Nr. 24/2021
Privatsphäre

(X. c. «blick.ch»)

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I. Sachverhalt

A. Am 18. November 2020 erschien auf «blick.ch» ein Artikel unter dem Obertitel (der Spitzmarke) «Das Coronavirus hatte Sion-Coach Grosso voll erwischt», Titel: «So etwas habe ich noch nie erlebt». Untertitel: «Über zwei Wochen musste Sion-Coach Fabio Grosso in Isolation bleiben. Das Coronavirus hatte ihn voll erwischt! Nun stehen er und seine Sittener vor einem Mega-Monat.» Als Autor ist Alain Kunz aufgeführt, es folgt ein Interview mit Coach Grosso, in welchem dieser Auskunft gibt über seine eigene Befindlichkeit nach einer Corona-Infektion («Es geht mir jetzt wieder sehr gut»), über den Zustand der Mannschaft nach einer längeren Quarantäne sowie über die hohe Belastung, die jetzt auf die Mannschaft zukommt mit all den nötig gewordenen Nachholspielen. In diesem Zusammenhang sagt Grosso den Satz «So etwas [zehn Spiele in 32 Tagen, der Presserat] habe ich in meiner Karriere noch nie erlebt».

B. Am 19. November 2020 reichte X. Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Sie macht geltend, der Obertitel und der Titel verletzten die Ziffer 3 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»), welche vorgibt, dass JournalistInnen keine Tatsachen oder Meinungen entstellen dürfen.

Der Titel «So etwas habe ich noch nie erlebt» beziehe sich für die Leserschaft klar auf den Obertitel, darauf, dass den Trainer «das Coronavirus voll erwischt» habe. Grossos Aussage «noch nie erlebt» beziehe sich im anschliessenden Interview aber auf einen ganz anderen Sachverhalt, nämlich auf «zehn Spiele in 32 Tagen», und nicht auf seine Viruserkrankung. Deshalb sei der Titel irreführend im Sinne der Ziffer 3 der «Erklärung».

C. Mit Beschwerdeantwort vom 4. Februar 2021 beantragte der Anwalt von «blick.ch», die Beschwerde sei abzuweisen. Er konzediert, dass die Kombination von Spitzmarke und Titel «handwerklich gesehen und zurückhaltend ausgedrückt keine gute Leistung» dargestellt habe. Das sei aber medienethisch irrelevant, nicht jede Fehlleistung sei gleich ein Verstoss gegen den Pressekodex. «blick.ch» habe seither die Spitzmarke geändert, sie laute jetzt «Sion-Trainer Grosso: 10 Spiele in 32 Tagen» mit dem anschliessenden Titel darunter: «So etwas habe ich noch nie erlebt». Ein Verstoss gegen die Ziffer 3 der «Erklärung» liege mit der ursprünglichen Spitzmarke aber nicht vor, alles was im Titel stehe, sei vom Interviewpartner so gesagt worden. Der zunächst entstandene falsche Zusammenhang werde mit dem Rest des Artikels aufgelöst.

D. Am 16. Februar 2021 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus der Präsidentin Susan Boos und den Vizepräsidenten Dominique von Burg und Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 12. April 2021 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägung

Es ist unter den Parteien unbestritten, dass die Kombination von Spitzmarke und Titel einen falschen Zusammenhang herstellt. «So etwas habe ich noch nie erlebt» sagt Trainer Grosso nicht zur Pandemie, sondern zum daraus resultierenden Spielplan seiner Mannschaft.

Damit wird seine Aussage im Titel des Artikels inhaltlich erheblich verändert. Ob dies der «Entstellung» einer Tatsache gleichkommt, hat das Präsidium gründlich diskutiert, insbesondere angesichts der Problematik des sogenannten Clickbaitings, also der Tendenz von Onlinemedien, mit übertriebenen Titeln möglichst viele Clicks zu generieren.

Der Presserat unterscheidet in seiner Praxis regelmässig zwischen handwerklichen Fehlern, wie sie gelegentlich vorkommen und eigentlichen Verstössen gegen die «Erklärung». Das Präsidium ist im vorliegenden Fall zum Schluss gekommen, dass die Kombination von Spitzmarke und Titel als offensichtlicher Fehler, als journalistische Ungenauigkeit und nicht als bewusst vorgenommene oder bewusst in Kauf genommene Irreführung der Leserschaft zu qualifizieren ist.

III. Feststellungen

1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.

2. «blick.ch» hat mit dem Artikel «So etwas habe ich noch nie erlebt» vom 18. November 2020 die Ziffer 3 (Entstellen von Tatsachen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.