Nr. 48/2012
Wahrheits- und Berichtigungspflicht / Quellenbearbeitung / Anhörung bei schweren Vorwürfen / Trennung von Fakten und Kommentar

(Aids-Hilfe Schweiz c. «CR Cruiser») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 7. September 2012

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I. Sachverhalt

A. In seiner Ausgabe von April 2012 veröffentlichte Lola Sara Arnold-Korf im Magazin «CR Cruiser» ein Dossier mit dem Titel «Das Geschäft mit Aids». Der Lead des Hauptartikels lautet: «Rund acht Millionen Franken flossen seit 2008 jährlich in die Kasse der Aids-Hilfe Schweiz. Etwa die Hälfte der Einnahmen ging für Personalkosten drauf, ein kostspieliger Umzug kam hinzu. Die Reise- und Repräsentationskosten für Projekte stiegen von 2009 bis 2010 auf das Doppelte. Professionalisierung heisst das Zauberwort der neuen Präsidentin, die erst 50’000 Franken wollte und sich nun unter Druck mit 30’000 Franken zufrieden gibt.»

Da die Aids-Hilfe Schweiz einen Fragenkatalog des «CR Cruiser» zurückgewiesen habe, sei nichts anderes übriggeblieben, als bei der Recherche auf bereits veröffentlichtes Material zurückzugreifen. Gemäss einer Pressemitteilung der Aids-Hilfe Schweiz vom 25. Januar 2012 habe man in den letzten Jahren 30 Prozent der Personalressourcen eingespart. Gemäss den Zahlen der Jahre 2008 bis 2010 seien die Personalkosten jedoch konstant angestiegen. Zu den Zahlen 2011 wolle die Pressesprecherin keine Auskunft geben. «Muss und darf man es so verstehen, dass zwar Personal eingespart wurde, aber die Gehälter für die verschiedenen Profis (…) stiegen? Der hinterbliebene, tonnenschwere Personal-Sandsack mit immer noch über 30 Mitarbeitern muss erst mal finanziert werden. (…) Getrieben von der Angst um sinkende Spendeneinnahmen sollte mit Doris Fiala nun kräftig die Werbetrommel gerührt werden.»

Im Dezember 2010 sei die Aids-Hilfe Schweiz mit einem Aufwand von 200’000 Franken wieder in die früheren Räumlichkeiten umgezogen. Der Aufwand für die Reise- und Repräsentationskosten sei von 2009 bis 2010 von 67’179 auf 127’914 Franken gestiegen. «Über den knapp 400’000 Franken zählenden ‹Solidaritätsfonds› können Betroffene finanzielle Unterstützung in Krisensituationen bei der Aids-Hilfe Schweiz beantragen. Das Prozedere befindet sich auf einer Unter-Unter-Website der Organisation. Man will ja keine schlafenden Hunde wecken. Die Antragsformulare (nicht unwesentlich bescheidener als beim Sozialamt) kann man sich dann als Pdf-Datei runterladen und ausdrucken, sofern man noch einen funktionierenden Heimdrucker besitzt.» Erst kürzlich habe die Aids-Hilfe Schweiz über die wachsende Zahl der Antragsteller geklagt. «Wie in jeder gut organisierten, professionellen Einrichtung verlegt man sich lieber aufs Abwimmeln.» Dazu zitiert der Bericht die negative Erfahrung von «Ricardo S.»: «Die Protokollfragen waren grauenvoll.» Auf die angebotene Beratung zu Rechtsfragen und zur Prävention könne er auch verzichten. Die entsprechenden Informationen habe er sich kostenlos von Wikipedia runtergeladen. Die Journalistin fährt fort, ein «Schelm» sei zudem, der «Schlechtes denkt, wenn es um die Aussichten des Solidaritätsfonds 2012 geht. Löcher zu stopfen zugunsten des Personal-Apparats ist schliesslich die Spezialität der Aids-Hilfe Schweiz. Da kann man doch beim Solidaritätsfonds kräftig einsparen.»

