Nr. 16/1999
Kommentarfreiheit

(Häcki c. „Zuger Presse“) Stellungnahme vom 1. Oktober 1999

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I. Sachverhalt

A. Am 25. Juni 1999 erschien in der „Zuger Presse“ unter dem Titel „Mehr Grosszügigkeit bitte!“ ein Kommentar von Lukas Nussbaumer zu seiner Berichterstattung über die Sitzung des Kantonsrats vom Vortag. Zwei Drittel des Kommentars kritisierte die Haltung von FDP-, SVP- und CVP-Kantonsräten zur vorzeitigen Pensionierung im Staatsdienst, ein Drittel des Kommentars handelte von der Wiederaufbauhilfe für den Kosovo, wo man nach Auffassung des Kommentators vom reichsten Kanton der Schweiz etwas mehr Grosszügigkeit hätte erwarten können. Der Beschwerdeführer, SVP-Kantonsrat Felix Häcki, wurde als „Hardliner“ eingestuft, für den der Kosovo lediglich „ein Medienereignis“ und die Auslandhilfe „Sache des Bundes“ sei.

B. Am 26. Juni 1999 wandte sich der Beschwerdeführer an die „Zuger Presse“. Er verlangte, „die ehrverletzende und verleumderische Unterstellung ‘Für Hardliner wie Felix Häcki ist der Kosovo halt lediglich ein Medienereignis’“ sei mit einer Entschuldigung an ebenso prominenter Stelle zurückzunehmen. Dies wurde von der „Zuger Presse“ mit Schreiben vom 30. Juni 1999 verweigert mit dem Hinweis darauf, dass ein Kommentar im Unterschied zum Ratsbericht eine Meinungsäusserung sei, mit der man einverstanden sein könne oder nicht. Eine Berichtigung sei nur am Platz, sofern sachliche Fehler vorliegen.

C. Am 4. Juli 1999 gelangte der Beschwerdeführer an den Presserat, weil ihm im Kommentar eine Haltung unterschoben worden sei, die mit der Realität nichts zu tun habe. Der Journalist habe nie mit dem Beschwerdeführer diskutiert und offenbar seinem Votum in der Ratssitzung nicht richtig zugehört. Zudem habe man ihm nicht die Möglichkeit zu einer Gegendarstellung gegeben. Damit hätten der Verfasser des Kommentars und der Chefredaktor gegen die Ziff.1 (Sie halten sich an die Wahrheit und lassen sich vom Recht der Öffentlichkeit leiten, die Wahrheit zu erfahren), Ziff. 3 (Sie unterschlagen keine wichtigen Elemente von Informationen und entstellen weder Tatsachen, noch von anderen geäusserte Meinungen), Ziff. 5 (Sie berichtigen jede Meldung, deren materieller Inhalt sich ganz oder teilweise als falsch erweist) und Ziff. 7 (Sie unterlassen anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ in gröbster Weise verstossen. Weiter bittet der Beschwerdeführer den Presserat, „die geeigneten Massnahmen zu ergreifen, damit a) die Objektivität wieder hergestellt wird und b) so eine Haltung bei der ‘Zuger Presse’ in Zukunft nicht wieder vorkommt.“

Auf entsprechende Anfrage des Presseratssekretariats hin teilte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 18. Juli 1999 mit, dass er bisher noch keine straf- oder zivilrechtlichen Schritte eingeleitet habe und auch darauf verzichten werde, wenn er durch das Verfahren vor dem Presserat Satisfaktion erhalte.

D. Das Presseratspräsidium wies den Fall der 3. Kammer zu (bestehend aus Kammerpräsident Reinhard Eyer, Catherine Aeschbacher, Luisa Ghiringhelli, Adi Kälin, Marie-Therese Larcher sowie Iwan Lieberherr). Die Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 25. August 1999 sowie auf dem Korrespondenzweg. E. In seiner Stellungnahme an den Presserat vom 6. August 1999 weist Chefredaktor Beat Schertenleib von der „Zuger Presse“ die Vorwürfe zurück. Er macht geltend, dass der Beschwerdeführer auch im offiziellen Kantonsratsprotokoll der fraglichen Ratssitzung wie folgt zitiert worden ist: „Nur weil Kosovo zum Medienereignis geworden ist, will bald jeder Geld in diese Region schicken. Es gibt aber noch andere Bürgerkriegsgebiete. Der Votant kann nicht begreifen, weshalb wir immer hinter den Medienereignissen herlaufen.“ Der Kommentar und der Bericht der „Zuger Presse“ über die Kantonsratssitzung seien deshalb weder „verleumderisch“ noch „ehrverletzend“. Folglich müsse sich die „Zuger Presse“ auch nicht entschuldigen.

