Nr. 20/2012
Menschenwürde / Diskriminierende Anspielungen

(X. c. «20 Minuten Online») Stellungnahme des Presserates vom 14. Mai 2012

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I. Sachverhalt

A. Am 12. April 2012 berichtete Attila Szenogrady über eine Gerichtsverhandlung gegen einen Zuhälter (Titel: «Roma-Zuhälter muss im Knast bleiben»). Der Lead des Artikels lautet: «Ein 41-jähriger Mann hatte eine ungarische Roma-Prostituierte auf den Strich geschickt, gequält und geschlagen. Das Obergericht hat ihn wegen Förderung der Prostitution verurteilt, aber nicht wegen Menschenhandel.» Das Gericht habe dabei ein erstinstanzliches Urteil im Wesentlichen bestätigt und die Strafe für den bald 41-jährigen Kosovo-Albaner aus Zürich von 28 Monaten unbedingt auf neu 30 Monate unbedingt erhöht.

B.
Am 16. April 2012 beschwerte sich X. über den «diskriminierenden» Bericht von «20 Minuten», der gegen die Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstosse. Die Bezeichnung «Roma-Zuhälter» in der Überschrift erwecke beim Leser unweigerlich den Eindruck, der Verurteilte sei selber ein Roma. Die Zeitung spiele also gezielt auf bestehende romafeindliche Vorurteile an, indem sie suggeriere, dass «schon wieder» ein Roma in die Prostitution verwickelt sei. «Die Tatsache, dass eine Romafrau ausgebeutet wurde, ist der Zeitung offensichtlich keine Schlagzeile wert.»

C. Gemäss Art. 12 Abs. 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presseratspräsidium Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.

D. Das Presseratspräsidium, bestehend aus Präsident Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann, hat die vorliegende Stellungnahme per 14. Mai 2012 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Gemäss Art. 10 Abs. 1 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf eine Beschwerde ein, wenn sie offensichtlich unbegründet erscheint.

2. Ziffer 8 der «Erklärung» verpflichtet die Journalistinnen und Journalisten dazu, in der Berichterstattung auf diskriminierende Anspielungen zu verzichten, welche die ethnische oder nationale Zugehörigkeit zum Gegenstand haben. Laut der Richtlinie 8.2 (Diskriminierung) zur «Erklärung» ist bei derartigen Angaben zu beachten, dass sie bestehende Vorurteile gegen Minderheiten verstärken können.
Nach der Praxis des Presserats zum Diskriminierungsverbot gilt eine Anspielung als diskriminierend, wenn ein Medienbericht durch eine unzutreffende Darstellung das Ansehen einer geschützten Gruppe beeinträchtigt und die Gruppe kollektiv herabwürdigt. In der Stellungnahme 21/2001 empfahl der Presserat, bei jeder Aussage «kritisch zu fragen, ob damit eine angeborene oder kulturell erworbene Eigenschaft herabgesetzt wird oder ob herabsetzende Eigenschaften kollektiv zugeordnet werden, ob lediglich Handlungen der tatsächlich dafür Verantwortlichen kritisiert werden oder ob die berechtigte Kritik an einzelnen in ungerechtfertigter Weise kollektiviert wird». Der Presserat hat in seinen Stellungnahmen zum Diskriminierungsverbot und zur Menschenwürde (vgl. die Stellungnahmen 38/2000, 32/2001, 6, 9 und 37/2002, 44/2003, 32/2006, 16/2007 und 21/2008) zudem konstant darauf hingewiesen, dass die abwertende Äusserung gegen eine Gruppe oder ein Individuum eine Mindestintensität erreichen muss, um als herabwürdigend oder diskriminierend zu gelten. Nur dann verletzt sie Ziffer 8 der «Erklärung».

3. Zwar gehören die Roma zu den durch das Diskriminierungsverbot geschützten Minderheiten, über welche die Medien häufig stereotyp berichten (28/2011). Eine derartige, einer Diskriminierung Vorschub leistende Berichterstattung ist für den Presserat beim beanstandeten Bericht von «20 Minuten» aber offensichtlich zu verneinen. Weder suggeriert der Artikel von Attila Szenogrady irgendwelche Verallgemeinerungen in Bezug auf die Verbindung der Themen «Roma» und «Prostitution», noch hält der Presserat die Interpretation der Beschwerdeführerin für zutreffend, wonach der Titel «Roma-Zuhälter» unzweideutig den falschen Eindruck erwecke, beim verurteilten Zuhälter handle es sich um einen Roma. Der beanstandete Titel kann im Gegenteil ebenso gut auch so verstanden werden, wie er offenbar gemeint war – Zuhälter von Roma – und spätestens beim Lesen des Leads wird endgültig klar, dass es sich nicht beim Täter, sondern vielmehr beim Opfer um eine Roma handelt. Unter diesen Umständen tritt der Presserat nicht auf die offensichtlich unbegründete Beschwerde ein.

III. Feststellung

Der Presserat tritt nicht auf die Beschwerde ein.