Als weiteren Kritiker zitiert die Journalistin einen «Dr. Martin Lehner, Mitglied der Aids-Hilfe Zürich»: «Dass die Aids-Hilfe Schweiz lieber in ihren aufgeblasenen Verwaltungsapparat investiert und nicht am Stopp der Verbreitung des Problems arbeitet, ist traurig. Ein HIV-Positiver, der sich seine Medikamente nicht mehr leisten kann, hat nicht einmal die Zeit von 10 Tagen, um schleunigst an die Medikamente zu kommen. Der kann nicht Wochen auf ein Zeichen der Aids-Hilfe Schweiz warten». Glücklicherweise habe die Eidgenossenschaft wenigstens das Problem mit den Medikamenten seit dem 1. Januar 2012 gelöst. Seither gebe es keine Leistungsaufschübe bei Nichtbezahlen der Krankenkassenprämien mehr.

In den letzten Jahren habe die Aids-Hilfe Schweiz auch das Fundraising professionalisiert und eine Marketingagentur damit beauftragt. «2010 lag der Ertrag der brieflichen Spendensammlung bei knapp 3,9 Millionen Franken. Der Aufwand lag demgegenüber bei knapp 1,95 Millionen.» Demgegenüber habe sich die wesentlich kleinere Organisation Pink Cross laut deren Vertreter Pierre-André Rosselet von Anfang an bewusst gegen Callcenters entschieden.

Am Schluss enthält der Artikel folgenden Hinweis: «Kurz vor Redaktionsschluss hat die Aids-Hilfe Schweiz erfahren, dass CR in der April-Ausgabe am Thema dranbleibt. Allenfalls auch ohne ihre Stellungnahme. In allerletzter Minute hat die Geschäftsleitung nun unsere Fragen beantwortet. Siehe Seite 10.»

B. In einem Kommentar mit dem Titel «Gewissenskonflikt» räumt der Verleger und Chefredaktor Martin Ender ein, der «CR Cruiser» habe durch die im Vormonat erfolgte Veröffentlichung der Entlöhnung der neuen Präsidentin der Aids-Hilfe Schweiz, Doris Fiala, einen Stein ins Rollen gebracht. Die Aids-Hilfe Schweiz habe dadurch einen enormen Imageschaden erlitten und habe deshalb darauf gedrängt, dass der «CR Cruiser» vorläufig keine weiteren Berichte zum Thema veröffentliche. «Dem Ansinnen stattgeben oder nicht, hat mich in einen Gewissenskonflikt gebracht. (…) Natürlich wäre es für die Aids-Hilfe gut, wenn jetzt mediale Ruhe eintreten würde. (…) Ich kann aber den CR-Leser in dieser Ausgabe nicht alleine lassen. Offene Fragen, die in diesen Tagen zuhauf an mich gestellt wurden, muss ich zu beantworten versuchen. Darum erscheint in dieser Ausgabe eine kritischer Bericht über die Aids-Hilfe Schweiz.» Ihm sei klar, dass die Autorin Lola Sara Arnold-Korf zugespitzt formuliere und dass auch nüchterne Zahlen aus dem Rechnungsbericht 2010 unterschiedlich betrachtet werden könnten. «So beziffert die Aids-Hilfe Schweiz die Verwaltungsausgaben auf 13,7 Prozent (gemäss Zewo ein akzeptabler Prozentsatz). Unsere Autorin hingegen sieht in erster Linie, dass von gut 8 Millionen ‹nur› 400’000 Franken für die Direktbetroffenen bereitstehen.»

C.
Weiter enthält das Dossier ein Interview mit dem bereits erwähnten Dr. Martin Lehner, der in Höngg als Zahnarzt und Lebensberater «für schwule, heterosexuelle, alte und junge Kundschaft» praktiziere. Er sei auch seit vielen Jahren Basismitglied der Zürcher Aids-Hilfe. Im Interview lobt Lehner die Basisarbeit der Zürcher Aids-Hilfe und zeigt sich skeptisch, ob die Professionalisierung der Strukturen der Aids-Hilfe Schweiz zum Erfolg führe.

D.
Wie am Schluss des Hauptartikels erwähnt, ist auf den Seiten 10 und 11 ein ausführliches «Statement der Aids-Hilfe Schweiz» zu den Fragen von Lola Sara Arnold-Korf abgedruckt. Zum Solidaritätsfonds führt der Geschäftsführer, Michael Kohlbacher aus, es würden keine Antrage wegen fehlender Fondsgelder abgelehnt. «Reicht die Spendendotierung für die Anträge nicht aus, wird der Fonds aus Reserven alimentiert.» Bei Anträgen für den Solidaritätsfonds sei es zudem unumgänglich, von den Antragstellern Angaben zu ihren finanziellen Verhältnissen zu verlangen. «Ausserdem füllen die Betreuer der Unterstützungsbewerber die Anträge aus.»

