Nr. 7/1998
Selektion von Informationen / Kommentarfreiheit

(Kessler c. „Tages-Anzeiger“) Stellungnahme vom 30. April 1998

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I. Sachverhalt

A. Am 6. Dezember 1997 druckte der „Tages-Anzeiger“ in der Rubrik „ZÜRICH EXTERN“ folgen-de Meldung ab: „Der Drahtzieher des Vereins gegen Tierfabriken (VgT), Erwin Kessler, geht für Tie-re durch dick und dünn, wenn’s sein muss auch nackt. Für gewisse Menschen hat er oft weniger üb-rig. Sein neustes Opfer ist der Abt von Einsiedeln, Georg Holzherr. Kesslers Verein ist zwar jegliche Äusserung über die Tierhaltung der Klöster Einsiedeln und Fahr gerichtlich verboten worden. Gleichwohl verunglimpft Kesslers VgT in einem Fax an die Medien den Klostervorsteher. Unter-zeichnet ist das üble Pamphlet mit VgT Österreich (…) Die Mitteilung jedoch stammt aus Erwin Kesslers Faxgerät (…).“

Anlass der Berichterstattung des „Tages-Anzeigers“ war eine mit VgT Österreich gezeichnete Me-dienmitteilung vom 1. Dezember 1997. Diese enthielt einleitend die Vorbemerkung, dass infolge des dem VgT Schweiz gerichtlich auferlegten Verbots, sich über die Tierhaltung der Klöster Einsiedeln und Fahr zu äussern, der VgT Österreich die Öffentlichkeitssarbeit übernommen habe. Inhaltlich wur-de dem Abt von Einsiedeln in der Medienmitteilung unethisches und mitleidsloses Verhalten, sowie Dummheit infolge Altersschwäche oder „Hirnverkalkung der katholischen Kirche“ unterstellt.

B. Am 12. Dezember 1997 wandte sich Erwin Kessler an den Presserat und machte geltend, die Le-ser des „Tages-Anzeigers“ hätten infolge Unterschlagung des Inhalts der Medienmitteilung fälschli-cherweise den Eindruck erhalten, der Abt von Einsiedeln sei vom VgT auf primitive Weise beschimpft worden. Der Leser erfahre weder Anlass noch Motivation der Pressemeldung, was gegen Ziff. 3 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ verstosse. Darüber hinaus werde vom „Tages-Anzeiger“ die unwahre Behauptung aufgestellt, die kritisierte Meldung stamme vom VgT Schweiz.

C. Der Presseratspräsidium wies die Beschwerde der 3. Kammer zu (bestehend aus Kammerpräsi-dent Reinhard Eyer, Catherine Aeschbacher, Adi Kälin, Marie Therese Larcher und Christian Schwarz). Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 16. April 1998. Adi Kä-lin nahm als Mitarbeiter des „Tages-Anzeigers“ nicht an den Verhandlungen teil. Der „Tages-Anzeiger“ wurde vom Presseratssekretariat am 20. Januar 1998 um eine Stellungnahme gebeten.

D. Im Auftrag der Redaktion „Tages-Anzeiger“ und des Verfassers der beanstandeten Meldung nahm der Rechtsdienst der TA Media AG mit Schreiben vom 18. Februar 1998 wie folgt Stellung: Unab-hängig davon, ob mit der Formulierung des „Tages-Anzeigers“ der Eindruck erweckt worden sei, dass der Abt von Einsiedeln durch den VgT beschimpft worden sei oder nicht, sei dieser Eindruck jedenfalls nicht falsch. Die vom VgT erhobenen Vorwürfe seien von einer Ungehörigkeit, dass die Begriffe „Pamphlet“ und „verunglimpft“ geradezu als zurückhaltend zu taxieren seien. Eine Presse-mitteilung mit einem solch verfehlten Ton dürfe kritisiert werden. Es fehlten keine wichtigen Elemente der Information.

Aufgrund der in der Medienmitteilung des VgT Österreich enhaltenen Vorbemerkung, deren identi-sches optisches Erscheinungsbild und des identischen Duktus im Vergleich zu anderen Publikationen des VgT Schweiz habe auf die faktische Herkunft der Meldung geschlossen werden können, schon gar in einer eher „augenzwinkendern“ Rubrik wie „ZÜRICH EXTERN“. „Kesslers VgT“ zu schrei-ben sei eine zulässige Verdichtung. Der Beschwerdeführer verkörpere den VgT seit Jahren und sei auch dessen Präsident. Insgesamt sei nicht ersichtlich, worin eine Entstellung der Fakten oder eine sonstige Verletzung der „Erklärung“ bestehen sollte.

II. Erwägungen

l. Aus Ziff. 3 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ kann keine Pflicht zu umfassender, objektiver Berichterstattung abgeleitet werden. Es ist das unantastbare Recht der Redaktion, aus der Fülle der verfügbaren Informationen, die ihr als relevant erscheinenden Meldungen auszuwählen und diese zu kommentieren (Stellungnahme i.S. S. c. Baillod/“Impartial“ vom 13. Juni 1986, Sammlung 1983-1989, 42ff., s.a. Stellungnahme i.S. A. c. „Blick“ vom 11. Juni 1992, Sammlung 1992, 7ff.)

2. Wer – wie der Beschwerdeführer selber einräumt – ein gerichtliches Verbot durch Übertragung der Öffentlichkeitsarbeit an eine ausländische Schwesterorganisation zu umgehen versucht, muss sich nicht wundern, wenn dieses Vorgehen zum Gegenstand kritischer Medienberichterstattung wird. Ent-gegen den Ausführungen des Beschwerdeführers kann der dieser Kritik zugrundeliegende Sachver-halt dem „Tages-Anzeiger“ durchaus entnommen werden.

3. Angesichts des ehrenrührigen Inhalts der Medienmitteilung war der „Tages-Anzeiger“ nicht nur berechtigt, den Abdruck der gegen den Abt des Klosters von Einsiedeln erhobenen Vorwürfe abzu-lehnen. Die Redaktion hätte darüber hinaus Ziff. 7 der „Erklärung“ (Unterlassung sachlich nicht ge-rechtfertigter Anschuldigungen) verletzt, wenn er die aus Sicht des Beschwerdeführers unbedenkli-chen Vorwürfe unbesehen weiterverbreitet hätte. Der Vorwurf der Unvollständigkeit der Information erweist sich deshalb auch unter diesem Gesichtspunkt als unbegründet.

4. Die weitere vom Beschwerdeführer erhobene Rüge, der „Tages-Anzeiger“ habe wahrheitswidrig behauptet, die kritisierte Meldung stamme vom VgT Schweiz, ist ebensowenig haltbar. Aus der Mel-dung vom 6. Dezember 1997 geht wahrheitsgemäss hervor, dass die Medienmitteilung mit VgT Österreich unterzeichnet war und vom Faxgerät des Beschwerdeführers übermittelt wurde. Aus diesen Fakten kombiniert mit der ausdrücklich erklärten Umgehungsabsicht des Beschwerdeführers den kommentierenden Schluss zu ziehen, die Angriffe gegen den Abt des Klosters Einsiedeln seien mate-riell dem Beschwerdeführer zuzurechnen, liegt im Rahmen der von den Medienschaffenden gemäss Ziff. 2 der „Erklärung“ zu verteidigenden Kommentarfreiheit.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde ist als offensichtlich unbegründet abzuweisen.