Nr. 1/1999
Kritik an einer guten Sache

(S. c. „Bündner Tagblatt)Stellungnahme vom 31. Januar 1999

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I. Sachverhalt

A. Am 7. Juli, 17. Juli und 7. August 1998 befasste sich das „Bündner Tagblatt“ mit der Spendenaktion für die Restauration der Flusskapelle Santa Domenica im Calancatal. Im ersten Bericht wurde die Leserschaft unter dem Titel „Umstrittene Spendenaktion für die Flusskapelle“ darüber informiert, dass die Sammlung für Kritik sorge, „weil das Geld nicht in vollem Umfang dem Projekt zugute kommt“. Der Initiant und Förderer der Restauration, der Urner Arzt Dr. S. arbeite mit dem Weba-Kunstverlag Luzern zusammen. Ein Grossteil der Spendengelder werde nicht für die Restaurationen verwendet, sondern bleibe bei diesem Verlag hängen. Nur ein Drittel bis die Hälfte des Geldes komme tatsächlich der Restauration der Kapelle zugute. Weiter wies das „Bündner Tagblatt“ auf das Engagement des Urner Arztes hin, der sich für die Erhaltung alpiner Sakralbauten einsetzt und dafür Geld sammelt.

In seiner Ausgabe vom 17. Juli 1998 berichtete das „Bündner Tagblatt“ unter dem Titel „Kanton überprüft Sammlung für Flusskapelle“ darüber, dass die Sammlung für die Flusskapelle ohne die notwendige kantonale Bewilligung durchgeführt worden sei. Daneben wurde das Engagement von S. für den Schutz kleinerer Kulturgüter in einem Interview noch einmal ausführlich dargestellt.

Im dritten Bericht vom 7. August 1998 wurde die Leserschaft darüber orientiert, dass S. aufgrund der kritischen Berichterstattung des „Bündner Tagblatts“ nicht mehr in Graubünden arbeiten wolle. Er bestreite die vom „Bündner Tagblatt“ veröffentlichten Sachverhalte nicht, mache jedoch geltend, die Bewilligung für die Sammelaktion sei versehentlich nicht eingeholt worden. Zudem stammten von den rund Fr. 400’000.–, die für die Restauration der Flusskapelle benötigt wurden, nur rund Fr. 15’000.– bis Fr. 20’000 aus der umstrittenen Spendenaktion; das übrige Geld habe er selber gesammelt. Nach den BT-Artikeln sei sein Ruf nicht mehr gut und es sei ihm nicht mehr möglich, sich weiterhin im Kanton Graubünden für die Rettung bedrohter kleinerer Sakralbauten einzusetzen. Unter dem Titel „Auch wer Gutes tut …“ kommentierte Chefredaktor B., es könne nicht jedes Mittel Recht sein, um ein Zielt zu erreichen. Auch wer Gutes tue stehe nicht über dem Gesetz, und brauche deshalb in Graubünden eine Sammelbewilligung und müsse die Sammelergebnisse vom Amt für Polizeiwesen überprüfen lassen.

B. S. fühlte sich durch die Darstellung im „Bündner Tagblatt“ diffamiert. Er verlangte eine Gegendarstellung, eine Entschuldigung und eine Wiedergutmachung der Zeitung in der Form einer namhaften Spende. Chefredaktor B. lehnte eine Gegendarstellung in der vorgeschlagenen Form ab, offerierte aber entweder eine sachbezogene Gegendarstellung oder einen Leserbrief. S. beharrte auf seinen Forderungen. Die Redaktion des „Bündner Tagblatts“ wiederum verweigerte auch den Abdruck einiger Leserbriefe, die sich im Sinne von S. äusserten.

