Nr. 4/1999
Nr. 5 / 99: Bearbeitung von Leserbriefen

(S.c. „SonntagsZeitung“) Stellungnahme des Presserates vom 10. März 1999

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I. Sachverhalt

A. Am 2. Dezember 1998 schickte S. einen Leserbrief an die „Sonntags-Zeitung“. In einem Be-gleitschreiben führte er aus: „Die Berichterstattung über die Fachtagung des Energieforums Schweiz vom 25./26.November im Inter-Continental in Zürich zum Thema Nachhaltigkeit und Energie ist in Ihrer Zeitung allzu einseitig ausgefallen. Sie hat nur eine süss-saure Kaktus-Rosine herausgepickt.“ Der Referent F. habe sich noch an der Tagung selber für den missglückten Ver-gleich (zwischen Ausstieg aus der Atomenergie und Völkermord) entschuldigt, und habe zudem „als einziger Referent von Seiten der Energieträger die vom Veranstalter geforderten Nachhaltig-keitskriterien erbracht.“ Ausdruck seiner Überlegungen sei der beiliegende Leserbrief, um dessen Publikation er bitte. Darin kritisierte S. u.a., dass die „SonntagsZeitung“ die F.sche Übertreibung völlig einseitig zum Thema gemacht habe, obwohl Herr F. neben seinem daneben geratenen politi-schen Exkurs in fachlich überzeugender Manier den positiven Beitrag der Kernenergie zur stets nachhaltigeren Energienutzung und zur Schonung der Umwelt unterstrichen habe.

B. In der „SonntagsZeitung“ vom 6. Dezember 1998 wurde statt des Leserbriefes lediglich der-leicht gekürzte Begleitbrief von S. vom 2. Dezember abgedruckt.

C. Am 12. Dezember 1998 gelangte S. mit einer Beschwerde an den Presserat. Er machte eine „unsachgemässe Kürzung“ seines „kurz gehaltenen“ Leserbriefes geltend. Weiter habe er im Ge-gensatz zu einem anderen Leserbriefschreiber – dessen wesentlich längerer und polemischer Text von der „SonntagsZeitung“ veröffentlicht worden sei – an der Tagung selber teilgenommen. Hauptsächlich rügte S. aber die im veröffentlichten Text unterschobene Verknüpfung zweier Aus-sagen („Herr F. hat sich an der Tagung selber für den gravierenden Missvergleich entschuldigt“ und „hat als einziger Referent von seiten der Energieträger die vom Veranstalter geforderten Nach-haltigkeitskriterien erbracht“.) Weshalb er diese Kriterien erbracht habe, nämlich mit seinem in-haltsreichen Referat, werde unterschlagen. Es könne der Eindruck entstehen, der Referent habe die vom Veranstalter in ihn gesetzten Erwartungen wegen der Entschuldigung verdient. Sein durch die Art der Publikation in der „SonntagsZeitung“ arg zerstückelter Text enthalte seines Erachtens „geradezu exemplarische Verstösse gegen die Erklärung der Pflichten der Journalistinnen und Journalisten“, der sich auch die Veröffentlichung von Leserbriefen zu unterziehen habe.

D. Das Präsidium des Presserates überwies die Beschwerde an die 3. Kammer, die sich wie folgt zusammensetzt: Presseratsvizepräsident Reinhard Eyer, Catherine Aeschbacher, Luisa Ghiringhel-li, Adi Kälin, Marie-Therese Larcher und Iwan Lieberherr. Adi Kälin trat wie üblich bei den die TA-Media AG betreffenden Beschwerden in den Ausstand.

E. In ihrer Stellungnahme vom 24. Januar 1998 machte die „SonntagsZeitung“ geltend, der Ab-druck des Leserbriefes sei keine Zerstückelung oder unstatthafte Kürzung, sondern „kurz und bündig ein Missgeschick“ gewesen. Aus Versehen habe die „SonntagsZeitung“ den Begleitbrief abgedruckt, zwar leicht gekürzt, aber absolut „lege artis“ und ohne Änderung des Sinnes. Von einer Manipulation, die bewusstes Verfälschen oder Entstellen impliziere, könne keine Rede sein. Der publizierte Text habe ja ebenfalls aus der Feder von S. gestammt. Wenn der Abdruck des Be-gleitbriefes ein Versehen war, liege keine Verletzung presseethischer Regeln vor. Die Redaktion der „SonntagsZeitung“ bedaure jedoch die Verwechslung von Leserbrief und Begleitbrief.

II. Erwägungen

1. Die Leserbriefseite von Zeitungen und Zeitschriften gehört zum redaktionel-len, durch Medien-schaffende bearbeiteten Teil eines Mediums. Die Bearbeitung von Leserbriefen hat – im Rahmen der von der Redaktion von Zeit zu Zeit publizierten Regeln – grundsätzlich nach journalistischen Kriterien und entsprechend den berufs-ethischen Regeln zu erfolgen. Gemäss Ziff. 3 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ dürfen die Medienschaf-fenden keine wichtigen Elemente von Informationen unterschlagen und weder Tatsa-chen, Doku-mente und Bilder noch von anderen geäusserte Meinungen entstel-len. Dies vermag jedoch nichts daran zu ändern, dass die Redaktionen in der Auswahl und der Kürzung von Leserbriefen weitge-hend frei sind (Stellungnahme Nr. 15/98 i.S. Kürzung von Leserbriefen, Sammlung 1998, S. 129ff.).

2. Nachdem die vom Beschwerdeführer beanstandete „Manipulation“ seines Textes – wie auch die „SonntagsZeitung“ einräumt – durch eine offensichtliche Verwechslung zwischen Leserbrief und Begleitschreiben verursacht worden ist, kann von einer unstatthaften Kürzung eines Leserbriefes nicht die Rede sein. Insofern ist der Manipulationsvorwurf und die darin enthaltene Rüge einer Verletzung von Ziff. 3 der „Erklärung“ zurückzuweisen.

3. Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass es unter berufsethischen Gesichtspunkten generell zulässig wäre, statt des vom Beschwerdeführer gewollten Abdrucks des Leserbriefes des-sen Begleitbrief abzudrucken. Aus dem der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistin-nen und Journalisten“ zugrundliegenden Fairnessprinzip, das auch für den Umgang mit Leserbrie-fen gilt (Stellungnahme Nr. 15/98, a.a.O.), ist abzuleiten, dass in diesem Fall zumindest vorgängig die Einwilligung des Beschwerdeführers hätte eingeholt werden müssen. Da sich die „SonntagsZeitung“ der eingetretenen Verwechslung bis zum Presseratsverfahren aber offenbar gar nicht bewusst war, kann ihr diesbezüglich jedoch kein Vorwurf gemacht werden. Fehler wie der vorliegende können in der Hektik des Redaktionalltags nie ausgeschlossen werden. Zudem ist ent-gegen der Auffassung des Beschwerdeführers festzuhalten, dass der versehentlich von der „SonntagsZeitung“ publizierte Text die im Leserbrief geäusserte Meinung des Beschwerdeführers – wenn auch stark gekürzt – durchaus verständlich wiedergibt. Aus Sicht des Presserates liegt des-halb auch kein Anlass für eine nachträgliche materielle Berichtigung vor.

III. Feststellungen

1. Fehler und Verwechslungen können im hektischen Redaktionsalltag nicht ausgeschlossen wer-den. Eine Berichtigung kann von einer Redaktion nur dann vorgenommen werden, wenn Sie von einem Fehler Kenntnis hat.

2. Ein Begleitbrief darf ohne Einwilligung des Betroffenen nicht an Stelle eines Leserbriefes abge-druckt werden.