F. Mit Schreiben vom 25. August 1999 hielt der Beschwerdeführer noch einmal daran fest, die Aussage „Nur weil Kosovo zum Medienereignis geworden ist (…)“ sei entgegen der Auffassung der „Zuger Presse“ etwas völlig anderes als die ihm unterschobene Aussage, dass für ihn der Kosovokrieg nur ein Medienereignis sei. Dass es der „Zuger Presse“ um alles andere als „um eine unabhängige kritische und dabei stets faire, analysierende und auch kommentierende Stimme im Kanton Zug zu sein“ gehe, zeigten auch zwei weitere Beispiele von der Berichterstattung über die Kantonsratssitzung in Zug vom 26. August 1999.

II. Erwägungen

1. Soweit der Beschwerdeführer verlangt, dass der Presserat Massnahmen ergreift, damit „Objektivität wiederhergestellt“ werde und sich so eine Haltung bei der „Zuger Presse“ in Zukunft nicht wiederhole, kann auf die Beschwerde nicht eingetreten werden. Der Presserat ist zwar der Wahrung der Rechte auf Information, freier Meinungsäusserung und Kritik verpflichtet. Seine Aufgabe beschränkt sich aber darauf, auf Beschwerde hin oder von sich aus zu berufsethischen Fragen Stellung zu nehmen. Neben der Veröffentlichung seiner Stellungnahmen kommen ihm keinerlei Sanktionsbefugnisse zu. Dementsprechend kann der Presserat auch nicht einzelne Redaktionen verbindlich zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen verpflichten.

Im Zusammenhang mit den aus Sicht des Beschwerdeführers diffamierenden und ehrverletzenden Äusserungen der „Zuger Presse“ ist zudem darauf hinzuweisen dass sich der Presserat ausschliesslich zu berufsethischen Fragen zu äussern hat und deshalb zu einer allfälligen Verletzung von Rechtsnormen nicht Stellung nimmt.

Die 3. Kammer hat dementsprechend beschlossen, auf die Beschwerde einzutreten, soweit darin eine Verletzung der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ geltend gemacht wird. Dies obwohl sich der Beschwerdeführer – je nach Ausgang des Presseratsverfahrens – rechtliche Schritte ausdrücklich vorbehält. Das teilweise Eintreten auf die Beschwerde ist aus Sicht der 3. Kammer deshalb gerechtfertigt, weil die nachfolgende Stellungnahme kaum geeignet erscheint, ein allfälliges späteres Gerichtsverfahren entscheidend zu beeinflussen.

Soweit der Beschwerdeführer in seinem Schreiben vom 29. August 1999 dem Presserat allerdings neue Sachverhalte betreffend die Berichterstattung über die Kantonsratssitzung vom 26. August 1999 zur Stellungnahme unterbreitet, tritt der Presserat – jedenfalls im Rahmen vorliegenden Verfahrens – nicht darauf ein. Auch bei Beschwerden an den Presserat sind Rügen frühzeitig, jedenfalls zu einem Zeitpunkt zu erheben, an dem das Verfahren nicht praktisch schon abgeschlossen ist und bei einer Berücksichtigung der neuen Sachverhalte faktisch noch einmal durchgeführt werden müsste.

