Nr. 8/2004
Quellenbearbeitung / Einseitige Berichterstattung

(Zanetti c. «Tages-Anzeiger») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 12. März 2004

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I. Sachverhalt

A. Am 3. Oktober 2003 berichtete Erik Eitle im «Tages-Anzeiger» unter dem Titel «SVP hat Rentnerstimmen nicht nötig» über die Empfehlungen des Senioren- und Rentnerverbandes zu den damals unmittelbar bevorstehenden eidgenössischen Parlamentswahlen. Der Untertitel lautete: «Der Senioren- und Rentnerverband empfiehlt in erster Linie Linke zur Wiederwahl nach Bern. Von der SVP steht niemand auf der Liste, die Partei fand die Umfrage unnötig.» Um herauszufinden, was die Zürcher Mitglieder im National- und Ständerat in der ablaufenden Legislaturperiode geleistet hätten, habe der Zürcher Senioren- und Rentnerverband (ZRV) «allen Bisherigen sowie den beiden bestplatzierten neu Kandidierenden jeder Partei einen Fragebogen zugestellt. Von den 60 Angeschriebenen haben 25 auch auf eine zweite Aufforderung hin nicht reagiert. Unter denen, die vom Senioren- und Rentnerverband offensichtlich nichts wissen wollten, befinden sich sämtliche SVP-Spitzenpolitiker, von Nationalrat Christoph Blocher bis zu Ständerat Hans Hofmann. Der Sekretär der Zürcher SVP, Claudio Zanetti, begründete auf Anfrage des ZRV das Desinteresse so: ÐEine Umfrage ist für uns nicht wichtig, das haben wir nicht nötig.ð»

B. Am 5. Oktober 2003 gelangte Claudio Zanetti an den Presserat und rügte, der «Tages-Anzeiger» habe ihm ein Zitat in den Mund gelegt, ohne diese Aussage verifiziert und als unbestätigt gekennzeichnet zu haben. Der Artikel erwecke zudem den unzutreffenden Eindruck, die SVP foutiere sich um die Senioren. Der Autor gehe von einer unzutreffenden These aus und unterdrücke Informationselemente, die dieser widersprächen.

C. In einer Stellungnahme vom 13. November 2003 beantragte die durch den Rechtsdienst der Tamedia AG vertretene Redaktion des «Tages-Anzeigers», die Beschwerde sei abzuweisen. Im beanstandeten Artikel werde keine Kontaktnahme mit dem Beschwerdeführer behauptet. Ausdrücklich weise der Artikel darauf hin, Zanetti habe die ihm zugeschriebene Aussage «auf Anfrage des ZRV» gemacht. Hingegen bestreite der Beschwerdeführer nirgends, diese Aussage gemacht zu haben. Darüber hinaus rüge der Beschwerdeführer zu Unrecht eine einseitige und tatsachenwidrige Berichterstattung. Die behauptete Tatsachenwidrigkeit werde in der Beschwerde nicht näher begründet. Der beanstandete Artikel sei zwar pointiert, aber nicht einseitig. Der Autor habe das Fernbleiben der SVP für das spannendste Fazit der Umfrage gehalten.

D. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder sonstwie von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.

E. Am 19. November 2003 erklärte der Presserat den Schriftenwechsel als geschlossen und teilte den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium, bestehend aus dem Präsidenten Peter Studer sowie den Vizepräsidenten Esther Diener-Morscher und Daniel Cornu behandelt.

F. Mit Schreiben vom 9. Januar 2004 orientierte der Presserat die Parteien, dass Vizepräsident Daniel Cornu per 31. Dezember 2003 zurückgetreten und per 1. Januar 2004 durch Sylvie Arsever ersetzt worden sei.

G. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 12. März 2004 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Der Beschwerdeführer rügt hauptsächlich die unterlassene Verifikation des ihm zugeordneten Zitats, mithin also eine Verletzung der Verpflichtung zur sorgfältigen Quellenbearbeitung (Richtlinie 3.1 zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten»; vgl. dazu nachfolgend die Erwägung 2). Darüber hinaus erhebt der Beschwerdeführer eine ganze Reihe weiterer Beanstandungen. Letztlich beruhen praktisch alle auf Zanettis Kritik, der «Tages-Anzeiger» stelle die Haltung der SVP einseitig als «altersfeindlich» oder den Altersrentnern gegenüber gleichgültig dar (vgl. dazu die Ziffer 3 der Erwägungen).

