Nr. 4/2004
Namentliche Berichterstattung über Suizid

(Verband Schweizer Fachjournalisten c. «Aargauer Zeitung») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 21. Januar 2004

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I. Sachverhalt

A. Mit Eingabe vom 28. August 2003 rügte der Verband Schweizer Fachjournalisten eine am 15. August 2003 erschienene Notiz unter der Überschrift «Gérard Geiger ist tot» auf der Titelseite der «Aargauer Zeitung», die, wenn auch an weniger prominenter Stelle, auch in anderen Zeitungen (z.B. dem «Tages-Anzeiger») publiziert worden sei.

Im vollen Wortlaut heisst es in der von der Beschwerdeführerin gerügten Mitteilung: «Gérard Geiger ist tot. Ringier-Zeitschriftenchef hat sich das Leben genommen. Gérard Geiger, Leiter des Bereichs Zeitschriften und Konzernleitungsmitglied des Ringier-Verlags, hat sich gestern das Leben genommen. Ringier-Pressesprecherin Myrta Bugini bestätigte der MZ eine entsprechende Meldung des Branchendienstes ÐKlein Reportð. Offenbar ist es am vergangenen Mittwoch zu einer Aussprache zwischen Geiger und dem Verlag gekommen. Wie der ÐKlein Reportð schreibt, wurden dem Manager laut einer internen Ringier-Mitteilung vom Donnerstag Ðfinanzielle Unregelmässigkeitenð vorgeworfen. Inwiefern der Freitod damit zusammenhängt, kann zu diesem Zeitpunkt nicht gesagt werden. Aus Respekt vor der Familie werde man die Angelegenheit nicht weiter kommentieren, sagte Bugini der MZ. (mz)».

B. Der Beschwerdeführer rügt, «Ausführungen zu Vermutungen über die Gerüchte, die zum Freitod von Gérard Geiger geführt haben sollen», seien äusserst geschmacklos und verletzten das Fairnessgebot gemäss der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalisten und Journalistinnen». Ausserdem verstosse der Satz «Offenbar ist es (…) zu einer Aussprache zwischen Geiger und dem Verlag gekommen» gegen die Ziffern 3 (Umgang mit Quellen), und 7 (Unterlassung anonymer und sachlich nicht gerechtfertigter Anspielungen) der «Erklärung». Schliesslich beanstandet der Verband der Fachjournalisten die verschleierte Berichterstattung über die Motive des Freitodes als Verletzung der Ziffern 3, 7 und 8 (Respektierung der Menschenwürde, Diskriminierungsverbot) der «Erklärung».

C. Mit Schreiben vom 30. Oktober 2003 wies die Redaktion der «Aargauer Zeitung» die Beschwerde als unbegründet zurück. Zwar sei man sich durchaus bewusst gewesen, dass «im Regelfall über einen Suizid ohne Namensnennung berichtet wird», doch hätten hier eine Reihe von Gründen für eine Ausnahme gesprochen: Die vorgängige fristlose Entlassung von Gérard Geiger und die Unterschlagung und Veruntreuung, «die im Zusammenhang mit der fristlosen Entlassung ohnehin publik geworden wäre, die Stellung G.G.’s im Ringier-Konzern, die Bedeutung des Unternehmens in der Öffentlichkeit und die Bedeutung des Unternehmens als Arbeitgeber im Kanton Aargau».

D. Am 4. November 2003 teilte der Presserat den Parteien mit, dass die Beschwerde der 3. Kammer zugewiesen worden sei, der Esther Diener-Morscher als Präsidentin sowie Judith Fasel, Gina Gysin, Peter Liatowitsch, Roland Neyerlin, Daniel Suter und Max Trossmann angehören.

E. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 21. Januar 2004 und auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. a) Der Beschwerdeführer rügt zwar nicht explizit, dass die «Aargauer Zeitung» in identifizierender Weise über einen Suizid berichtet hat. Dennoch kann die Frage nicht ausser Acht gelassen werden, zumal die Argumentationen der Parteien darauf aufbauen, dass eine namentliche Berichterstattung über den Suizid von Gérard Geiger und dessen mögliche Hintergründe zulässig bzw. unzulässig gewesen sei.

b) Die Richtlinie 7.9 (Suizid) zur «Erklärung» lautet: «Bei der Berichterstattung über den Tod eines Menschen wird die Grenze zum Intimbereich überschritten. Darum müssen die Massenmedien bei Suizidfällen grösste Zurückhaltung üben.»

c) Die «Aargauer Zeitung» macht in diesem Zusammenhang geltend, Gérard Geiger sei nicht irgendein Mitarbeiter einer zweiten oder dritten Hierarchiestufe gewesen, sondern habe als Mitglied der Konzernleitung und als Verantwortlicher für den gesamten Zeitschriftenbereich von Ringier eine entscheidende Stelle eingenommen. Ein Konzernleitungsmitglied eines Medienkonzerns sei zudem nicht mit einem Geschäftsleitungsmitglied eines unbekannten Klein- oder Mittelbetriebs oder einer Schraubenfabrik gleichzusetzen. «Wer in grossen Medienhäusern eine zentrale Führungsverantwortung übernimmt, akzeptiert, dass er eine Person des öffentlichen Interesses ist.» Der Suizid sei nicht auf persönliche Probleme von Gérard Geiger zurückzuführen gewesen und habe somit nicht seine Privatsphäre betroffen. «Vielmehr ist eine Unterschlagung in Millionenhöhe im grössten Schweizer Medienkonzern ein nach unserem Wissen in der Schweizer Presselandschaft einmaliges Ereignis, welches von öffentlichem Interesse ist.» Über die fristlose Entlassung hätte die «Aargauer Zeitung» auch dann namentlich berichtet, wenn Gérard Geiger seinem Leben kein Ende gesetzt hätte. «Der Suizid ist folglich nur noch eine dramatische und tragische Verdeutlichung eines Fehlverhaltens, das ohnehin publik geworden wäre (…) Ein Suizid macht ein Fehlverhalten nicht zunichte, es verdeutlicht es erst. Zudem ist der Suizid ein Willensakt einer Person, der es bewusst sein musste, dass gerade diese finale Handlung Aufmerksamkeit erweckt.»

d) Der «Aargauer Zeitung» ist zuzugestehen, dass Gérard Geiger als Leiter des Bereichs Zeitschriften und Konzernleitungsmitglied eines grossen nationalen Medienhauses eine wichtige Stellung innehatte und deshalb in der Branche – in der Westschweiz zudem in besonderem Masse als Direktor von Ringier Romandie – bekannt war. Wie stark man ihn darüber hinaus in einer breiten interessierten Öffentlichkeit kannte, kann hier offen bleiben. Der Presserat hat in seiner Praxis zur Richtlinie 7.6 (Namensnennung) festgehalten, dass bei der Abwägung, ob das öffentliche Interesse an einer namentlichen Berichterstattung als überwiegend anzusehen ist, neben anderen Kriterien auch darauf abzustellen ist, ob der davon Betroffene eine leitende Funktion einnimmt (Stellungnahmen 6/1999 und 2/2003). Eine Namensnennung ist dabei nicht nur bei Trägern von wichtigen öffentlichen Funktionen im herkömmlichen Sinn (Magistraten, Angestellte des öffentlichen Dienstes usw.) zulässig, sondern generell, wenn es um eine Person in einer wichtigen gesellschaftlichen Stellung geht und der Gegenstand der Berichterstattung in engem Zusammenhang mit dieser Funktion steht (Stellungnahme 66/2002). Entsprechend haben zahlreiche, nicht nur fachspezifische Medien vor dessen Tod über die Tätigkeiten von Gérard Geiger in der Medienbranche berichtet, ohne dass dies, soweit ersichtlich, je beanstandet worden wäre.

