Nr. 27/2012
Namensnennung

(X. c. «Tagblatt der Stadt Zürich») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 22. Juni 2012

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I. Sachverhalt

A. Am 23. November 2011 schrieb der Journalist Bruno Bötschi in seiner im «Tagblatt der Stadt Zürich» erscheinenden Kolumne «Bötschi klatscht»: «‹Also, Herr Bötschi, umwerfend spannend ist ihre Klatschkolumne nicht›, schrieb mir vergangene Woche der Leser X.. Er empfahl mir: «Nehmen Sie doch einen Kurs bei Hildegard Schwaninger!› Obwohl er mich für unfähig hält, liest Herr X. meine Kolumne scheinbar trotzdem regelmässig. Und er stellte mir dann auch noch eine indiskrete Frage: ‹Wie und wo lebt Markus Gilli von Tele Züri? Sie haben nur einmal ganz schüüch erwähnt, ihn im Tessin gesehen zu haben. Haben alle Angst davor, über ihn zu klatschen? Also, Herr Bötschi, schreiben Sie einmal über den Gilli. Ob er mit einer Frau zusammenlebt oder allein oder gar am End … Ich freue mich über eine diesbezügliche Kolumne.› Nun, Herr Gilli soll jahrelang mit seiner Mutter zusammengelebt haben. Aber das tun ja die meisten Menschen. Über den weiteren Lebensinhalt von Herrn Gilli weiss ich zudem folgendes: Tele Züri ist seine unbestrittene Nr. 1. ‹Diesbezügliche Kolumnen› über Herrn Gilli werden Sie an dieser Stelle allerdings nie lesen und auch nicht, ob er gar am Ende … ja, was soll er gar am Ende sein, Herr X.? Und wenn er gar am Ende wäre, wäre das ein Problem für Sie, Herr X.? Ach, ‹mir wey nid grüble›.»

B. Am 23. November 2011 beschwerte sich X. beim Presserat, dass Bruno Bötschi seine Kritik und Anregung unter Namensnennung veröffentlicht und ihn so blossgestellt habe. Er habe Bötschi anonym unter dem Namen «Schifferli44@gmx.ch» geschrieben. Deshalb sei es ihm ein Rätsel, wie der Journalist zu seinem Namen gekommen sei. Die Mitteilung sei zudem offensichtlich kein Leserbrief und sei auch nicht als solcher behandelt worden.

C. Am 19. Dezember 2011 wies Chefredaktor Markus Hegglin die Beschwerde namens der Redaktion des «Tagblatt» als unbegründet zurück. Der Kolumnist Bruno Bötschi habe die ihm von X. direkt zugestellte Leserreaktion in die beanstandete Kolumne eingebaut, wie er dies häufig tue. Der Beschwerdeführer habe zwar als E-Mail-Adresse ein Pseudonym gewählt, aber seinen Beitrag mit dem richtigen Namen unterschrieben. X. habe zudem nicht ausdrücklich geschrieben, dass sein Beitrag nicht zur Veröffentlichung gedacht sei. Deshalb sei die Vorgehensweise von Bruno Bötschi nicht zu beanstanden. Zum einen handle es sich nicht um eine weltbewegende Sache. Zum anderen könne man generell nicht erwarten, dass Zuschriften an ein Medium ohne Echo blieben. X. sei zudem ein regelmässiger Leserbriefschreiber. Zwar würden seine Beiträge selten abgedruckt. Aber es lasse sich doch feststellen, dass er seinen Namen gerne in der Zeitung stehen sehe.

E. Gestützt auf die entsprechende Anfrage des Presserats teilte X.am 10. Januar 2012 mit, er verfüge leider über keine Kopie der fraglichen E-Mail an Bruno Bötschi mehr.

F. Am 27. Januar 2012 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

G. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 22. Juni 2012 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.


II. Erwägungen

1. Es ist einem Kolumnisten unbenommen, Reaktionen auf frühere Kolumnen in einem neuen Beitrag zu thematisieren. Entsprechend durfte Bruno Bötschi die «Kritik und Anregung» von X. ohne Weiteres in seiner Kolumne thematisieren. Gestützt auf die Beschwerdeunterlagen ist denn auch festzustellen, dass der Beschwerdeführer in erster Linie die Nennung seines Namens beanstandet. Sinngemäss rügt der Beschwerdeführer mithin eine Verletzung von Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten».

2. Der Presserat hat sich in der Stellungnahme 38/2011 mit der Frage auseinandergesetzt, ob eine Redaktion einen ihr zur Veröffentlichung zugestellten Leserbrief überhaupt zu einem redaktionellen Bericht verarbeiten darf, ohne den Leserbrief selber abzudrucken. Wie bereits bei der Stellungnahme 15/1998 – hier ging es darum, dass eine Zeitung einen von einer anderen Zeitung publizierten Leserbrief kommentierte, ohne den Leserbrief selber zu veröffentlichen – bejahte er dies mit dem Argument, dass Leserbriefe für die Öffentlichkeit bestimmt sind. «Leserbriefe sind in dieser Hinsicht ähnlich wie Medienmitteilungen zu behandeln, die eine Redaktion selbstverständlich redaktionell bearbeiten darf.»

3. Gilt dieser Grundsatz über eigentliche Leserbriefe und Online-Kommentare hinaus für sämtliche Feedbacks, welche eine Redaktion auf die von ihr veröffentlichten Medienberichte erhält? Nach Auffassung des Presserats ginge diese zu weit. Im Gegensatz zu einem Leserbrief oder einem Online-Kommentar richtet sich ein Feedback an einen Autor nicht unbedingt an die Öffentlichkeit und ist deshalb die Einwilligung des Betroffenen in die Namensnennung nicht ohne Weiteres zu vermuten. Ungeachtet davon, ob der Beschwerdeführer – wie er behauptet, sich ohne Namensnennung bloss unter einem Fantasienamen per E-Mail an Bruno Bötschi gerichtet hat oder ob er wie dies das «Tagblatt der Stadt Zürich» geltend macht, seine E-Mail mit seinem richtigen Namen unterschrieben hat, war es jedenfalls unverhältnismässig, seinen Namen in der beanstandeten Kolumne zu nennen und ihn so öffentlich blosszustellen. Zumal der Beschwerdeführer weder eine Person des öffentlichen Lebens ist noch die Namensnennung anderweitig durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt war.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird gutgeheissen.

2. Das «Tagblatt der Stadt Zürich» hat mit der Veröffentlichung der Kolumne «Bötschi klatscht» in seiner Ausgabe vom 23. November 2011 die Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.