Nr. 2/1999
Kritik an Personen des öffentlichen Lebens / Spielregeln der journalistischen Befragung

(Crippa c. „FACTS“) Stellungnahme vom 31. Januar 1999

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I. Sachverhalt

A. In der Ausgabe Nr. 36/1998 vom 11. September 1998 veröffentlichte „FACTS“ unter dem Titel „Der doppelte Crippa“ und dem Untertitel „Für Güter die Bahn, für Crippa die Achterbahn. Den Bähnlern gilt er als Verräter, aber auch der Lastwagenlobby geht er bisweilen zu weit“ einen von Redaktor Mario Tuor gezeichneten Artikel, in welchem im Vorfeld der Abstimmung über die leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) der „Seitenwechsel“ des früheren SBB-Generaldirektors Michel Crippa von der Bahn zum Schweizerischen Nutzfahrzeugverbands ASTAG als „Verrat“ kritisiert und eine kritische Bilanz seines früheren Wirkens als SBB-Generaldirektor gezogen wurde.

B. Mit Schreiben vom 11. September 1998 machte Michel Crippa gegenüber „FACTS“ geltend, er sei durch den Artikel „auf das Schwerste diffamiert und in seiner Persönlichkeit verletzt“ worden. Er verlangte von Mario Tuor „innert Wochenfrist eine schriftliche Entschuldigung mit Publikation in ‘FACTS’, worin er sein Bedauern über die ungerechtfertigten Angriffe ausdrückt.“ Mit Schreiben vom 17. September 1998 wies Rechtsanwalt Simon Canonica vom Rechtsdienst der TA-Media AG namens der „FACTS“-Redaktion die Vorwürfe der Diffamierung und Persönlichkeitsverletzung als unzutreffend zurück. Weder „FACTS“ noch Mario Tuor sähen sich veranlasst, eine Entschuldigung zu publizieren. Hingegen erklärte sich „FACTS“ bereit, eine Stellungnahme von Michel Crippa unter der Rubrik „Reaktionen“ zu veröffentlichen.

C. Am 25. September 1998 erhob Michel Crippa beim Presserat Beschwerde gegen Mario Tuor. Er kritisierte insbesondere eine Verletzung von Ziff. 1 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ (Wahrheitspflicht) dadurch, dass „FACTS“ die Aussagen von einzelnen Bahnangestellten, wonach er ein „Verräter“ sei, als Meinung des gesamten Bahnpersonals dargestellt habe. Weiter machte der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 28ff. ZGB sowie von Ziff. 7 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“(Pflicht zur Respektierung der Privatsphäre) durch Aussagen wie der „Doppelte Crippa“, „Crippa ist ein Verräter“, „der massige Crippa mit stets gerötetem Gesicht und Pommadenfrisur“ sowie „Crippas vierjähriges Gastspiel bei den SBB ist vielen Bähnlern noch in schlechter Erinnerung“ geltend. Eine weitere Verletzung von Ziff. 7 der „Erklärung“ (Unterlassung anonymer Anschuldigungen) sah der Beschwerdeführer zudem in der Wiedergabe anonymer negativer Äusserungen Dritter. Weiter machte Michel Crippa sinngemäss eine Verletzung von Ziff. 4 der „Erklärung“(Lauterkeit der Recherche) dadurch geltend, dass Mario Tuor vorgetäuscht habe, einen Artikel über die LSVA zu schreiben, in Tat und Wahrheit jedoch ein herabsetzendes Portrait über den Beschwerdeführer geplant habe. Schliesslich rügte der Beschwerdeführer, auf sein Protestschreiben vom 11. September 1998 habe er weder vom Beschwerdegegner noch vom Chefredaktor eine Reaktion erhalten, ebensowenig sei in „FACTS“ auf seine Aufforderung zur Entschuldigung reagiert worden.

D. In seiner Stellungnahme vom 28. November 1998 beantragte Rechtsanwalt Simon Canonica vom Rechtsdienst der TA-Media AG im Namen und Auftrag von Mario Tuor und der „FACTS“-Redaktion, die Beschwerde sei abzuweisen. Von einer unlauteren Recherche könne keine Rede sein, da aufgrund des Ablaufs des Gesprächs zwischen Mario Tuor und dem Beschwerdeführer ersichtlich gewesen sei, dass sich der „FACTS“-Artikel schwergewichtig mit der Rolle des Beschwerdeführers als ehemaliger SBB-Generaldirektor und heutiger Kämpfer gegen die LSVA auseinandersetzen würde. „FACTS“ habe weiter nicht behauptet, der Vorwurf des Verrates werde von allen Bähnlern erhoben, weshalb eine Verletzung der Wahrheitspflicht zu verneinen sei. Ebenso sei der Vorwurf einer Verletzung von Ziff. 7 der „Erklärung“ zurückzuweisen. Schliesslich treffe nicht zu, dass der Beschwerdeführer auf den Brief vom 11. September 1998 keine Antwort erhalten habe. Die Redaktion des Rechtsdiensts der TA-Media AG an den Beschwerdeführer sei innert Wochenfrist erfolgt.