2. Laut der Richtlinie 3.1 zur «Erklärung» (Quellenbearbeitung) stellt die Überprüfung der Quelle einer Information einer Information und ihrer Glaubwürdigkeit den Ausgangspunkt der journalistischen Sorgfaltspflichten dar. Daraus kann nun aber entgegen der vom Beschwerdeführer implizit vertretenen Auffassung nicht abgeleitet werden, dass Medienschaffende jede einzelne in einer Quelle enthaltene Aussage eines Dritten noch einmal selber nachzuprüfen hätten. Denn dies würde vorliegend im Zusammenhang mit der Umfrage des ZRV zum widersinnigen Ergebnis führen, dass der «Tages-Anzeiger» die Umfrage faktisch selber noch einmal hätte durchführen müssen. Wenn eine Redaktion eine ihr bekannte Informationsquelle mit guten Gründen grundsätzlich für glaubwürdig hält, darf sie sich deshalb darauf beschränken, unklar oder fraglich erscheinende Informationselemente zu überprüfen. Darüber hinaus vorbehalten bleibt die Anhörungspflicht bei schweren Vorwürfen gemäss der Richtlinie 3.8 zur «Erklärung».

Vorliegend zweifelte der Autor des beanstandeten Artikels offenbar zu Recht nicht daran, dass der Beschwerdeführer die im Artikel zitierte Aussage gegenüber dem ZRV effektiv gemacht hat. Wäre dies unzutreffend, hätte der Beschwerdeführer die entsprechende Beanstandung wohl kaum unterlassen. Ebensowenig kann die blosse Wiedergabe einer Aussage, man habe es für unnötig gehalten, sich an einer Umfrage zu beteiligen, als schwer im Sinne der Richtlinie 3.8 qualifiziert werden. Im Ergebnis ist deshalb die Rüge des Beschwerdeführers zurückzuweisen, wonach der «Tages-Anzeiger» ihn oder einen anderen SVP-Vertreter zur Verifikation des Zitats vor dessen Abdruck hätte kontaktieren müssen, auch wenn dies aus Sicht des Publikums in der aufgeladenen Wahlkampfatmosphäre zur Klärung des Positionen durchaus wünschbar gewesen wäre.

3. a) Der Beschwerdeführer dürfte sich verständlicherweise denn auch weniger über die Wiedergabe des Zitats als solchem als vielmehr über die Informationsauswahl sowie über die Wertungen geärgert haben, die der «Tages-Anzeiger» aus diesem Sachverhalt gezogen und zum Aufhänger des Artikels gemacht hat.

b) Dabei ist jedoch darauf hinzuweisen, dass aus der «Erklärung» keine Verpflichtung zu objektiver, ausgewogener Berichterstattung abgeleitet werden kann. Vielmehr sind auch einseitige, parteiergreifende Medienberichte mit der Berufsethik vereinbar, sofern das Publikum in der Lage ist, zwischen Fakten und Meinungen zu unterscheiden und die Informationen gewichten und einordnen kann (vgl. hierzu beispielsweise die Stellungnahmen 3/1997, 17/1998 und 20/2000). Zudem ist es einer Redaktion unbenommen, Informationen nach eigenem Ermessen auszuwählen und zu gewichten, solange dadurch die Wahrheit nicht verzerrt wiedergegeben wird.

c) Vorliegend war nach Auffassung des Presserates für die Leserschaft klar ersichtlich, dass der stark zugespitzte Titel «SVP hat Rentnerstimmen nicht nötig» eine Wertung des «Tages-Anzeigers» bzw. des Autors des Beitrags darstellt, die sich auf die im Artikel wiedergegebene Äusserung des Beschwerdeführers stützt, wonach eine Umfrage für die SVP nicht wichtig sei und sie es nicht nötig habe, daran teilzunehmen. Ebenso wurde damit die Grundlage dieser vom Beschwerdeführer angefochtenen Wertung offengelegt. Und ungeachtet davon, ob dies den Intentionen des Senioren- und Rentnerverbandes entsprochen haben mag, war es schliesslich berufsethisch zulässig, diesen dem Autor journalistisch am interessantesten scheinenden Einzelaspekt auszuwählen und zum Aufhänger des Beitrags zu machen.

III. Feststellung

Die Beschwerde wird abgewiesen.