Nr. 12/2012
Wahrheits- und Berichtigungspflicht / Entstellung von Tatsachen / Recherchegespräche

(Roth c. «Berner Oberländer») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 20. April 2012

Drucken

I. Sachverhalt

A. In der Wochenendausgabe vom 1./2. Oktober 2011 berichtete Claudius Jezella im «Berner Oberländer» auf der Frontseite («Droht Grindelwald eine neue Ewap-Lawine?») sowie auf den Seiten 2 und 3 («Peter Roth: ‹Da herrscht absolute Willkür›»), das Grindelwaldner Bruderpaar Peter und Rudolf Roth werfe den Gemeindebehörden vor, in insgesamt 90 weiteren Fällen gegen den Erstwohnungsanteilplan (Ewap) verstossen zu haben.

Betroffen seien auch Wohnungen von Politikern und anderen Persönlichkeiten. «Unter anderem konnten auch SVP-Grossrat Hugo Kummer, Ex-Gemeindepräsident Andreas Studer und sogar die Grüne Grossrätin Christine Häsler die Ewap-Bestimmungen umgehen», behaupte Peter Roth und stelle das Prinzip der Gleichbehandlung in Frage. «Schwere Vorwürfe, doch die Roths sind sich ihrer Sache sicher: ‹Wir können alles belegen, denn wir haben eine Liste mit 90 Wohnungen, bei denen die Bestimmungen nicht korrekt angewendet wurden.›» Der Berner Justizdirektor Christoph Neuhaus wolle diese Liste nun einsehen und prüfen.

B. Am 12. Oktober 2011 druckte der «Berner Oberländer» eine Gegendarstellung von SVP-Grossrat Hugo Kummer ab. Darin stellte dieser klar, dass er beim Kauf einer Ferienwohnung in Grindelwald die Ewap-Bestimmungen weder verletzt noch umgangen habe. Zudem gehöre er dem Grossrat erst seit 2010 an. Somit bestehe offensichtlich kein Zusammenhang zwischen dem 10 Jahre vorher erfolgten Kauf der Ferienwohnung und seiner Mitgliedschaft in der kantonalen Legislative.

C. Am 15. November 2011 verlangten Peter und Rudolf Roth ihrerseits den Abdruck einer Gegendarstellung durch den «Berner Oberländer», da Peter Roth im Artikel vom 1. Oktober falsch zitiert worden sei.

D. Chefredaktor Bruno Stüdle lehnte das Begehren am 17. November 2011 ab, da «wir Ihre Aussagen genau so wiedergegeben» haben, wie wir Ihnen diese zum Gegenlesen per Mail zugestellt haben (…) und wie Sie diese ‹abgesegnet› haben».

E. Am 23. November 2011 beschwerten sich die Gebrüder Peter und Rudolf Roth, Grindelwald, beim Presserat sinngemäss, der «Berner Oberländer» habe mit der Publikation des Berichts vom 1. Oktober 2011 die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Entstellung von Informationen), 4 (Lauterkeit; Recherchegespräche) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

Peter Roth sei im beanstandeten Artikel falsch zitiert worden. Nicht die Wohnung von SVP-Grossrat Hugo Kummer sei in Bezug auf die Bestimmung über den Erstwohnungsanteil fehlerhaft. Fehler gemacht worden seien vielmehr bei «besagter Überbauung», «in der Kummer eine Ferienwohnung hat». Dies sei aus einer Liste klar hervorgegangen, welche die Beschwerdeführer der Redaktion ausgehändigt hätten. Aufgrund des Falschzitats sei bei der Leserschaft der Eindruck entstanden, «die Gebrüder Roth hätten zu wenig akribisch recherchiert».

Chefredaktor Bruno Stüdle habe in der E-Mail vom 17. November 2011 in unlauterer Weise versucht, die von den Beschwerdeführern geforderte Gegendarstellung zu untergraben, indem er behaupte, sie hätten sämtliche gedruckten Aussagen «abgesegnet». Tatsächlich seien ihnen aber nur einzelne «relevante» Passagen zum Gegenlesen unterbreitet worden. Dabei wäre eine Berichtigung «mehr als nur angezeigt und verhältnismässig», selbst «wenn der grösste Teil der Leserschaft durch die ursprüngliche Form nicht getäuscht worden sein sollte».