E. Der Presserat übertrug den Fall seiner 1. Kammer, der Roger Blum als Präsident sowie Sylvie Arsever, Sandra Baumeler, Klaus Mannhart, Enrico Morresi und Edi Salmina als Mitglieder angehören. Die Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 26. November 1998 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass sich der Presserat ausschliesslich zu Fragen der Berufsethik und der Auslegung der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ äussert. Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung von Rechtsnormen geltend macht, kann deshalb auf die Beschwerde nicht eingetreten werden.

2. Gemäss Ziff. 1 der „Erklärung“ der Pflichten und Rechten der Journalistinnen und Journalisten“ haben sich Medienschaffende an die Wahrheit ohne Rücksicht auf die sich daraus für sie ergebenden Folgen zu halten und haben sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten zu lassen, die Wahrheit zu erfahren.

Der Beschwerdeführer sieht eine Verletzung von Ziff. 1 der „Erklärung“ darin, dass „FACTS“ seiner Leserschaft durch die Wiedergabe anonymer Aussagen wahrheitswidrig suggeriert habe, die Aussage „Crippa ist ein Verräter“ werde von allen SBB-Angestellten geteilt. Durch die Pauschalisierung einzelner Aussagen zu allgemeingültigen Meinungen und der damit verbundenen verzerrten Darstellung der Tatsachen werde das Wahrheitsgebot verletzt.

Der Beschwerdegegner entgegnet auf diesen Vorwurf, „FACTS“ habe nirgends behauptet, es gebe keine Bahnangestellten mehr, die zum Freundes- oder Bekanntenkreis des Beschwerdeführers gehören würden. Ebensowenig habe „FACTS“ behauptet, der Vorwurf des Verrats werden von allen Eisenbahnangestellten erhoben. Wer wie der Beschwerdeführer von der SBB zur direkten Konkurrenz wechsle, dürfe sich nicht wundern, dass ein solches Verhalten als Verrat ankomme. Der Beschwerdegegner sei bei seinen Recherchen bei den SBB auf niemanden gestossen, der dem Beschwerdeführer wegen seines Engagements gegen die LSVA-Vorlage nicht gegrollt hätte.

Im beanstandeten Artikel erscheinen im Zusammenhang mit diesem Vorwurf folgende Passagen des Untertitels und des Lauftexts als relevant: „Den Bähnlern gilt er als Verräter (…)“ und „‘Crippa’, lautet der Tenor der Bähnler, ‘ist ein Verräter’“. Bei separater Betrachtung dieser Zitate ist dem Beschwerdeführer zwar zuzugestehen, dass diese etwas pauschal formuliert sind. Dessenungeachtet ist aber für den Leser aus dem Kontext, in dem die Zitate eingebettet sind, ohne weiteres erkennbar, dass „FACTS“ offensichtlich keine Meinungsumfrage bei allen Bahnangestellten durchgeführt, sondern lediglich einzelne Bahnangestellte befragt hat und damit lediglich deren Meinung wiedergeben kann. Ist für den Leser aber klar, dass das von Beschwerdeführer gerügte Werturteil von vornherein in diesem Sinne zu relativieren ist, kann von einer Verletzung von Ziff. 1 der „Erklärung“ keine Rede sein.