2. Gemäss Ziff. 2 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ haben die Medienschaffenden die Freiheit der Information, die sich daraus ergebenden Rechte, die Freiheit des Kommentars und der Kritik sowie die Unabhängigkeit und das Ansehen ihres Berufs zu verteidigen. Der Presserat hat sich in seiner bisherigen Praxis mehrfach zur Tragweite der Kommentarfreiheit geäussert, zuletzt ausführlich in der Stellungnahme Nr. 3/98 i.S. S. c. „NZZ“ vom 20. Februar 1998 (Sammlung der Stellungnahmen des Presserates 1998, S. 48ff.). In dieser Stellungnahme hat der Presserat u.a. darauf hingewiesen, dass bei der Beurteilung eines als unsachlich gerügten Kommentars zu einem Ratsbericht zwischen der Kommentarfreiheit und dem Persönlichkeitsschutz des Betroffenen bzw. dem Recht der Öffentlichkeit auf Kenntnis von Tatsachen und Meinungen abzuwägen ist. Bereits in früheren Stellungnahmen hat der Presserat zudem daran festgehalten, dass auch der Kommentarfreiheit berufsethische Grenzen gesetzt sind, soweit andere durch
kommentierende Beiträge betroffene Interessen im Einzelfall schwerer wiegen. Journalistinnen und Journalisten müssen auch im Kommentar die Privatsphäre des einzelnen respektieren, wenn nicht das öffentliche Interesse das Gegenteil verlangt (Stellungnahme vom 7. November 1996 i.S. EMD c. „Nebelspalter“, Sammlung 1996, 104ff.). Dem Kommentar ist jedoch ein grosser Freiraum bezüglich Tonalität offenzulassen (Stellungnahme vom 30. Juni 1992 i.S. Sch. c. Baillod, Sammlung 1992, 35ff.). „Um die Funktion der Meinungsbildung zu erfüllen, muss der Kommentar transparent sein. Das Argumentarium des Kommentierenden muss offengelegt sein, sei es im Kommentar selbst, sei es in der Berichterstattung, auf die sich der Kommentar bezieht. Nur wenn dem Leser/der Leserin ersichtlich ist, aufgrund welcher Argumente der Kommentator zu seiner Einschätzung gelangt, wird eine freie Meinungsbildung möglich. Kann die Argumentation nicht nachvollzogen werden, bleibt der Kommentar unverständlich, erfüllt seine Funktion nicht oder verkommt zur Polemik. Die Kritik sollte aber ein sachbezogenes Fundament haben.“

3. a) Der Beschwerdeführer beanstandet in seiner Beschwerde an den Presserat ausdrücklich nur den Kommentar, der ihm eine Haltung unterschiebe, die mit der Realität nichts zu tun habe und sich allein auf sein Votum anlässlich der Kantonsratssitzung vom 24. Juni 1999 stütze. Dort habe der Journalist der „Zuger Presse“ nicht richtig zugehört. Es sei ihm offensichtlich nur darum gegangen, ihn zu verleumden und öffentlich schlecht zu machen mit einer ehrverletzenden Behauptung, weil er der SVP-Fraktion angehöre. Im Schreiben an die „Zuger Presse“ vom 30. Juni 1999 wirft der Beschwerdeführer dem Chefredaktor der „Zuger Presse“ vor, es sei ihm eine Aussage untergejubelt worden, ohne ihm die Möglichkeit zu einer Gegendarstellung zu geben, um seine wirkliche Meinung zu publizieren.

Der beanstandete Kommentar stützt sich auf den gleichentags publizierten Ratsbericht der Sitzung des Kantonsrats vom 24. Juni 1999. Dieser Bericht wird vom Beschwerdeführer zu Recht nicht beanstandet, da er mit dem offiziellen Ratsprotokoll übereinstimmt. Dieses gibt das Votum des Beschwerdeführer wie folgt wieder: „Nur weil Kosovo zum Medienereignis geworden ist, will bald jeder Geld in diese Region schicken. Es gibt aber noch andere Bürgerkriegsgebiete. Der Votant kann nicht begreifen, weshalb wir immer hinter den Medienereignissen herlaufen. – Die SVP-Fraktion wendet sich gegen den Antrag, die vom Regierungsrat vorgeschlagene Reserve zu erhöhen und unterstützt deshalb den Antrag der Regierung.“

Die entsprechende Passage im Ratsbericht der „Zuger Presse“ lautete: „(…) Absolut chancenlos blieb die Forderung der Alternativen und der SP-Fraktion, für die Wiederaufbauhilfe im Kosovo 3 Millionen Franken – und nicht 1 Million, wie von Regierung und Stawiko beantragt – aufzuwenden. Mit 53 zu 20 Stimmen stellte sich der Rat hinter SVP-Hardliner Felix Häcki, dessen Aussage ‘Nur weil Kosovo ein Medienereignis ist, will jeder Geld nach Kosovo schicken’ unwidersprochen blieb (…).“

Die umstrittene Passage des Kommentars lautet wie folgt: „Etwas mehr Grosszügigkeit hätte man vom reichsten Kanton der Schweiz auch bei der Wiederaufbauhilfe für den Kosovo erwarten können. Doch zwei Prozent des Ertragsüberschusses – oder eine Million – sind für 53 Volksvertreter offenbar genug. Für Hardliner wie Felix Häcki ist der Kosovo halt lediglich ‘ein Medienereignis’. Und ausserdem, so der SVP-Politiker in der gestrigen Parlamentsdebatte, sei es „Sache des Bundes“, Auslandhilfe zu leisten. (…)“

c) Der Presserat stellt beim Vergleich von Ratsprotokoll, Ratsbericht und Kommentar fest, dass der Kommentar lediglich in zwei Punkten vom Ratsprotokoll abweicht. Es handelt sich um die Punkte, die vom Beschwerdeführer gerügt werden. Zum Einen wird der Beschwerdeführer vom Kommentator im Bericht und im Kommentar als „Hardliner“ eingestuft. Zum anderen bewertet der Kommentator die Aussage des Beschwerdeführers „Nur weil Kosovo zum Medienereignis geworden ist, will bald jeder Geld in diese Region schicken“ dahingehend, dass der Beschwerdeführer im Kosovokrieg „lediglich“ ein Medienereignis sehe.