Vom 1. Januar 2010 zum 31. März 2012 sei der Gesamt-Personalbestand von 3455 auf 2330 Stellenprozente reduziert worden. «Die etwas verzögerte Entwicklung bei den Lohnkosten ist durch die Kündigungsfristen/Lohnfortzahlungen erklärbar.» Die Aids-Hilfe Schweiz arbeite nicht mit PR-Agenturen. Wie andere Non-Profit-Organisationen arbeite sie aber seit Jahren mit «externen Fundraising-Dienstleistern, um auf dem Spendenmarkt möglichst gut bestehen und möglichst viele Spenden für die wichtige Arbeit im HIV-/Aidsbereich einwerben zu können.» Der letzte Umzug habe nicht 200’000 Franken gekostet. Der Umzug sei notwendig geworden, weil man zuvor zugemietete Räume wegen eines nicht absehbaren Entzugs von Aufträgen des Bundesamts für Gesundheit nicht mehr benötigt habe.

E. Am 24. April 2012 beschwerten sich der Geschäftsführer und die Kommunikationsverantwortliche der Aids-Hilfe Schweiz beim Schweizer Presserat, mit der Veröffentlichung des Dossiers «Das Geschäft mit Aids» habe der «CR Cruiser» die Richtlinien 1.1 (Wahrheitssuche), 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar), 3.1 (Quellenbearbeitung), 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) und 5.1 (Berichtigung) zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

Der «CR Cruiser» erhebe schwere Vorwürfe gegen die Aids-Hilfe Schweiz. Sie gehe unsauber mit Spendengeldern um, mache ein «Geschäft mit Aids» und nur der kleinste Teil des Geldes komme den Betroffenen zugute. Der grösste Teil werde durch Personalkosten sowie «Feste und Feiern» verschlungen. Zwar habe der Geschäftsführer die Fragen der Journalistin ca. eine Woche vor der Veröffentlichung des Artikels beantwortet und die Antworten seien vom Magazin in Interview-Form in der April-Ausgabe abgedruckt worden. Die Fragen und Antworten seien jedoch nicht in den Artikel eingeflossen. Mit den vom «CR Cruiser» erhobenen Vorwürfen, die Aids-Hilfe Schweiz mache Aids zum Geschäft, wimmle Betroffene ab, und eine vergleichbare Beratung zu Rechtsfragen und zur Prävention gebe es auch unentgeltlich bei Wikipedia, sei die Aids-Hilfe Schweiz nicht konfrontiert worden.

Die Journalistin habe sich in verschiedener Hinsicht nicht um die Wahrheitssuche bemüht und verfügbare Informationen unberücksichtigt gelassen:

– Der «CR Cruiser» moniere, dass ein Grossteil des Aufwands der Beschwerdegegnerin Personalkosten seien. Die Journalistin hinterfrage dabei aber nicht, weshalb dies so ist und unterschlage, dass die von der Aids-Hilfe Schweiz erbrachten Dienstleistungen naturgemäss vorwiegend mit Personal- und weniger mit Sachaufwand verbunden seien.

– Der Hauptartikel sowie der Kommentar des Chefredaktors suggerierten fälschlicherweise, dass nur der Direkthilfefonds – die Ausschüttung von Geld an HIV-positive Menschen – die «richtige» Verwendung von Spendengeld sei. Alles andere wäre «ein Geschäft mit Aids». Das Magazin unterschlage damit die weiteren ebenfalls sehr wichtigen Dienstleistungen der Aids-Hilfe Schweiz, welche zudem als Dachverband den überwiegenden Teil des gesammelten Geldes an die regionalen Aids-Hilfen überweise, die direkt mit den Betroffenen arbeiteten. Der Hinweis auf «nie stattgefundene und im Artikel auch nicht belegte ‹Feste und Feiern›» suggeriere der Leserschaft stattdessen einen unsachgemässen Umgang mit anvertrauten Geldmitteln.