C. Am 25. August 1998 erhob S. beim Presserat Beschwerde gegen den Chefredaktor B. und gegen G., den Verfasser der Artikel. Er kritisierte insbesondere, das „Bündner Tagblatt“ habe unvollständig informiert und nur der aufmerksame Leser habe realisiere können, dass einzig bei der Weba-Aktion – welche nur einen kleinen Teil seiner Sammeltätigkeit ausmache – ein Grossteil der Spenden nicht direkt dem Projekt zugute komme. Erst im Bericht vom 7. August 1998 seien klare Zahlen (Weba Fr. 15’000.–; Gesamtkosten Fr. 40’000.–) enthalten. Weiter fühlte er sich durch den Kommentar von Chefredaktor B. vom 7. August 1998 lächerlich gemacht. Schliesslich rügte er auch die Ablehnung der von ihm verlangten Gegendarstellung und den Nichtabdruck von kritischen Leserbriefen. D. In seiner auch namens von G. eingereichten Stellungnahme vom 29. September 1998 wies Chefredaktor Christian B. den Vorwurf der Irreführung der Leserschaft zurück. Aus sämtlichen Berichten sei jeweils eindeutig hervorgegangen, dass sich der „Grossteil“ auf die Kartenaktion und nicht auf sämtliche Geldbeschaffungsmassnahmen im Zusammenhang mit der Restauration der Kapelle beziehe. Seit S. das „Bündner Tagblatt“ auf die angeblich unpräzise und irreführende Darstellung aufmerksam gemacht habe, sei zudem eine immer präzisere Formulierung erfolgt. Das „Bündner Tagblatt“ habe zudem immer klar zwischen seiner Kritik an der Weba-Aktion und einer grundsätzlich wohlwollenden Berichterstattung über die Restaurationstätigkeit von S. unterschieden. Die von S. verlangte Gegendarstellung habe den gesetzlichen Anforderungen nicht genügt, weshalb er S. vorgeschlagen habe, entweder einen formal korrekten Gegendarstellungstext einzureichen oder den ersten Text als Leserbrief abzudrucken. Im übrigen habe das „Bündner Tagblatt“ Leserzuschriften zum Thema nicht generell abgewiesen.

E. Der Presserat übertrug den Fall seiner 1. Kammer, der Roger Blum als Präsident sowie Sylvie Arsever, Sandra Baumeler, Klaus Mannhart, Enrico Morresi und Edi Salmina als Mitglieder angehören. Die Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 26. November 1998 sowie auf dem Korrespondenzweg.

F. Da in der Beratung der Beschwerde durch die 1. Kammer die Frage auftauchte, ob der Beschwerdeführer das „Bündner Tagblatt“ bereits bei der Kontaktnahme vor Erscheinen des ersten Artikels vom 7. Juli 1998 darauf hingewiesen hatte, dass er bis anhin sämtliche Gelder selber sammelte und dass der Erlös der Weba-Aktion nur einen kleinen Anteil der an der für die Renovation der Flusskapelle notwendigen Finanzmittel ausmachte, wurden die Parteien zu diesem Punkt noch einmal befragt.

Mit Schreiben vom 7. Dezember 1998 wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass er G. mit Schreiben vom 29. Juni 1998 darüber orientiert habe, dass er die finanziellen Mittel für die Renovationen mit Bettelbriefen an Private und Stiftungen sowie durch kantonale Subventionen aufgetrieben habe. Die genauen Beträge der Weba-Aktion habe er dagegen erst im Schreiben vom 11. Juli 1998 erwähnt. Er sei aber sicher, G. mündlich auf den bescheidenen Weba-Anteil hingewiesen zu haben.

Demgegenüber machten die Beschwerdegegner mit Schreiben vom 16. Dezember 1998 geltend, nicht die wertvolle Tätigkeit des Beschwerdeführers, sondern die fragwürdige Spendenaktion des Weba-Verlags sei im Zentrum ihrer kritischen Berichterstattung gestanden. Hinsichtlich der konkreten Fragen könne sich G. beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, ob S. ihn schon von Anfang an darüber informiert habe, dass die Weba-Gelder nur einen kleinen Teil der gesamten Spendeneinnahmen ausmachten. In seinen Unterlagen habe er keine entsprechenden Notizen gefunden. Er vermute aber, dass er dies erwähnt hätte, wenn der Beschwerdeführer ihn darauf aufmerksam gemacht hätte.