2. Eine Verletzung von Ziff. 7 der „Erklärung“ (Sie respektieren die Privatsphäre des einzelnen, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Sie unterlassen anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) sieht der Beschwerdeführer einerseits in der Wiedergabe von Aussagen wie der „Doppelte Crippa“, „Crippa ist ein Verräter“, „der massige Crippa mit stets gerötetem Gesicht und Pommadenfrisur“ sowie „Crippas vierjähriges Gastspiel bei den SBB ist vielen Bähnlern noch in schlechter Erinnerung“, andererseits in der Veröffentlichung anonymer negativer Äusserungen Dritter. Was sein Aussehen mit der Sachkompetenz zur Abstimm
ungsvorlage zu tun habe, sei ihm ein Rätsel und habe mit seriösem Journalismus nichts zu tun. Aus der Beschreibung seiner Tätigkeit als Generaldirektor der SBB entstehe zudem der falsche Eindruck, dass all seine erbrachten Leistungen absolut ungenügend und unbrauchbar gewesen seien. Auf die gleiche Art und Weise werde sein Führungs- und Verhandlungsstil durch anonyme Aussagen von Dritten in Frage gestellt. Die grosse Mehrheit seiner ehemaligen Mitarbeiter bei den SBB wie auch seine heutigen Mitarbeiter bei der ASTAG teilten diese Meinung nicht. Durch seine Stellung als Person der Öffentlichkeit sei er es zwar gewohnt, mit negativen Medienberichten konfrontiert zu werden. Der Inhalt des Artikels überschreite jedoch die Grenze des Zumutbaren.

Der Beschwerdegegner bestreitet, die Kompetenz des Beschwerdeführers anhand der äusseren Erscheinung beurteilt zu haben. Zu einem Artikel mit Porträtcharakter gehöre aber immer auch Klimatisches. Der Kontrast der beiden Kontrahenten Weibel und Crippa sei derart augenfällig gewesen, dass sich der Journalist dazu habe äussern dürfen. Die Beschreibung betreffe zudem einen Auftritt des Beschwerdeführers in der Öffentlichkeit und nicht im privaten Kreis. Der Leserschaft werde weiter nicht vorenthalten, dass die sehr kritische Bilanzierung der Leistungen des Beschwerdeführers als SBB-Generaldirektor von dessen früheren Weggefährten und heutigen Gegnern erhoben werde. Der Beschwerdegegner mache diese Kritik jedoch nicht zur allgemeingültigen Meinung. „FACTS“ habe den Beschwerdegegner nicht als komplett unfähig dargestellt, sondern lediglich auf die negative Bilanz hingewiesen, welche die meisten Eisenbahner heute ziehen würden. Der Beschwerdeführer stelle schliesslich zu Recht fest, dass er als Person der Öffentlichkeit mit negativer Medienberichterstattung zu rechnen habe. Der „FACTS“-Artikel habe sich ausschliesslich mit dem öffentlichen Engagement des Beschwerdeführers befasst und nichts aus dessen Privatsphäre preisgegeben. Der Artikel habe keine sachlich nicht gerechtfertigten Anschuldigungen enthalten. Der Beschwerdegegner habe den Beschwerdeführer zur Kritik auch Stellung nehmen lassen. Dabei habe der Beschwerdeführer die konkret geschilderten Sachverhalte inhaltlich gar nicht bestritten. Richtig sei, dass die Personen, die Vorwürfe erhoben haben, nicht namentlich genannt wurden. Zum Teil habe dies damit zu tun, dass bestimmte Vorwürfe von einer Mehrzahl von Personen vorgebracht worden seien, und zum Teil habe der Beschwerdegegner die sich äussernden Leute vor Gegenangriffen des Beschwerdeführers schützen wollen.

Bei der Berichterstattung über persönliche Belange ist eine gewisse Zurückhaltung angebracht. Denn auch Personen des öffentlichen Lebens haben einen Anspruch auf den Schutz ihrer Privatsphäre. Dies jedenfalls soweit als ihre Funktion in der Öffentlichkeit nicht betroffen ist (Stellungnahme vom 6. September 1993 i.S. Zysiadis c. „24 Heures“, Sammlung 1993, S. 32ff.). Die vom Beschwerdeführer als diffamierend empfundenen Aussagen wie der „Doppelte Crippa“, „Crippa ist ein Verräter“ usw. beziehen sich nicht auf den Beschwerdeführer als Privatperson, sondern allein auf seine Stellung in der Öffentlichkeit. Bei den vom Beschwerdeführer gerügten Aussagen handelt es sich teils um durch „FACTS“ wiedergegebene Werturteile von Dritten, teils um Werturteile des Autors. Entscheidend erscheint auch hier, dass diese Werturteile für die Leserschaft nachvollziehbar als solche erkennbar sind und zudem auch die Fakten dargelegt werden (Laufbahn des Beschwerdeführers usw.), von denen die Werturteile ausgehen. Damit hat der Beschwerdeführer das im Rahmen der Freiheit der Kritik und des Kommentars berufsethisch Erlaubte nicht überschritten. Ein negatives, kritisches Porträt über eine Person des öffentlichen Lebens ist ohne weiteres zulässig. Schliesslich hat sich „FACTS“ auch an den Grundsatz des „audiatur et altera pars“ gehalten und den Beschwerdeführer mit der Kritik konfrontiert und dazu Stellung nehmen lassen.