– Unwahr sei auch die Behauptung der Journalistin, man müsse das Antragsformular mühsam von der Website ausdrucken. Auf der Website sei lediglich das Verfahren beschrieben, währenddem die konkreten Anträge von den betreuenden Stellen (regionale Aids-Hilfen, Sozialdienste von Spitälern) für die Betroffenen ausgefüllt und eingereicht würden. Auch dies sei der Journalistin vor der Publikation des Dossiers vom Geschäftsführer der Aids-Hilfe Schweiz erklärt worden.

– Weiter unterschlage der «CR Cruiser», dass die Beschwerdegegnerin seit vielen Jahren Zewo-zertifiziert sei. Das Zertifikat bescheinige der Aids-Hilfe Schweiz einen sorgfältigen Umgang mit Spendengeldern.

– Schliesslich vergleiche die Journalistin «Äpfel mit Birnen», wenn sie das Fundraising der Aids-Hilfe Schweiz mit demjenigen der viel kleineren Organisation Pink Cross vergleiche. Wenn schon müssten Organisationen vergleichbarer Grösse einander gegenübergestellt werden.

In Bezug auf die Quellenbearbeitung habe es die Journalistin unterlassen, die Glaubwürdigkeit der Personen zu hinterfragen, die sie in ihrem Dossier zitiert. Deren Auswahl hinterlasse zudem den Eindruck, dass die Journalistin durch Befragung und Zitierung von Bekannten aus ihrem Umfeld vor allem ihre «subjektiven, vorgefassten und durch objektive Information nicht belegbaren Meinungen» zu stützen versuche.

Bei Sätzen wie «Nicht so gerne spricht man aber über die Personalausgaben», «Man will ja keine schlafenden Hunde wecken», «Wie in jeder gut organisierten, professionellen Einrichtung verlegt man sich lieber aufs Abwimmeln» sowie «Löcher zu stopfen zugunsten des Personal-Apparats ist schliesslich die Spezialität der Aids-Hilfe Schweiz. Da kann man doch beim Solidaritätsfonds kräftig einsparen» würden die Leser im Unklaren gelassen, ob es um Fakten oder kommentierende Wertungen gehe.

Der «CR Cruiser» habe schliesslich zu keiner Zeit versucht, Sachverhalte zu berichtigen und Fakten zur Kenntnis zu nehmen.

F. Am 31. Mai 2012 beantragte die durch den Verleger und Chefredaktor Martin Ender vertretene Redaktion «CR Cruiser», auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, da sich die Beschwerde lediglich auf die Richtlinien zur «Erklärung» beziehe, aber keine Ziffer der «Erklärung» nenne. Eventuell sei die Beschwerde abzuweisen. Die Leserschaft habe sich über die beanstandete Berichterstattung selber eine Meinung bilden können. Der «CR Cruiser» habe keine wichtigen Informationen unterdrückt und die Fakten korrekt wiedergegeben. Zudem habe die Redaktion die verspätet eingegangene Stellungnahme der Beschwerdeführerin in der gleichen Ausgabe separat abgedruckt.

Die Journalistin habe sich frühzeitig und mehrfach um Antworten der Beschwerdeführerin bemüht. Diese habe die Fragen zunächst nicht beantworten wollen und den Chefredaktor moralisch unter Druck gesetzt. Nachdem die Chefredaktion am geplanten Artikel festhielt, habe sich Lola Sara Arnold-Korf mit den Fakten aus den Jahresberichten, «diversen Quellen aus der Szene und mit Aussagen von Doris Fiala beim Auftritt in ‹Tele Züri› begnügen müssen». Erst nach Redaktionsschluss, drei Tage vor der Druckvorlagenablieferung, habe der Geschäftsführer der Aids-Hilfe Schweiz den Fragenkatalog beantwortet. Zu diesem Zeitpunkt sei es nicht mehr möglich gewesen, die Antworten direkt in den Artikel einfliessen zu lassen.

Entgegen der Darstellung der Beschwerdeführerin seien ihr die im Bericht des «CR Cruiser» erhobenen Vorwürfe frühzeitig bekannt gewesen – einerseits durch den Fragebogen, andere Fragen seien zudem mündlich besprochen worden. Indem sie die verspätet eingegangene Stellungnahme der Aids-Hilfe Schweiz in einem Kraftakt doch noch im gleichen Heft ungekürzt abdruckte, habe die Redaktion die Anhörungspflicht erfüllt.