F. Am 6. Januar 2012 wies Peter Jost, publizistischer Leiter der Berner Oberland Medien AG, die Beschwerde namens der Redaktion «Berner Oberländer» als unbegründet zurück. Peter und Rudolf Roth hätten die Gegendarstellung zu spät verlangt, nach Ablauf der gesetzlichen Frist. Zudem seien die Zitate den Beschwerdeführern vor der Publikation im Wortlaut zur Genehmigung zugestellt worden.

G. Am 13. Januar 2012 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

H. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 20. April 2012 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Soweit sich die Beschwerdeführer sinngemäss darüber beschweren, dass der «Berner Oberländer» den Abdruck ihrer Gegendarstellung verweigert hat («Übrigens hat der ‹Berner Oberländer› die geforderte Gegendarstellung von Hugo Kummer publiziert […] Warum nicht auch bei uns?») ist auf Folgendes hinzuweisen: Es ist nicht Aufgabe des Presserats, sondern gegebenenfalls diejenige des zuständigen Gerichts, die Bestimmungen des Zivilgesetzbuches (Artikel 28 g – l) anzuwenden (so bereits die Stellungnahme 19/2000).

2. Der Presserat kann gestützt auf die ihm unterbreiteten Unterlagen nicht beurteilen – und dazu ist er ohnehin nicht zuständig –, ob und falls ja in welchen der im Bericht des «Berner Oberländer» vom 1. Oktober 2011 genannten Fällen die Bestimmungen über den Erstwohnungsanteil der Einwohnergemeinde Grindelwald gegebenenfalls verletzt worden sind. Und soweit die Beschwerdeführer behaupten, der «Berner Oberländer» habe Peter Roth falsch zitiert, steht Behauptung gegen Behauptung: Währenddem die Kopie einer E-Mail von Redaktor Claudius Jezella vom 29. November 2011 an Peter Roth dokumentiert, dass der Journalist seinem Gesprächspartner sämtliche Zitate – insbesondere auch den gegenüber Grossrat Kummer erhobenen Vorwurf – vor der Publikation unterbreitete und ihn aufforderte, allfällige Korrekturen mitzuteilen, berufen sich die Beschwerdeführer zur Untermauerung ihres Standpunkts auf eine «eigene Ewap-Liste», die sie der Redaktion vor der Publikation des beanstandeten Berichts zugestellt haben. Aus dieser Liste wird für den Presserat die von den Beschwerdeführern geforderte Berichtigung aber in keiner Weise nachvollziehbar, wonach Grossrat Hugo Kummer nur insoweit «betroffen» sein soll, als dessen Ferienwohnung zu einer Überbauung gehöre, bei der im Zusammenhang mit dem Ewap «Fehler» gemacht worden seien. Vielmehr ist für den Presserat nachvollziehbar, dass die Liste – zusammen mit dem genehmigten Zitat – den Eindruck des Journalisten eher noch verstärkte, der entsprechende Vorwurf der Beschwerdeführer richte sich an den Grossrat. Die Behauptung der Beschwerdeführer, Peter Roth sei vom «Berner Oberländer» falsch zitiert worden, ist für den Presserat deshalb nicht erstellt und eine Verletzung der Ziffern 1 (Wahrheit) und/oder 3 (Entstellung von Tatsachen) somit zu verneinen. Ebenso wenig war der «Berner Oberländer» unter diesen Umständen verpflichtet, eine Berichtigung (Ziffer 5 der «Erklärung») zu publizieren.

3. Als offensichtlich unbegründet erscheint zudem die Rüge der Beschwerdeführer, die Redaktion des «Berner Oberländer» habe unlauter gehandelt (Ziffer 4 der «Erklärung»). Vielmehr hat sie dem Beschwerdeführer Peter Roth die zur Veröffentlichung vorgesehenen Zitate korrekt unterbreitet. Und es ist ihr kein Vorwurf zu machen, wenn sie die nachträglich geforderte Berichtigung mit dem Argument ablehnte, dass Peter Roth die ihm unterbreiteten Zitate «abgesegnet» habe.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde gegen den «Berner Oberländer» wird abgewiesen.

2. Der «Berner Oberländer» hat mit der Veröffentlichung der Berichte «Droht Grindelwald eine neue Ewap-Lawine?» «Peter Roth: ‹Da herrscht absolute Willkür›») in der Ausgabe vom 1./2. Oktober 2011 die Ziffern 1 (W
ahrheit), 3 (Entstellung von Informationen), 4 (Lauterkeit; Recherchegespräche) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten») nicht verletzt.