Nr. 37/2004
Kommentarfreiheit / Diskriminierung / Leserbriefe

(X. & Co. c. «Tages-Anzeiger» / NZZ) Stellungnahme des Presserates vom 13. August 2004

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I. Sachverhalt

A. Am 25. April 2004 stimmten die beiden Teile der Insel Zypern über den sog. Annan-Plan zur Wiedervereinigung ab. Während der türkische Norden den Plan mit einem Ja-Stimmenanteil von 65% guthiess, wurde er von den Griechischzyprioten mit einem Nein-Stimmenanteil von 75% abgelehnt. In ihren Ausgaben vom 26. April 2004 berichteten «Tages-Anzeiger» und NZZ über das Abstimmungsergebnis und kommentierten dieses eingehend. Der «Tages-Anzeiger» veröffentlichte zudem eine Karikatur von «Nico» zum Thema.

B. Am 14. Mai 2004 gelangte X. an den Presserat. Er tat dies in eigenem Namen sowie namens seiner Ehefrau – sie ist griechischzypriotischer Herkunft – und weiterer Verwandter. Die Beschwerde betraf die Berichte und Kommentare von «Tages-Anzeiger» und NZZ sowie die Karikatur von «Nico». Beide Zeitungen hätten wahrheitswidrig berichtet, dass das griechischzypriotische Volk gegen die Wiedervereinigung gestimmt habe. Tatsächlich sei aber bloss der nach dem Uno-Generalsekretär benannte Annan-Plan abgelehnt worden. Der «Tages-Anzeiger» habe darüber hinaus wahrheitswidrig behauptet, das Abstimmungsergebnis richte sich auch gegen die EU. Die Berichterstattung zudem sei «diskriminierend» gewesen und habe «die Menschenwürde» mit «geradezu rassistischem Unterton» «mit Füssen getreten». Die «Tages-Anzeiger»-Karikatur stelle darüber hinaus eine inakzeptable direkte Verhöhnung eines «Ministerpräsidenten / Staatsoberhauptes» dar. Schliesslich sei der NZZ vorzuwerfen, dass sie einem Leserbrief der Ehefrau X. die Publikation verweigert habe.

C. Gemäss Art. 9 Abs. 3 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates sind offensichtlich unbegründete Beschwerden durch das Presseratspräsidium zurückzuweisen. Das Presseratspräsidium – bestehend aus dem Präsidenten Peter Studer sowie den Vizepräsidentinnen Sylvie Arsever und Esther Diener-Morscher – hat die vorliegende Stellungnahme per 13. August 2004 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. a) Die Beschwerdeführer sehen in der Berichterstattung des «Tages-Anzeigers» «grobe Verzerrungen von Sachverhalten und historischen Gegebenheiten sowie inakzeptable Verunglimpfungen» insbesondere bei folgenden Passagen:

– die herabwürdigende Karikatur des Ministerpräsidenten Tassos Papadopoulos suggeriere fälschlicherweise, dass er gegen die Wiedervereinigung Zyperns sowie gegen die EU demonstriere.

– die falsche Behauptung, dass die Griechischzyprioten bei der Abstimmung «ohnehin nichts zu verlieren gehabt hätten».

– sowie der unrichtigen Titelzeile «Inselsüden wird über Sieg nicht froh».

b) Es gehört nicht zu den Aufgaben des Presserates, Faktenbehauptungen in Medienberichten auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen (Stellungnahme 21/2003). Soweit die Beschwerdeführer behaupten, der «Tages-Anzeiger» habe bei seiner Berichterstattung Sachverhalte und historische Gegebenheiten verzerrt, geht der Presserat deshalb auf diese Rüge nicht näher ein. Soweit ersichtlich bestehen die Differenzen aber ohnehin weniger bei der Sachverhaltsdarstellung selber als vielmehr bei der unterschiedlichen Interpretation und Bewertung des Sachverhalts. Unter berufsethischen Gesichtpunkten ist damit zu prüfen, ob sich diese Einschätzungen innerhalb der (weit zu ziehenden) Grenzen der Kommentarfreiheit bewegen.

c) Nach ständiger Praxis des Presserates (seit der Stellungnahme 3/1996) kann aus der «Erklärung» keine Pflicht zu «objektiver» Berichterstattung abgeleitet werden. Dementsprechend ist auch eine einseitige Berichterstattung mit den berufsethischen Normen vereinbar und die von den Beschwerdeführern zumindest implizit geltend gemachte Rüge einer parteilichen Darstellung von vornherein gegenstandslos. Zudem hat der Presserat in seinen Stellungnahmen zur Kommentarfreiheit wiederholt darauf hingewiesen, dass sich ein Kommentar in den Grenzen des berufsethisch Zulässigen bewegt, wenn sowohl die Wertung wie die ihr zugrundeliegenden Fakten für das Publikum erkennbar sind, und wenn sich die Wertung zudem auf eine genügende sachliche Grundlage stützt (vgl. zuletzt die Stellungnahmen 12, 19 und 20/2004 mit weiteren Hinweisen).

