten gegenüber den Herstellern. Gleichzeitig ermöglichen sie es den Konsumentinnen und Konsumenten, ein sachlicheres Bild der Produktewelt zu erhalten, als es ihnen die Werbung täglich vorhält.

2. Gerade weil die Tests einen sachlichen und unabhängigen Eindruck erwecken, ist eine besondere journalistische Sorgfaltspflicht gefordert. Vor allem muss klar und detailliert deklariert werden, nach welchen Kriterien die Tests entstanden sind. Werden Experten in die Berichterstattung integriert, muss deren Haltung zu den Grundlagen und Ergebnissen des Tests klar zum Ausdruck kommen.

3. „Puls-Tip“ hat die Testgrundlagen zu wenig klar kommuniziert und zudem in Bezug auf die Haltung der beiden beteiligten Experten einen falschen Eidnruck erweckt. Damit hat die Zeitschrift gegen Ziffer 3 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ verstossen.