d) Der Beschwerdeführer verkennt jedoch die Tragweite der Kommentarfreiheit, wenn er sinngemäss fordert, dass der Kommentar der „Zuger Presse“ in keiner Weise von seinem Votum hätte abweichen dürfen. Bei der Wertung des Kommentators wonach der Kosovokrieg für den Beschwerdeführer lediglich ein Medienereignis sei, wird das Votum des Beschwerdeführers zwar prägnant zugespitzt. Dies ändert aber nichts daran, dass die Wertung des Kommentators – der damit offensichtlich die seines Erachtens fadenscheinige Argumentation des Beschwerdeführers kritisieren will, wonach die beantragte Erhöhung der Kosovo-Wiederaufbauhilfe deshalb abzulehnen sei, weil es auch andernorts Elend gebe, dem die Medien zur Zeit weniger Aufmerksamkeit schenkten – im Votum des Beschwerdeführers durchaus eine sachliche Grundlage findet. Sowohl die Wertung als auch deren Grundlage sind für die Leserschaft der „Zuger Presse“ bei Lektüre des Ratsberichts und des Kommentars ohne weiteres nachvollziehbar.

e) Ebensowenig kann dem Beschwerdeführer gefolgt werden, wenn er die Bewertung der „Zuger Presse“ beanstandet, wonach er politisch als „Hardliner“ einzustufen sei. Es gehört zu den politischen Funktionen der Medien, dem Publikum eine Einordnung der Akteure in der politischen Landschaft zu liefern. Stellten die Medien auf die Selbstdeklaration der Politikerinnen und Politiker ab, würden sich diese mehrheitlich in der „Mitte“ ansiedeln, womit das Publikum kaum in die Lage versetzt würde, sich eine eigene Meinung bilden zu können. Eine solch wertende Einordnung eines politischen Akteurs kann immer nur relativ sein und wird je nach Standpunkt und Grundhaltung eines Mediums unterschiedlich ausfallen. Wenn die „Zuger Presse“ einen SVP-Abgeordneten, der entgegen der von der Redaktion vertretenen Auffassung gegen grosszügigere Lösungen bei der vorzeitigen Pensionierung der Staatsbeamten und gegen eine Aufstockung der Kosovo-Wiederaufbauhilfe antritt, als „Hardliner“ bewertet, erscheint dies im Lichte der Kommentarfreiheit ohne weiteres zulässig, ist doch die Leserschaft ausgehend von der Grundhaltung der „Zuger Presse“ auch hier ohne weiteres in der Lage, eine solche Wertung richtig einordnen zu können.

4. Unter diesen Umständen war weder eine Berichtigung noch eine Entschuldigung seitens der „Zuger Presse“ angebracht. Es hätte aber allenfalls zur Lösung des Konfliktes beigetragen, wenn die „Zuger Presse“ statt den Beschwerdeführer darauf hinzuweisen, dass die Voraussetzungen für eine Berichtigung und Entschuldigung nicht erfüllt waren, diesem vorgeschlagen hätte, eine kurze Präzisierung, – das für ihn der Kosovo-Krieg nicht „nur“ ein Medienereignis ist – z.B. als Leserbrief abzudrucken.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde gegen die „Zuger Presse“ wird als unbegründet abgewiesen.

2. Ein zugespitzter Kommentar zum Votum eines Parlamentariers liegt innerhalb des gemäss Ziff. 2 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ (Kommentarfreiheit) Erlaubten, wenn die dem Kommentar zugrundeliegende Wertung für das Publikum erkennbar ist und zudem im Votum des Parlamentariers eine sachliche Grundlage findet.

3. Aus dem Recht der Öffentlichkeit auf Kenntnis von Tatsachen und Meinungen (Präambel der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“) ist eine Pflicht der Journalistinnen und Journalisten abzuleiten, dem Publikum eine kritische Einordnung der Akteure in der politischen Landschaft zu liefern. Medien dürfen deshalb nicht bloss auf die Selbstdeklaration der Politikerinnen und Politiker abstellen.