II. Erwägungen

1. Der Beschwerdeführer macht sinngemäss eine Verletzung der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten in den Ziffern 1 (Wahrheitspflicht), 3, (Unterschlagung wesentlicher Informationselemente), 5 (Berichtigungspflicht), 7 (Unterlassung sachlich nicht gerechtfertigter Anschuldigungen) und 10 (Weisungen von Vorgesetzten nur, wenn sie nicht im Gegensatz zur „Erklärung“ stehen) geltend. Er bezeichnet insbesondere die Behauptung, dass der Grossteil der Spendengelder dem Projekt nicht zugutekomme, als falsch bzw. unvollständig, rügt die Ablehnung seiner Gegendarstellung und fühlt sich vor allem durch den Satz im Kommentar von Chefredaktor B. verleumdet, wonach auch der, der Gutes tut, nicht über dem Gesetz stehe. Ferner vermutet er, dass G., der nach eigenen Angaben mit dem Frontanriss (Text auf der Titelseite) vom 7. Juli 1998 nicht glücklich war, auf inakzeptable Art nach der Pfeife des Chefredaktors tanzen muss.

2. Es ist in der Tat zu unterscheiden zwischen der Spendensammlung, die der Beschwerdeführer in seinem eigenen
Gönnerkreis unternommen hat und aus der der Löwenanteil der Kosten gedeckt werden konnte, und der zusätzlichen Sammelaktion des Weba-Kunstverlags, der mit S. zusammenarbeitete, rund 20’000 Franken an die 400’000 Franken beisteuerte und selber zugab, dass bis zu 66 Prozent der gesammelten Gelder für den eigenen Aufwand verwendet werde. Bei einer Gesamtbetrachtung der drei Artikel vom 7.7., 17.7 und 7.8. 1998 ist festzustellen, dass das „Bündner Tagblatt“ just diese Unterscheidung gemacht und lediglich die Sammelaktion des Weba-Kunstverlags thematisiert und kritisiert hat. Solche Kritik muss möglich sein, selbst wenn sie eine gute Sache tangiert. Im übrigen war die Berichterstattung von Anerkennung und Wohlwollen für die Aktivitäten des Kunstfreundes S. getragen. Der Presserat vermag deshalb keinen Verstoss gegen Ziffer 1 (Wahrheitspflicht) des berufsethischen Kodex zu erkennen. Lediglich der letzte Satz im Frontanriss (Text auf der Titelseite) vom 7. Juli ist missverständlich. Wer aber auf Seite 3 weiterliest, merkt, dass sich die Kritik allein gegen die Art und Weise des Sammelns von Spendengeldern durch den Weba-Kunstverlag richtet. Unter dem Gesichtspunkt einer umfassenden Information der Leserschaft (Ziff. 3 der „Erklärung“) wäre es allerdings zu begrüssen gewesen, wenn bereits aus dem ersten Artikel klar und deutlich ersichtlich gewesen wäre, dass der Anteil der Weba-Gelder nur einen kleinen Teil zur Renovation der Flusskapelle beiträgt. Da in der Frage, ob dies der Redaktion zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt war, Aussage gegen Aussage steht, kann den Beschwerdegegnern aus diesem Mangel an Klarheit jedoch kein Vorwurf gemacht werden.

3. Da das „Bündner Tagblatt“ dementsprechend grundsätzlich von Anfang an korrekt berichtete und S. am 17. Juli 1998 in einem Interview ausführlich zu Wort kommen liess, gab es eigentlich nichts zu berichtigen (Ziff. 5 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“). Zur Frage der (formal)rechtlichen Anforderungen an eine Gegendarstellung hat sich der Presserat nicht zu äussern. Wenn schon, hätte der Beschwerdeführer diese Frage durch den Richter klären lassen müssen.