Die Autorin des beanstandeten Berichts habe sich um die Wahrheitssuche bemüht, sich auf allgemein zugängliche Informationen abgestützt und diese nach bestem Wissen und Gewissen eigenständig interpretiert. Der Artikel habe zudem deutlich gemacht, auf welchen Quellen diese Interpretationen beruhen und dass es die Aids-Hilfe Schweiz (zunächst) abgelehnt habe, den ihr unterbreiteten Fragenkatalog zu beantworten. Die Beschwerdeführerin rüge im Übrigen nirgends, dass die Fakten nicht korrekt wiedergegeben werden, sondern beanstande lediglich deren Interpretation. Entsprechend habe auch keine Veranlassung für die Berichtigung von Fakten bestanden.

Die im Hauptbericht wiedergegebenen Aussagen von Ricardo S. seien als dessen subjektive Meinung erkennbar. Und Dr. Martin Lehner werde vom «CR Cruiser» als Spender aufgeführt, der von der Aids-Hilfe Schweiz enttäuscht ist und nicht als Virologe oder Aids-Spezialist. Als Zahnarzt müsse er zudem mit der HIV-Thematik sehr vertraut sein. In Bezug auf das Zitat von Pierre-André Rosselet treffe es zwar zu, dass dieser grundsätzlich für die Rechtsberatung des «CR-Cruiser» zuständig sei. Allerdings sei er in dieser Funktion seit Jahren nicht mehr aktiv. Ausserdem könne Pierre-André Rosselet zwischen seiner Funktion als Rechtsberater des «CR Cruiser» und journalistisch ausgerichteten Fragen zum Thema Homosexualität und Pink Cross unterscheiden.

In Bezug auf die in der Beschwerde ebenfalls beanstandete fehlende Trennung von Fakten und Kommentar wendet de
r «CR Cruiser» ein, spitze Formulierungen müssten möglich sein und die verwendeten Formulierungen seien auch für den ahnungslosen Leser unschwer als interpretierende Deutung der Fakten zu erkennen.

G. Am 9. Juni 2012 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

H. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 7. September 2012 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Gemäss Artikel 8 Absatz 2 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserats hat der Beschwerdeführer in der Beschwerde anzugeben, welche Punkte der «Erklärung» er durch die beanstandete Berichterstattung verletzt sieht.

Die Aids-Hilfe Schweiz nennt in ihrer Eingabe vom 24. April 2012 nicht die betroffenen Ziffern der «Erklärung», sondern bezieht sich lediglich auf die der «Erklärung» zugehörigen Richtlinien. Da die einzelnen Richtlinien aber jeweils einer bestimmten Ziffer der «Erklärung» zugeordnet sind, besteht keinerlei Zweifel daran, welche Punkte der «Erklärung» die Beschwerdeführerin verletzt sieht. Mithin ist auf die Beschwerde einzutreten.

2. a) Die Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» auferlegt Journalistinnen und Journalisten die Pflicht, Betroffene vor der Publikation schwerer Vorwürfe zu befragen und deren Stellungnahme im gleichen Medienbericht fair wiederzugeben.

b) Zwar war es dem «CR Cruiser» aus zeitlichen Gründen nicht mehr möglich, die Antworten der Aids-Hilfe Schweiz auf die Fragen der Journalistin in den Hauptartikel einzuarbeiten. Nachdem das Magazin in letzter Minute dafür sorgte, dass die Stellungnahme der Beschwerdeführerin in einem separaten Text abgedruckt wurde und zudem im Hauptbericht darauf hinwies, wäre es unverhältnismässig, hier gestützt auf den Wortlaut der Richtlinie 3.8, wonach die Stellungnahme im gleichen Medienbericht wiederzugeben ist, eine Verletzung der «Erklärung» abzuleiten. Zumal sich die Redaktion frühzeitig und mehrfach um eine Stellungnahme der Beschwerdeführer bemüht hat.

c) Hat der «CR Cruiser» der Aids-Hilfe Schweiz hingegen sämtliche schweren Vorwürfe zur Stellungnahme unterbreitet? Die Beschwerdeführerin beanstandet, zu den Vorwürfen, sie mache Aids zum Geschäft, enthalte den Betroffenen Geld vor und wimmle sie ab und anstelle ihre Beratung in Anspruch zu nehmen, könne man sich ebenso gut auf Wikipedia informieren, sei sie nicht befragt worden.

