Nr. 38/2012
Urheberrechtliche Nutzungsrechte / Angemessene Abgeltung / Anhörung der Redaktion / Zuständigkeit des Presserats

(Impressum c. Neue Luzerner Zeitung AG/ Neue Zürcher Zeitung AG/Tamedia AG) Stellungnahme des Presserates vom 6. August 2012

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I. Sachverhalt

A. Am 14. April 2011 erhob Impressum beim Presserat Beschwerde gegen die Neue Luzerner Zeitung AG (nachfolgend: NLZ) und gegen die AG für die Neue Zürcher Zeitung (nachfolgend NZZ). Impressum habe am 14. Oktober 2010 von einem freien Journalisten erfahren, dass die NLZ sämtlichen freien Mitarbeitern ein Personalblatt habe zukommen lassen, das eine «umfassende», «zeitlich und örtlich unbeschränkte» Übertragung der urheberrechtlichen Nutzungsrechte an den Textbeiträgen, Illustrationen und Fotos an die NLZ AG vorsehe, welche die Freien in der NLZ publiziert haben. Auf den Hinweis der Journalistenverbände, wonach diese umfassende Rechtsabtretung branchenunüblich sei, habe sich die NLZ auf den Standpunkt gestellt, die neuen Copyright-Bestimmungen entsprächen durchaus den Gepflogenheiten und seien mit denjenigen der NZZ identisch. Die NLZ sei nicht verpflichtet, vor der Einführung neuer Urheberrechtsregelungen die Verbände zu konsultieren. Die NLZ strebe zusammen mit der NZZ eine gruppenweite Harmonisierung der Urheberrechtsregelung an, eine Ausnahme für einzelne Medientitel wie die NLZ sei daher nicht möglich.

Nach Auffassung von Impressum verstösst dieses Vorgehen von NLZ (und NZZ) gegen die Buchstaben d (Anhörung vor wichtigen verlegerischen Entscheiden), f (Anspruch auf einen Kollektivvertrag) und g (Anspruch auf angemessene Anstellungsbedingungen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten».

B. Am 20. April 2011 beantragte Impressum dem Presserat, seinen Nichteintretensentscheid vom 10. Dezember 2010 (Stellungnahme des Presserats 50/2010) in Wiedererwägung zu ziehen und zudem «auf die (ergänzende) neue Beschwerde vom 14. Dezember 2010 sowie vom 20. April 2011 betreffend unlauterer Informationsbeschaffung durch den Tamedia-Konzern» einzutreten.

Impressum verlange mit diesen Eingaben, dass der Presserat Stellung zur Frage nimmt, ob Tamedia mit dem unautorisierten wiederholten Mehrfachabdruck von Beiträgen eines freien Journalisten nicht die Buchstaben d (Anhörung vor wichtigen verlegerischen Entscheiden), f (Anspruch auf einen Kollektivvertrag) und g (Anspruch auf angemessene Anstellungsbedingungen) der «Erklärung der Rechte» verletze sowie gegen die Ziffer 4 der «Erklärung der Pflichten» (Lauterkeit der Recherche) verstosse.

Konkret sei der Artikel «Schaukeltour an den Ufern ded Tonle SAP» des Impressum-Mitglieds Daniel Peterlunger vereinbarungswidrig nicht nur im «Tages-Anzeiger» und auf «Tages-Anzeiger Online», sondern zusätzlich auf «Baseler Zeitung Online», «Thuner Tagblatt Online», «Berner Oberländer Online», «Berner Zeitung Online» und auf «Bund Online» erschienen. Ähnlich sei es auch einem anderen Impressum-Mitglied, Ignaz Miller, ergangen. Dessen Nachruf zum Tod des Bankiers Hans J. Bär sei ohne vorgängige Vereinbarung nicht nur im «Tages-Anzeiger» und auf «Tages-Anzeiger Online», sondern auch auf «Radio 24 Online», «Basler Zeitung Online», auf «Bund Online» sowie auf «Thuner Tagblatt Online» erschienen.