4. Aus dem Kommentar von Chefredaktor B. vom 7. August 1998 leitete der Beschwerdeführer ab, ihm werde unterstellt, er hätte sich stets als über das Gesetz erhaben gewähnt. B. verwendet das Argument aber lediglich im Zusammenhang mit der fehlenden Sammelbewilligung, denn der folgende Satz lautet: „Wer in Graubünden Geld sammelt, braucht dafür eine Bewilligung“. Auch hier ist nicht einzusehen, weshalb der ruhig argumentierende Kommentator diese Überlegungen nicht vortragen darf. Eine Verletzung von Ziffer 7 der „Erklärung“ (Unterlassung sachlich nicht gerechtfertigter Anschuldigungen) liegt für den Presserat jedenfalls nicht vor.

5. Journalistische Beiträge werden immer bearbeitet. Es kann vorkommen, dass sie im letzten Moment noch gekürzt werden müssen, damit auch andere Informationen Platz haben. Dabei kann unter der Kürzung mitunter die Klarheit leiden. Wenn aber ein Journalist über eine solche Bearbeitung nicht gerade glücklich ist, heisst das noch lange nicht, dass er unangemessene Weisungen des Chefredaktors befolgen muss. Auch eine Verletzung von Ziff. 10 der „Erklärung“ (Unterlassung der Entgegennahme von Weisungen der Vorgesetzten, die im Widerspruch zum berufsethischen Kodex stehen) ist daher zu verneinen.

6. Umgekehrt ist verständlich, dass ein engagierter Kunstfreund, der sich seit Jahren mit viel zeitlichem und finanziellem Aufwand und uneigennützig für die Rettung alpiner Sakralbauten einsetzt, auf Medienberichte, die nur die leiseste Kritik enthalten, sensibel reagiert. Diese Sensibilität hat das „Bündner Tagblatt“ etwas zu wenig beachtet. Daraus ist nicht etwa abzuleiten, dass es auf seine Kritik am Weba-Kunstverlag hätte verzichten müssen. Vielmehr folgt daraus, dass der Empörung von S. und seiner von ihm informierten, Leserbriefe schickenden Freunde und Verwandten etwas mehr Raum, eine grosszügigere Plattform hätte gegeben werden sollen. Auch wenn die Redaktionen unter berufsethischen Gesichtspunkten vorbehältlich der Einhaltung der durch sie aufgestellten Regeln für die Leserbriefseite grundsätzlich frei sind, Leserbriefe abzudrucken oder zurückzuweisen (vgl. zuletzt die Stellungnahme i.S. A. / Z. c. „Zofinger Tagblatt“ vom 30. April 1998, Sammlung der Stellungnahmen 1998, S. 65ff.) wäre es angezeigt gewesen, z.B. die „Gegendarstellung“ des Beschwerdeführers von sich aus als Leserbrief zu veröffentlichen, oder Auszüge aus weiteren Leserbriefen, selbst wenn sie die Redaktion scharf angreifen, abzudrucken. Manchmal muss eine Redaktion über ihren Schatten springen können.

III. Feststellungen

1. Das „Bündner Tagblatt“ hat über die Spendensammlung für die Restauration einer Kapelle im Calancatal korrekt berichtet. Es hat die Ziffern 1 (Wahrheitspflicht), 3 (Vollständigkeit der Information), 5 (Berichtigungspflicht), 7 (ungerechtfertigte Anschuldigungen) und 10 (Weisungen von Vorgesetzten nur, wenn sie nicht im Gegensatz zum Kodex stehen) der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ nicht verletzt. Die Beschwerde wird somit abgewiesen.

2. Auch die Kritik an einer guten Sache muss möglich sein, wenn sie sachlich gerechtfertigt ist und die Oeffentlichkeit in die Lage versetzt, die kritisierten Fakten gewichten und einordnen zu können.

3. Medien sind aufgefordert, Reaktionen aus dem Publikum, die sich über eine Berichterstattung empören, grosszügig Raum zu geben, dies selbst dann, wenn sie die Redaktion scharf angreifen.