Man kann sich einzig fragen, ob es unter dem Gesichtspunkt der Information der Öffentlichkeit notwendig ist, auch das Äussere von öffentlichen Personen zu kritisieren. Dies ist letztlich eine Frage des Geschmacks. In einer Zeit, in der die Äusserlichkeiten von Persönlichkeiten durch das Fernsehen in alle Stuben ausstrahlt, ist es jedenfalls berufsethisch zulässig, diese Äusserlichkeiten zu beschreiben. Denn es ist nicht einzusehen, weshalb Printmedien – ohne dass besondere Umstände vorliegen – nicht beschreiben dürften, was praktisch für jedermann ohnehin sichtbar ist.

Zur vom Beschwerdeführer kritisierten Wiedergabe anonymer negativer Äusserungen Dritter hat sich der Presserat in einer Stellungnahme aus dem Jahre 1993 (VCS c. „Weltwoche“ vom 21. Dezember 1993, Sammlung 1993, S. 78ff.) dahingehend geäussert, es gehöre zwar zu den Pflichten der Journalistinnen und Journalisten, „das Berufsgeheimnis zu wahren und die Quellen vertraulicher Informationen nicht preiszugeben“ (Ziff. 6 der „Erklärung“). Baue ein ganzer Artikel jedoch fast nur auf anonymen oder bloss vage beschriebenen Quellen auf, verliere er an Glaubwürdigkeit. Weiter hat der Presserat in der Stellungnahme vom 6. Juni 1997 i.S. Bertossa c. „FACTS“ (Sammlung der Stellungnahmen 1997, S. 54ff.) darauf hingewiesen, dass Journalistinnen und Journalisten, die die Quelle einer vertraulichen Information verschweigen, damit noch keine anonymen Anschuldigungen erheben, jedoch zu besonderer Sorgfalt bei der Überprüfung von vertraulichen Quellen verpflichtet sind. Es ist festzustellen, dass sich der beanstandete Artikel auf eine Vielzahl teils namentlich genannter, teils anonymer Quellen abstützt. Der Beschwerdeführer hat Gelegenheit erhalten, sich zu den Vorwürfen zu äussern. Die Stellungnahmen des Beschwerdeführers zu den Kritikpunkten werden im Artikel wiedergegeben. Damit hat sich der Beschwerdegegner auch in diesem Punkt an die berufsethischen Regeln gehalten.

3. Journalistinnen und Journalisten sollen sich bei der Beschaffung von Informationen, Dokumenten und Bildern keiner unlauteren Methoden bedienen (Ziff. 4 der „Erklärung“). Der Beschwerdeführer sieht sinngemäss ein unlauteres Vorhalten darin, dass „FACTS“ anstelle eines angekündigten Artikels über die LSVA-Vorlage ein ihn verunglimpfendes Porträt veröffentlicht habe. Die LSVA habe dem Beschwerdegegner nur als Vorwand gedient, um die Persönlichkeit des Beschwerdeführers und dessen beruflichen und politischen Fähigkeiten in einem unzumutbaren Masse herabzusetzen. Zum Zeitpunkt des Gesprächs zwischen Beschwerdeführer und Beschwerdegegner sei in keiner Art und Weise klar gewesen, dass der Artikel lediglich dazu dienen solle, den Beschwerdeführer zu verunglimpfen. Wenn dies dem Beschwerdeführer von Anfang an bewusst gewesen wäre, hätte er nie in das Gespräch eingewilligt.

Der Beschwerdegegner macht dazu geltend, mit der LSVA-Abstimmung habe der beanstandete Artikel insoweit zu tun gehabt, als es in deren Vorfeld von besonderem öffentlichen Interesse gewesen sei, den seltsamen Rollenwechsel, den politischen Slalomkurs des Beschwerdeführers zu thematisieren. Der Beschwerdegegner habe den Beschwerdeführer um ein Gespräch im Zusammenhang mit der LSVA ersucht. Die LSVA habe als Aufhänger des geplanten Berichts gedient. Mehr als die Hälfte des einstündigen Gesprächs habe sich aber um die heutige Rolle des Beschwerdeführers gedreht. Der Beschwerdegegner habe den Beschwerdeführer mit den aus SBB-Kreisen erhobenen Vorwürfen konfrontiert. Es treffe zu, dass dem Beschwerdeführer dieses Thema eher unangenehm gewesen sei und er lieber über die LSVA gesprochen hätte. Aufgrund des Gesprächsablaufs habe sich der Beschwerdeführer aber im klaren sein müssen, dass sich der „FACTS“-Artikel schwergewichtig mit seiner Rolle als ehemaliger SBB-Generaldirekter und heutiger Kämpfer gegen die LSVA und mit den in diesem Zusammenhang gegen ihn erhobenen Vorwürfen auseinandersetzen würde.