Trotz der Intervention von Impressum bei «Tages-Anzeiger»-Chefredaktor Res Strehle nehme der «Tages-Anzeiger» die systematische Urheberrechtsverletzung an den Werken seiner freien Journalistinnen und Journalisten nach wie vor in Kauf. Auch sei nicht ersichtlich, inwiefern das von Tamedia bezahlte Honorar dem Umfang der Mehrfachverwertung angemessen Rechnung trüge.

C. Am 12. Mai 2011 teilte das Presseratssekretariat Impressum mit, die beiden Beschwerden gegen NLZ/NZZ und Tamedia sowie das Wiedererwägungsgesuch zur Stellungnahme 50/2010 würden einstweilen sistiert, bis sich der Presserat in einer generellen Stellungnahme dazu geäussert habe, inwieweit der Presserat überhaupt zuständig sei, die geltend gemachten Verletzungen der «Erklärung der Rechte» zu berurteilen. Denn die Beurteilung der Beschwerden und des Wiedererwägungsgesuchs werde wesentlich von der Stossrichtung der auszuarbeitenden generellen Stellungnahme abhängen.

D. Am 23. November 2011 verabschiedete das Plenum des Presserats die Stellungnahme 51/2001. Gestützt auf eine Eingabe des Berufsverbands Impressum äussert sich der Presserat darin zur Frage, inwieweit es zu seinen Aufgaben gehört, nebst der Einhaltung der «Erklärung der Pflichten» auch die Respektierung der «Erklärung der Rechte» zu überprüfen. Er sieht sich zuständig, sofern im Einzelfall zwischen der angerufenen Bestimmung der «Erklärung der Rechte» und der redaktionellen, publizistischen Tätigkeit ein unmittelbarer Bezug besteht. Hingegen behandle der Presserat keine Beschwerden, die eine Verletzung des Rechts auf eine angemessene Aus- und Weiterbildung, des Anspruchs auf einen Kollektivvertrag oder auf angemessene individuelle Arbeitsbedingungen rügen. Es sei denn, eine Beschwerde mache plausibel geltend, dass unangemessene Arbeitsbedingungen oder eine ungenügende Aus- oder Weiterbildung in einem konkreten Fall unmittelbar zu einer berufsethischen Fehlleistung geführt haben.

Weder der Wortlaut der reglementarischen Grundlagen noch die Entstehungsgeschichte des Presserats deuteten darauf hin, dass es zu seinen Aufgaben gehöre, auf Beschwerde hin zu überprüfen, ob das «Recht» auf angemessene individuelle und kollektive Arbeitsbedingungen oder auf eine angemessene Aus- und Weiterbildung verletzt ist. Denn sowohl historisch als auch aktuell bestehen für ihn die Hauptfunktionen von Presseräten darin, einerseits Beschwerden zu beurteilen, welche die Verletzung von berufsethischen Pflichten beanstanden und andererseits die Presse- und Informationsfreiheit zu verteidigen. Gestützt darauf beurteile der Presserat auch Beschwerden, die eine Verletzung der «Erklärung der Rechte» rügen, sofern der Beschwerdesachverhalt in direktem Zusammenhang mit der Verteidigung der Presse- und Informationsfreiheit steht oder wenn die angerufene Bestimmung das unmittelbare Gegenstück zu einer berufsethischen Pflicht bildet.

Die beiden Erweiterungen der Trägerschaft des Presserats von 1999/2000 und 2008 hätten seine Zuständigkeit nicht verändert. Falls der Presserat – wie dies Impressum wünsche – künftig neu auch die materiellen Arbeitsbedingungen der Journalistinnen und Journalisten aus berufsethischer Optik beurteilen solle, wäre dies durch den Stiftungsrat der Stiftung «Schweizer Presserat» zu beschliessen, in dessen alleinigen Kompetenz die Abänderung der massgeblichen Reglemente liegt (Art. 5 Abs. 6 Stiftungsreglements).