Gemäss der Praxis des Presserats gelten Vorwürfe als schwer, wenn sie den Betroffenen ein illegales oder damit vergleichbares unredliches Verhalten unterstellen (vgl. dazu zuletzt die Stellungnahme 25/2012). Bei den vorliegend von der Beschwerdeführerin angeführten Beispielen handelt es sich für den Presserat nicht um solch schwere, faktische Vorwürfe, bei denen eine Anhörung zwingend gewesen wäre. Der Titel «Das Geschäft mit Aids» beruht nicht auf einer Faktenbehauptung, sondern auf einer zulässigen kommentierenden Wertung. Diese stützt sich in einer für die Leserschaft erkennbaren Weise vor allem auf zwei Fakten ab: Auf die unbestrittene Professionalisierung der Aids-Hilfe Schweiz und insbesondere des Präsidiums sowie auf die zwischen 2009 und 2010 stark gestiegenen Reise- und Repräsentationskosten.

Ebenso wenig als harte Fakten sondern vielmehr als Interpretation der Autorin respektive des von ihr befragten Zahnarztes Martin Lehner kommen die weiteren Kritikpunkte daher, wonach man sich «wie in jeder gut organisierten, professionellen Einrichtung (…) lieber aufs Abwimmeln» verlege und «dass die Aids-Hilfe Schweiz lieber in ihren aufgeblasenen Verwaltungsapparat investiert und nicht am Stopp der Verbreitung des Problems arbeitet». Und ebenso wenig ist die Kritik eines Einzelnen, wonach er sich lieber bei Wikipedia informiere als die Beratungsdienstleistungen der Aids-Hilfe Schweiz in Anspruch zu nehmen, als schwerer Vorwurf im Sinne der Richtlinie 3.8 zu werten. Eine Verletzung der Anhörungspflicht ist unter diesen Umständen zu verneinen.

3. a) Der Presserat weist in ständiger Praxis darauf hin, dass er aus der «Erklärung» keine Pflicht zu objektiver Berichterstattung ableitet. Vielmehr ist berufsethisch auch ein einseitiger, parteiergreifender Journalismus zulässig (vgl. dazu zuletzt die Stellungnahme 49/2011). Vorbehältlich der Anhörung Betroffener zu schweren Vorwürfen begründet die Pflicht zur Wahrheitssuche keine Verpflichtung der Journalistinnen und Journalisten Sachverhalte, über die sie berichten, umfassend abzuklären.

b) Vorliegend erscheint der Vorwurf der Beschwerdeführerin, die Autorin des beanstandeten Dossiers habe sich nicht um die Wahrheitssuche bemüht, von vornherein insofern verfehlt, als die Aids-Hilfe Schweiz es in der Hand gehabt hätte, die ihr unterbreiteten kritischen Fragen früher zu beantworten.

c) Und soweit sie sich daran stört, dass der «CR Cruiser» die hohen Personalkosten kritisiert, ohne darauf hinzuweisen, dass der Anteil der Personal- an den Gesamtkosten bei einer Non-Profit-Organisation im Dienstleistungsbereich zwangsläufig hoch sei, beanstandet sie zudem wiederum eine Wertung, die als solche je nach Sichtweise als angemessen oder unangemessen erscheinen mag, die sich jedoch einer Beurteilung nach Wahrheitskriterien entzieht.

d) Ebenso gilt dies für die Kritik des «CR Cruiser» am professionalisierten Umgang der Aids-Hilfe Schweiz mit den Spendengeldern und am Umstand, dass bloss ein kleiner Teil des Spendenaufkommens in Form von Direktzahlungen an die Betroffenen fliesst.
e) Soweit für den Presserat überprüfbar zutreffend erscheint hingegen die Rüge der Beschwerdeführerin, es treffe nicht zu, dass man das Antragsformular für den Solidaritätsfonds ausdrucken müsse. Diesbezüglich ist allerdings darauf hinzuweisen, dass einer Unrichtigkeit eine gewisse Relevanz zukommen muss, um daraus eine Verletzung der «Erklärung» abzuleiten (vgl. dazu z.B. die Stellungnahme 28/2010). Zudem enthält die vom «CR Cruiser» abgedruckte Stellungnahme des Geschäftsführers der Aids-Hilfe Schweiz dessen korrigierenden Hinweis, dass die Bewerber die Formulare nicht selber ausfüllen müssten.