Der Presserat
hat sich bisher mit Ausnahme des Interviews (Stellungnahme vom 20. Januar 1996 i.S. Cottier c. „FACTS“, Sammlung 1996, S. 15ff.) noch nie zu den Spielregeln der journalistischen Befragung geäussert. In der erwähnten Stellungnahme hat der Presserat u.a. darauf hingewiesen, dass ein Interview immer für die Öffentlichkeit bestimmt sei. Wer sich auf ein Interview einlasse, müsse deshalb wissen, dass die Aussagen, die im Laufe des Gesprächs gemacht werden, nicht privater Natur seien. Diese Grundsätze können analog auf die journalistische Befragung des Beschwerdeführers durch „FACTS“ übertragen werden. Journalistinnen und Journalisten sollten ihre Gesprächspartner vorgängig einer Befragung zumindest darüber informieren, worum es sachlich konkret geht. Dabei kann jedoch nicht verlangt werden, dass die Medienschaffenden sämtliche Einzelheiten einer Befragung vorab bekannt geben. Weiter kann nicht von Belang sein und auch nicht in jedem Fall schon im voraus feststehen, in welcher journalistischen Form das Befragungsergebnis veröffentlicht wird. Im konkreten Fall war für den Beschwerdeführer von vornherein klar, dass es im Gespräch um seine Rolle im Abstimmungskampf über die LSVA gehen würde. Und spätestens im Verlauf des Gesprächs mit dem Beschwerdegegner musste er zumindest damit rechnen, dass auch seine frühere Tätigkeit als SBB-Generaldirektor bzw. sein Rollenwechsel kritisch thematisiert würde. Der Beschwerdeführer war deshalb über den Kontext des mit dem Beschwerdegegner geführten Gesprächs genügend orientiert, weshalb eine Verletzung von Ziff. 4 der „Erklärung“ zu verneinen ist.

4. Da das Protestschreiben des Beschwerdeführers vom 11. September 1998 innert Wochenfrist durch den Rechtsdienst der TA-Media AG beantwortet und ihm angeboten wurde, eine Stellungnahme in der Rubrik „Reaktionen zu publizieren“, ist das Verhalten des Beschwerdegegners auch unter diesem Gesichtspunkt berufsethisch nicht zu beanstanden.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird vollumfänglich abgewiesen.

2. Eine Verletzung der Wahrheitspflicht ist zu verneinen, wenn für die Leserschaft erkennbar ist, dass ein pauschal formuliertes Werturteil von vornherein zu relativieren ist.

3. Ein negatives, kritisches Porträt über eine Person des öffentlichen Lebens, das sich ausschliesslich auf die Stellung in der Oeffentlichkeit bezieht, ist berufsethisch ohne weiteres zulässig. Werturteile sollten für die Leserschaft nachvollziehbar als solche erkennbar sein. Zudem sollten die Fakten dargelegt werden, auf denen diese Werturteile beruhen. Auch Äusserlichkeiten von Personen des öffentlichen Lebens dürfen kritisch beschrieben werden, wenn diese ohnehin für jedermann sichtbar sind.

4. Der Vorwurf der Wiedergabe von anonymen Anschuldigungen ist zu verneinen, wenn sich ein Artikel auf eine Vielzahl teils namentlich genannter, teils anonymer Quellen stützt, der Betroffene sich zu den Vorwürfen äussern konnte und seine Stellungnahmen im Artikel wiedergegeben werden.

5. Journalistinnen und Journalisten sollten ihre Gesprächspartner vor einer Befragung zumindest darüber informieren, worum es sachlich konkret geht. Sie sind jedoch nicht verpflichtet sämtliche Einzelheiten bekannt zu geben. Insbesondere brauchen sie nicht mitzuteilen, in welcher journalistischen Form das Befragungsergebnis veröffentlicht werden soll.