E. Am 21. Dezember 2011 fragte das Presseratssekretariat Impressum an, ob der Verband angesichts der zwischenzeitlich verabschiedeten und veröffentlichten Stellungnahme 51/2011 an den beiden Beschwerden und dem Wiedererwägungsgesuch festhalte. Nachdem der Presserat in Bezug auf seine Zuständigkeit an der von Impressum kritisierten Stossrichtung festhalte, sei es absehbar, dass der Presserat seine in mit der Stellungnahme 51/2011 bestätigte Praxis bekräftige und nicht auf die Eingaben von Impressum eintrete.

F. Am 16. Januar 2012 teilte Impressum dem Presserat mit, man halte an den Eingaben fest.

G. Gemäss Art. 12 Abs. 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presseratspräsidium Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.

H. Das Presseratspräsidium, bestehend aus Presseratspräsident Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann, hat die vorliegende Stellungnahme per 6. August 2012 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Gemäss Art. 10 Abs. 1 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf Beschwerden ein, für die er nicht zuständig ist. Gemäs
s Art 1 Abs. 4 des Geschäftsreglements erstreckt sich die Zuständigkeit des Schweizer Presserates auf den redaktionellen Teil oder damit zusammenhängende berufsethische Fragen sämtlicher öffentlicher, periodischer und/oder auf die Aktualität bezogener Medien.

2. In der Stellungnahme 50/2010 hat der Presserat entschieden, nicht auf eine Beschwerde einzutreten, mit welcher Impressum gestützt auf konkrete Beispiele beanstandete, die Tamedia entschädige den Zeitaufwand von freien Journalist/innen in ungenügender, unfairer Weise Der Verlag führe zudem – ohne Anhörung der Berufsverbände – neue Verträge für freie Mitarbeitende ein, welche die Abgeltung der Urhebernutzungsrechte bei Mehrfachverwertung regeln. Damit verstosse der Konzern namentlich gegen die Buchstaben d (Anhörung vor wichtigen verlegerischen Entscheiden) und g (Anspruch auf angemessene Anstellungsbedingungen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten».

Der Presserat wies darauf hin, er äussere sich nur dann zu redaktionsinternen Vorgängen, wenn ein direkter Zusammenhang zwischen Beschwerdegegenstand und publizistischer Tätigkeit bestehe. Im konkreten Fall sei ein solch enger Bezug zu verneinen. Strittig zwischen den Parteien sei die Angemessenheit der von Tamedia an ihre freien Mitarbeiter ausbezahlten Honorare und die Einführung neuer Bestimmungen über die Abgeltung der Urheberrechte von freien Mitarbeitern. Mithin gehe es schwergewichtig um eine arbeits- und urheberrechtliche Auseinandersetzung, für die der Presserat nicht zuständig sei. Daran habe die Erweiterung der Trägerschaft der Stiftung «Schweizer Presserat» auf die Verleger und die SRG SSR per 1. Juli 2008 nichts geändert.

3. Das Plenum des Presserats hat in der erwähnten Grundsatzstellungnahme 51/2011 die Stossrichtung der Stellungnahme 50/2010 vollumfänglich bestätigt. Ein Eintreten auf das Gesuch um Wiedererwägung dieser Stellungnahme fällt schon deshalb ausser Betracht. Der Presserat verneint in der Stellungnahme die Frage, ob es seine Aufgabe sei, gestützt auf den Journalistenkodex die Abgeltung der Urhebernutzungsrechte der freien Journalist/innen bei Mehrfachverwertung von Medienberichten durch die Medienunternehmen zu überprüfen (Erwägung 5d ff.). Zwar sei die Kritik, dass Presseräte Fehlleistungen von Medienschaffenden gestützt auf einen individualethischen Ansatz beurteilen und dabei die materiellen Rahmenbedingungen ausblendeten, nicht neu und auch nicht unberechtigt. Diese Beschränkung auf «Fragen journalistischer Ethik» sei jedoch bei Presseräten – nicht nur in der Schweiz – systembedingt. «Es lässt sich kaum wegdiskutieren, dass sich Medienunternehmen und Journalisten bei der Auseinandersetzung um die materiellen Arbeitsbedingungen in geschlossenen Lagern gegenüberstehen, weshalb die diskursive Auseinandersetzung, wie sie Presseräte pflegen, von vornherein auf strukturelle Grenzen stösst.» Eine Verbesserung der materiellen «Bedingungen journalistischer Arbeit – und damit ihrer Qualität, auch hinsichtlich der Beachtung des Pressekodex» ist – analog zur Auffassung eines prominenten Vertreters des Deutschen Presserats – mithin primär eine «gewerkschaftliche Aufgabe».