d) Vorliegend geht aus den Berichten des «Tages-Anzeigers» auf der Frontseite und auf Seite 5 der Ausgabe vom 26. April 2004 klar hervor, das der Abstimmungsgegenstand ein von der UNO ausgearbeiteter Plan zur Wiedervereinigung der beiden Inselteile war, der bei Gutheissung in beiden Teilen auch dem türkischen Norden den umgehenden Beitritt zur EU ermöglicht hätte. Entgegen der Darstellung der Beschwerdeführer wird aus der Berichterstattung zudem ersichtlich, dass das Nein der ablehnenden Dreiviertelmehrheit der Griechischzyprioten aus deren Sicht weder generell gegen eine Wiedervereinigung und schon gar nicht gegen die EU zu werten ist.

Ebenso für die Leserschaft als kommentierende Wertung erkennbar die verkürzte Aussage der Karikatur auf der Titelseite («Gegen wiedervereinigtes Zypern! Gegen EU.»). Das Nein der Griechischzyprioten zum Annan-Plan lief den Wünschen der EU zuwider und verhinderte zudem die sofortige Wiedervereinigung der beiden Inselteile. Die Aussage der Karikatur stellt damit eine vom Presserat nicht zu beurteilende mögliche Wertung unbestrittener Fakten dar. In diesem Zusammenhang nicht von Belang sein können dabei die unterschiedlichen Motive der einzelnen Stimmberechtigten und deren möglicherweise bestehender Wunsch nach einer Wiedervereinigung zu anderen, aus ihrer Sicht besseren Bedingungen.

Weiter ist für den unbefangenen Leser nachvollziehbar, auf welcher faktischen Grundlage die wertende Kommentierung der Autorin beruht, wonach der Inselsüden über den Sieg nicht froh werde. Diese Wertung bezog sich auf die im Lauftext enthaltenen Ausführungen, wonach die Republik Zypern durch das Abstimmungsergebnis in Europa kaum neue Freunde gewinnen würde und dass eine erneute Chance für eine Wiedervereinigung der geteilten Insel nun für längere Zeit auf sich warten lassen könnte.

Schliesslich ist auch die Aussage, die Griechischzyprioten hätten «ohnehin nichts zu verlieren gehabt», als kommentierende Wertung erkennbar. Ebenso ist ersichtlich, dass sich diese Wertung allein auf den unbestrittenermassen fehlenden Zusammenhang zwischen Abstimmungsausgang und EU-Beitritt des griechischzypriotischen Teils der Insel bezog und keine umfassende Analyse der Vor- und Nachteile der Ablehnung des Plans bezweckte.

3. Ebenso unbegründet erscheint bei Berücksichtigung der dargelegten Presseratspraxis zur Kommentarfreiheit die gegenüber der Berichterstattung der NZZ vom 26. April 2004 erhobene Rüge, den Ministerpräsidenten Zyperns, Tassos Papadopoulos, mit dem Titel «Papadopoulos – ein neuer Denktash» zu Unrecht mit dem Präsidenten der Türkischzyprioten, Rauf Denktash, gleichgesetzt zu haben. Denn auch hier ist für den unbefangenen Leser ohne weiteres nachvollziehbar, dass damit nicht die beiden Personen gleichgesetzt werden. Gemeint ist bloss ihre im Ergebnis vergleichbare (Verhinderer)Rolle im Zusammenhang mit der gescheiterten Wiedervereinigung der beiden Inselteile.

4. Weiter rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung des Diskriminierungsverbots und der Menschenwürde insbesondere durch die Karikatur von «Nico» im «Tages-Anzeiger». Allerdings kann der Presserat die Interpretation der Beschwerdeschrift nicht nachvollziehen, wonach mit dem auf der Karikatur gezeichneten Esel (auf dem Ministerpräsident Papadopoulos reitet) allein das so zum Esel herabgewürdigte und diskriminierte «griechischzypriotische Volk» gemeint sein könne. Und entgegen der Darstellung in der Beschwerdeschrift stellt nicht jede Bezugnahme auf die ethnische oder nationale Zugehörigkeit von Personen in der Medienberichterstattung bereits eine Verletzung von Ziffer 8 der «Erklärung» dar. Vielmehr liegt eine Diskriminierung und / oder ein
e Verletzung der Menschenwürde nur dann vor, wenn eine solche Bezugnahme mit einem erheblich verletzenden Unwerturteil verbunden ist. Ein solches ist jedoch für Aussenstehende bei der Karikatur von «Nico» nicht zu erkennen.

5. Unbegründet ist schliesslich auch die Rüge des Nichtabdrucks eines Leserbriefes durch die NZZ. Denn nach ständiger, mehrfach bestätigter Praxis entscheiden die Medienredaktionen nach freiem Ermessen über die Publikation von Leserbriefen (vgl. zuletzt die Stellungnahme 25/2004 mit weiteren Hinweisen).

III. Feststellung

Die Beschwerde wird als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.