e) Wenn es zu Lebzeiten von Gérard Geiger gerechtfertigt war, unter Namensnennung über seine beruflichen Tätigkeiten zu berichten, wäre es deshalb – wenn er sich nicht das Leben genommen hätte – berufsethisch kaum zu beanstanden gewesen, in identifizierender Weise die von der Beschwerdegegnerin behauptete fristlose Entlassung und die gegenüber ihm erhobenen Vorwürfe «finanzieller Unregelmässigkeiten» zu vermelden (dies selbstverständlich unter Vorbehalt der Beachtung des nachstehend zu behandelnden Fairnessgebots). Daraus kann aber noch nicht abgeleitet werden, dass damit auch die Berichterstattung über den Suizid und dessen mutmasslichen Gründe ohne weiteres zulässig war. Denn mit dem Suizid – was auch die «Aargauer Zeitung» einräumt – verschiebt sich die Grenzziehung der namentlichen Berichterstattung noch einmal in Richtung einer wesentlich grösseren Zurückhaltung. Ausgehend von der Richtlinie 7.9 zur «Erklärung» ist nicht mehr bloss eine Güterabwägung zum Privatbereich vorzunehmen. Vielmehr ist hier zwischen der Wahrung der Intimsphäre des Verstorbenen und seiner Familie und dem Interesse der Öffentlichkeit an einer identifizierenden Orientierung über den Suizid, dessen mutmasslicher Ursache und die dem V
erstorbenen zur Last gelegten Verfehlungen abzuwägen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Medien nicht nur bei der namentlichen Suizidberichterstattung, sondern darüber hinaus ganz generell zu grösster Zurückhaltung bei der Berichterstattung über Suizide aufgefordert sind.

f) Deshalb ist die Argumentation der «Aargauer Zeitung» berufsethisch nicht haltbar, wonach der Suizid von Gérard Geiger bloss eine unwesentliche Folge des vorangegangenen beruflichen Fehlverhaltens gewesen sei, das die Privatsphäre nicht berührt habe. Ebensowenig kann der Beschwerdegegnerin gefolgt werden, wenn sie sinngemäss geltend macht, der Verstorbene habe in Kauf genommen, mit seiner Handlung öffentliche Aufmerksamkeit zu erwecken. Entgegen dieser Auffassung gebot gerade der Umstand des Suizids eine noch stärkere Zurückhaltung bei der Berichterstattung über diesen Fall.

g) Allerdings darf laut der Richtlinie 7.9 über einen Suizid ausnahmsweise insbesondere dann berichtet werden, wenn sich Personen des öffentlichen Lebens umbringen und ihr Handeln zumindest in einem vermuteten öffentlichen Zusammenhang steht. Geht man von der vom Presserat in diesem Verfahren nicht zu überprüfenden Darstellung der Fakten durch die Beschwerdegegnerin aus, war damit auch eine namentliche, pietätvolle Berichterstattung über den tragischen Tod von Gérard Geiger nicht ausgeschlossen. Kein stichhaltiges Argument zu Gunsten einer Berichterstattung stellt hingegen das weitere von der Beschwerdegegnerin angeführte Argument dar, man habe sich selbstverständlich auch die Überlegung gemacht, wie einzelne Ringier-Medien reagiert hätten, wenn sich ein Konzernleitungsmitglied einer anderen Mediengruppe das Leben genommen hätte, kurz nachdem es wegen kriminellen Handlungen entlassen wurde.

2. a) Nachfolgend bleibt damit anhand der konkreten Beanstandungen des Verbands der Schweizer Fachjournalisten zu prüfen, ob die «Aargauer Zeitung» sich bei ihrer Berichterstattung die gebotene Zurückhaltung auferlegt und insbesondere auch auf die Gefühle der Angehörigen des Verstorbenen angemessen Rücksicht genommen hat. Der Beschwerdeführer macht dazu geltend, die Veröffentlichung von Vermutungen und Gerüchten zu den Gründen, die zum Freitod von Gérard Geiger führten, verstosse gegen das Fairnessgebot. Zudem verletze die verschleierte Vermutung über die Motive des Freitodes die Ziffern 3 (Quellen), 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) und 8 (Menschenwürde) der «Erklärung».

b) Über die bereits oben wiedergegebene Argumentation hinaus wendet die «Aargauer Zeitung» dazu ein, sie habe über zuverlässige Quellen aus dem Haus Ringier verfügt und dabei in Erfahrung gebracht, dass die Ursache des Suizids in einem kriminellen Fehlverhalten im Arbeitsprozess lag. Gérard Geiger habe sich seine private Kunstsammlung mittels fingierter Rechnungen finanziert.