f) Zur Zewo-Zertifizierung stellt der Presserat fest, dass diese im Kommentar von Chefredaktor Ender zumindest indirekt erwähnt ist. Der Kommmentar weist zudem darauf hin, dass sich die Verwaltungsaufgaben der Aids-Hilfe Schweiz gemäss Zewo in einem akzeptablen Bereich bewegen und relativiert die Kritik von Lola Sara Arnold-Korf insoweit, als er sie als «zugespitzt formuliert» bezeichnet.

g) Unter dem Gesichtspunkt der Wahrheitssuche als offensichtlich unbegründet erscheint weiter auch die Kritik der Beschwerdeführerin am Vergleich des Fundraisings der Aids-Hilfe Schweiz mit demjenigen von Pink Cross. Zumal der vom «CR Cruiser» zitierte Vertreter von Pink Cross ausdrücklich darauf hinweist, dass es sich um sehr unterschiedliche Grössenordnungen handle.

h) Nachdem eine Verletzung der Wahrheitspflicht zu verneinen ist, war der «CR Cruiser» schliesslich auch nicht verpflichtet, eine Berichtigung zu veröffentlichen.

4. a) Gemäss der Richtlinie 3.1 zur «Erklärung» (Quellenbearbeitung) bildet die Überprüfung der Quelle und deren Glaubwürdigkeit den Ausgangspunkt der journalistischen Recherche.

b) Die Beschwerdeführerin legt bei diesem Beschwerdepunkt nicht näher dar, weshalb die von der Journalistin im Artikel zitierten Personen unglaubwürdig sein sollen. Vielmehr kritisiert sie vor allem die einseitige Auswahl der Quellen. Dazu ist allerdings anzumerken, dass diese
letztlich im Ermessen der Medienschaffenden liegt. Ohnehin stützt sich die Berichterstattung des «CR Cruiser» aber grösstenteils auf öffentlich zugängliche Informationen über die Tätigkeit der Beschwerdeführerin.

c) Der Presserat hat gestützt auf die ihm vorliegenden Unterlagen keine Veranlassung, davon auszugehen, dass die vom «CR Cruiser» wiedergegebenen subjektiven Äusserungen und Einschätzungen von «Ricardo S.», Martin Lehner und Pierre-André Rosselet unglaubwürdig wären. Bei letzterem ist zudem nicht ersichtlich, weshalb sein Mandat als Rechtsberater des «CR Cruiser» hätte offengelegt werden müssen, wenn er in einem Statement lediglich beschreibt, wie das Fundraising bei Pink Cross funktioniert.

5. a) Als offensichtlich unbegründet erscheint schliesslich die Rüge, der «CR Cruiser» vermische in unzulässiger Weise Fakten und kommentierende Wertungen. Gemäss ständiger Praxis des Presserates müssen Fakten und Kommentare nicht zwingend formal getrennt werden. Vielmehr genügt es, wenn das Publikum zwischen Fakten und kommentierenden Wertungen unterscheiden kann.
b) Die unter diesem Gesichtspunkt von der Beschwerdeführerin angeführten Sätze – «Nicht so gerne spricht man aber über die Personalausgaben», «Man will ja keine schlafenden Hunde wecken», «Wie in jeder gut organisierten, professionellen Einrichtung verlegt man sich lieber aufs Abwimmeln» sowie «Löcher zu stopfen zugunsten des Personal-Apparats ist schliesslich die Spezialität der Aids-Hilfe Schweiz. Da kann man doch beim Solidaritätsfonds kräftig einsparen» – sind nach Auffassung des Presserats für die Leserschaft als pointierte, kommentierende Wertungen erkennbar. Ebenso erkennbar ist zudem die generell kritische Stossrichtung des ganzen Dossiers. Die Leserschaft ist damit durchaus in der Lage, Fakten und Meinungen als solche zu erkennen und einzuordnen und sich eine eigene Meinung zu bilden.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde gegen den «CR Cruiser» wird abgewiesen.

2. Der «CR Cruiser» hat mit der Veröffentlichung des Dossiers mit dem Titel «Das Geschäft mit Aids» in der Ausgabe April 2012 die Ziffern 1 (Wahrheitssuche), 2 (Trennung von Fakten und Kommentar), 3 (Quellenbearbeitung, Anhörung bei schweren Vorwürfen) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.