4. a) Zwar beruft sich Impressum sowohl im Wiedererwägungsgesuch zur Stellungnahme 50/2010 als auch in den beiden Beschwerden gegen NLZ/NZZ und Tamedia formal ausschliesslich auf Bestimmungen der «Erklärung». Mit der gleichen Argumentation, mit der Impressum begründet, dass eine in Verletzung des Urheberrechts respektive ohne zusätzliche Abgeltung für die Mehrfachnutzung erfolgte Veröffentlichung eines Artikels eines freien Mitarbeiters Ziffer 4 der «Erklärung» verletzt, liesse sich generell geltend machen, eine zu tiefe Entlöhnung verletze die Pflicht zur lauteren Informationsbeschaffung. Ginge der Presserat darauf ein, erweiterte er seine Zuständigkeit entgegen der in der Stellungnahme 51/2011 bestätigten Praxis faktisch trotzdem auf die Beurteilung der materiellen Rahmenbedingungen der journalistischen Tätigkeit.

b) Ein ähnlicher Vorbehalt ist gegen das Argument vorzubringen, wonach eine Änderung von Urheberrechtsregelungen für freie Journalisten ohne vorgängige kollektive Konsultation der Betroffenen (und/oder ihrer Verbände) gegen Buchstabe d der «Erklärung» verstosse. Der Presserat hat dazu bereits in der Stellungnahme 50/2010 festgehalten, dass er weder aus dem Wortlaut der im Zusammenhang mit der Erweiterung der Trägerschaft der Stiftung «Schweizer Presserat» vereinbarten Protokollerklärungen zum Journalistenkodex noch aus den diesen zugrundeliegenden Verhandlungen einen übereinstimmenden Willen der Träger der Stiftung «Schweizer Presserat» ableite, die Zuständigkeit des Presserats auf sämtliche innerredaktionellen Belange, insbesondere auch auf die Arbeitsbedingungen der Journalistinnen und Journalisten zu erweitern. Entsprechend ist auch bei der Anwendung von Buchstabe d der «Erklärung der Rechte» wiederum darauf abzustellen, inwiefern der Gegenstand der Anhörung einen unmittelbaren Zusammenhang mit der journalistischen Tätigkeit hat.

c) Ungeachtet der formalen Argumentation stellt der Presserat deshalb fest, dass der ihm mit den Eingaben von Impressum vom 14. und 20. April 2011 unterbreitete Sachverhalt weitgehend demjenigen entspricht, welcher der Stellungnahme 50/2010 zugrunde liegt. Strittig ist wiederum die Einführung neuer Bestimmungen über die Abgeltung der Urheberrechte von freien Mitarbeitern sowie die konkrete Praxis der Tamedia im diesbezüglichen Umgang mit ihren Freien. Entsprechend hält der Presserat an seiner Auffassung fest, dass es schwergewichtig nicht um Fragen journalistischer Berufsethik, sondern vielmehr um eine arbeits- und urheberrechtliche Auseinandersetzung geht, zu deren Beurteilung sich der Presserat unverändert nicht als zuständig erachtet.

 
III. Feststellung

Der Presserat tritt nicht auf das Wiedererwägungsgesuch zur Stellungnahme 50/2010 und auf die Beschwerden vom 14. April 2011 i.S. NLZ/NZZ sowie vom 14. Dezember 2010/20. April 2011 i.S. Tamedia ein.