c) Der Presserat hat das Fairnessprinzip zuerst als eines der «Erklärung» zugrundeliegenden Prinzipien direkt aus dieser abgeleitet (vgl. dazu die Stellungnahme 11/99 mit zahlreichen weiteren Hinweisen). Im Rahmen der Teilrevision 2000 der «Erklärung» wurde dieses Prinzip dann explizit in den ersten Absatz der «Erklärung der Pflichten» aufgenommen. Ausdruck des Fairnessprinzips ist beispielsweise die Pflicht, Betroffene zu schweren Vorwürfen vor der Publikation anzuhören (Richtlinie 3.8 zur «Erklärung»). Darüber hinaus können aber auch weitere Richtlinien als Ausdruck dieses Prinzips gesehen werden, so beispielsweise die bereits mehrfach angesprochene Richtlinie 7.9 (Suizid). Damit fällt die Prüfung der Rüge der Verletzung des Fairnessprinzips hier weitgehend mit der Beantwortung der noch offen gelassenen Frage zusammen, ob die «Aargauer Zeitung» bei ihrer identifizierenden Berichterstattung über den Suizid von Gérard Geiger die den Umständen angepasste Zurückhaltung und Rücksicht gezeigt hat.

d) Dies ist nach Auffassung des Presserates aus folgenden Gründen zu verneinen: Problematisch erscheint vorab der Zeitpunkt einer relativ detaillierten Information am Tag nach dem Suizid, zu einem Zeitpunkt also, in dem das Umfeld des Verstorbenen noch unter Schock gestanden haben dürfte. Bei angemessener Berücksichtigung der Gefühle der Betroffenen wäre es angezeigt gewesen, entweder mit der Publikation einige Zeit zuzuwarten oder eine erste Publikation zumindest zurückhaltender zu gestalten. So wäre es für die Beschwerdegegnerin beispielsweise ohne weiteres möglich gewesen, in einem ersten Schritt bloss den Suizid zu vermelden und gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass man aus Rücksicht auf die Familie zur Zeit nicht auf die Hintergründe eingehe. Denn angesichts des tragischen Todes wog das Interesse der Öffentlichkeit, sofort über die von der «Aargauer Zeitung» geltend gemachten Finanzdelikte im Haus Ringier orientiert zu werden, weniger schwer als dasjenige der Angehörigen an einer pietätvollen Berichterstattung.

Hinzu kommt der Umstand, dass gleichzeitig mit der Bekanntgabe des Suizids nachträglich schwere Vorwürfe gegenüber dem Verstorbenen erhoben oder zumindest stark angedeutet wurden. Dies ist unter dem ethischen Gebot der Anhörung beider Seiten («audiatur et altera pars») problematisch. Eine solche Anhörung war zwar angesichts des Todes von Gérard Geiger nicht mehr möglich und eine Kontaktnahme mit der Familie zu diesem Zeitpunkt nicht angezeigt. Gerade weil es unter diesen Umständen nicht gelingen konnte, den «Mindeststandard» an Fairness sicherzustellen, hätte sich die Beschwerdegegnerin hinsichtlich der Hintergründe des Suizids ganz besonderer Sorgfalt und Zurückhaltung befleissigen müssen. Im Ergebnis kommt der Presserat deshalb zum Schluss, dass die «Aargauer Zeitung» mit ihrem Bericht vom 15. August 2003 die Richtlinie 7.9 sowie sinngemäss die Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» verletzt hat, weil sie die den Umständen angemessene Zurückhaltung hat vermissen lassen.

e) Ob die Berichterstattung der «Aargauer Zeitung» darüber hinaus gegen die Menschenwürde verstösst, misst sich gemäss der Praxis des Presserates zu Ziffer 8 der «Erklärung» danach, ob Gérard Geiger ungebührend verunglimpft und in unnötiger, sachlich unbegründeter Weise in seinem Menschsein herabgesetzt wurde. Dafür müsste der Angriff auf die Person eine wesentlich höhere Intensität erreichen und den Betroffenen beispielsweise wegen angeborener oder erworbener körperlicher oder charakterlicher Eigenschaften erniedrigend darstellen. Davon kann vorliegend offensichtlich nicht die Rede sein.

f) Ebenso unbegründet erscheint schliesslich die Beanstandung, der Satz «Inwiefern der Freitod damit zusammenhängt, kann zu diesem Zeitpunkt nicht gesagt werden» verstosse gegen die Ziffern 3 und 7 der «Erklärung». Zum einen ist klar, dass es sich hier nicht um die Wiedergabe einer Quelle, sondern um eine eigene Einschätzung der «Aargauer Zeitung» handelt. Zum anderen ist nicht nachvollziehbar, inwiefern aus dem Festhalten des eigenen Nichtwissens der Beschwerdegegnerin eine sachlich ungerechtfertigte Anschuldigung konstruiert werden soll.

3. a) Die Beschwerdeführerin rügt schliesslich, die Publikation des Satzes «Offenbar ist es am vergangenen Mittwoch zu einer Aussprache zwischen Geiger und dem Verlag gekommen» verstosse gegen den gebotenen Umgang mit Quellen und stelle zudem eine sachlich ungerechtfertigte Anschuldigung dar.

b) Der beanstandeten Mitteilung der «Aargauer Zeitung» vom 15. August 2003 sind im wesentlichen drei Hauptaussagen zu entnehmen:

– «Gérard Geiger, Leiter des Bereichs Zeitschriften und Konzernleitungsmitglied des Ringier-Verlags, hat sich gestern das Leben genommen.» – «Offenbar ist es am vergangenen Mittwoch zu einer Aussprache zwischen Geiger und dem Verlag gekommen. Wie der «Klein-Report» schreibt, wurden dem Manager laut einer internen Ringier-Mitteilung vom Donnerstag Ðfinanzielle Unregelmässigkeitenð vorgeworfen.» – «Inwiefern der Freitod damit zusammenhängt, kann zu diesem Zeitpunkt nicht gesagt werden.»

c) Die Informa
tion über den Suizid als solchen wurde laut der «Aargauer Zeitung» durch die Pressesprecherin von Ringier bestätigt. Als Quelle der dem Verstorbenen angeblich vorgeworfenen «finanziellen Unregelmässigkeiten» wurde der Branchendienst «Klein Report» genannt, der sich seinerseits wiederum auf eine interne Ringier-Mitteilung berufe. Einzig bezüglich der angeblichen Aussprache zwischen dem Verlag und Gérard Geiger wird keine direkte Quelle angegeben, doch darf aus dem Gesamtzusammenhang geschlossen werden, dass die Beschwerdegegnerin direkt aus dem Hause Ringier Informationen zum geschilderten Vorgang erhielt. Die Richtlinie 3.1 (Quellenbearbeitung) zur «Erklärung» verpflichtet nicht in jedem einzelnen Berichtspunkt dazu, die entsprechende Quelle zu benennen. Vielmehr ist die Quellennennung vorbehältlich eines überwiegenden Interesses an einer Geheimhaltung einer Quelle nur dann zwingend, wenn dies zum Verständnis einer Information wichtig ist. Vorliegend wäre der Hinweis auf «zuverlässige Quellen aus dem Haus Ringier» zwar hilfreich, für das Verständnis des Beitrags aber jedenfalls nicht unabdingbar gewesen.

d) Soweit der Beschwerdeführer darüber hinaus ohne nähere Begründung behauptet, der Satz «Offenbar ist es am vergangenen Mittwoch zu einer Aussprache zwischen Geiger und dem Verlag gekommen» stelle eine sachlich ungerechtfertigte Anschuldigung dar, ist auch diese Rüge abzuweisen. Denn einerseits vermag der Presserat, wie schon weiter oben angeführt, aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Akten nicht zu beurteilen, ob diese Darstellung der Fakten der Wahrheit entspricht. Darüber hinaus erscheint mehr als fraglich, ob die blosse Mitteilung über eine Aussprache, die angeblich stattgefunden hat, als «Anschuldigung» im Sinne von Ziffer 7 der «Erklärung» zu werten ist.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde gegen die «Aargauer Zeitung» wird teilweise gutgeheissen.

2. Die «Aargauer Zeitung» hat die Richtlinie 7.9 (Suizid) sowie sinngemäss die Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt, indem sie sowohl den Suizid des Konzernleitungsmitglieds von Ringier und Leiter des Bereichs Zeitschriften, Gérard Geiger, bereits am darauffolgenden Tag bekanntgab und gleichzeitig post mortem über den gegenüber ihm erhobenen Vorwurf «finanzieller Unregelmässigkeiten» berichtete. Damit nahm sie ungenügend auf die Gefühle von Familie und Umfeld des Verstorbenen Rücksicht und zudem in Kauf, dass die bei schweren Vorwürfen notwendige Darstellung der Positionen beider Seiten nicht gewährleistet war.

3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.