Nr. 20/1999
Illustration von Medienbeiträgen mit Bildern von Prominenten

(Kissling c. „Beobachter“) Stellungnahme des Presserates vom 15. Oktober 1999

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I. Sachverhalt

A. Unter dem Titel „Die Stunde der Sterndeuter“ (Untertitel: „Astrologie für Unternehmen wird unverzichtbar – vor allem für die Gilde der Astrologen“) erschien im „Beobachter“ 10/99 ein Artikel über die Bedeutung der Astrologie in der Wirtschaft. Die Titelillustration war mit einem Agenturbild der Astrologin Monica Kissling versehen, die unter dem Namen „Madame Etoile“ insbesondere den Hörerinnen und Hörern von DRS 3 ein Begriff ist. Im Artikel selber wird Monica Kissling an einer Stelle wie folgt erwähnt: „Prominente Vertreterinnen der Astrozunft wie Monica Kissling alias Madame Etoile oder die ehemalige Radio- und Fernsehmoderatorin Ursi Spaltenstein brüsten sich damit, auch für Grossfirmen die Sterne zu deuten.“

B. Monica Kissling teilte dem Chefredaktor des „Beobachters“, Ivo Bachmann, mit Schreiben vom 2. Juni 1999 ihr Befremden über die Publikation ihres Bildes mit. Es sei ihr zwar bewusst, dass ihr Foto unter Umständen auch ohne ihr Wissen publiziert werden könne. Dass dies allerdings in einem „rufschädigenden Kontext und im Zusammenhang mit Aussagen von anderen Personen“ geschehe, sei nicht zulässig. Sie erwarte deshalb vom „Beobachter“, dass in der nächsten Ausgabe an gut sichtbarer Stelle im Heft eine Entschuldigung mit der Aussage veröffentlicht werde, dass ihr Foto ohne ihr Wissen und Einwilligung publiziert wurde, und zwar im Zusammenhang mit Aussagen über Astrologie, von denen sie sich klar distanziere. C. Am 4. Juni 1999 antwortete RA Dr. Philippe Ruedin vom Rechtsdienst des „Beobachters“, er könne zwar durchaus nachvollziehen, dass Monica Kissling die Veröffentlichung ihres Bildes in der gewählten Form unangenehm gewesen sei, da sie den Kontext einer solchen Publikation gerne mitbestimmen möchte. Trotzdem sehe der „Beobachter“ weder rechtlich noch moralisch einen Anlass für eine Entschuldigung. Der „Beobachter“ habe ein Agenturbild und keine unautorisierte Privatfotografie veröffentlicht. Als wohl prominenteste Vertreterin ihres Fachs sei Monica Kissling eine Person der Zeitgeschichte. Die Legende zur Bildmontage, die sich auf ihre Person beziehe, sei sachlich abgefasst und dürfte ihrer Überzeugung sehr wohl entsprechen. Dies gelte auch für den Titel, der – zusammen mit dem Bild – keinen negativen Gesamteindruck hinterlasse. Die kritischen Passagen würden – für die Leserschaft klar erkennbar – anderen Personen zugeordnet. Im übrigen dürften Abbildungen von Personen der Zeitgeschichte auch in einem kritischen Umfeld erfolgen.

D. Am 10. Juni 1999 gelangte Monica Kissling an den Presserat und fragte u.a., ob sie als Einzelperson für Illustrationszwecke hinhalten müsse, obwohl der Artikel nichts mit ihrer Arbeit zu tun habe und sie auch nie befragt worden sei. Auf Anfrage des Presseratssekretariats bestätigte Monica Kissling am 26. Juni 1999, dass sie im Zusammenhang mit dem beanstandeten „Beobachter“-Artikel nicht beabsichtige, ein zivil- oder strafrechtliches Verfahren einzuleiten.

E. Das Presseratspräsidium überwies die Beschwerde an die erste Kammer, der Roger Blum als Präsident, sowie Sylvie Arsever, Sandra Baumeler, Esther-Maria Jenny, Enrico Morresi und Edy Salmina angehören. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 25. August 1999 sowie auf dem Korrespondenzweg. F. In seiner Stellungnahme vom 20. Juli 1999 wies RA Dr. Philippe Ruedin namens des „Beobachters“ noch einmal darauf hin, das Monica Kissling alias Madame Etoile eine der prominentesten Astrologinnen der Schweiz sei. Sie trete häufig in den Medien auf und empfehle sich unter anderem auch für die astrologische Beratung von Firmen. Sie sei ohne Zweifel eine sogenannte Person der Zeitgeschichte. Die Abbildung der Beschwerdeführerin habe deshalb nach den rechtlichen Grundsätzen ohne ihre Einwilligung erfolgen können. Zusätzliche journalistische Berufspflichten seien durch die Veröffentlichung ebenfalls nicht verletzt worden.

Für die Bildmontage habe der „Beobachter“ die Fotografie einer Bildagentur verwendet (Keystone Press). Es handle sich also um ein von der Beschwerdeführerin grundsätzlich autorisiertes Bildmaterial. Die Presse müsse bei der Illustration von journalistischen Beiträgen Gestaltungsfreiheit besitzen. Es treffe zwar zu, dass sich die kritischen Passagen des veröffentlichten Beitrags vor allem auf Frau X. beziehen. Dies mache die Illustration aber nicht unzulässig. Denn Legende und Titel, die optisch den Kommentar zur Abbildung bildeten, seien neutral und fair abgefasst. Auch eine flüchtige Leserin oder ein flüchtiger Leser erhalte von der abgebildeten Person keinen negativen Eindruck.

II. Erwägungen

1. Ziff. 7 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ auferlegt den Medienschaffenden die Pflicht, die Privatsphäre des Einzelnen zu respektieren, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Weiter haben sie anonyme und sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen zu unterlassen.

2. Der Presserat hat in mehreren Stellungnahmen festgehalten, dass auch Personen des öffentlichen Lebens Anspruch auf Wahrung ihrer Privatsphäre haben. Auch wenn Personen der Zeitgeschichte nur einen eingeschränkten Schutz ihrer Privatsphäre beanspruchen können, rechtfertigt dies z.B. das illegale Abhören von Telefonaten nicht (Stellungnahme Nr. 4/93 i. S. „Le Matin“ / Diana, Sammlung der Stellungnahme des Presserates 1993, S. 58ff.). Ein Eingriff in die Privatsphäre ist zudem nicht berechtigt, wenn der Gegenstand der Berichterstattung in keinem Zusammenhang mit dem Grund für die Bekanntheit des Betroffenen besteht (Zusammenhang verneint in der Stellungnahme Nr. 1/95 i.S. M. c. „L’Hebdo“, Sammlung 1995, S. 12ff.; bejaht dagegen in den Stellungnahmen Nr. 2/93 i.S. „24 Heures“ / Zysiadis“, Sammlung der Stellungnahmen 1993, S. 32ff. und Nr. 1/94 i.S. Tornare / Télévision Suisse romande, Sammlung 1994, S. 14ff.). Ebenso ist das Bild einer Person des öffentlichen Lebens nicht weniger schutzwürdig als das Bild irgendeines Individums (Stellungnahme vom 12. März 1988 i.S. Werbeflyer der Firma „Fenjal“, Sammlung 1983-1989, S. 73ff.). Zuletzt hat der Presserat diese Grundsätze in der Stellungnahme Nr. 2/98 i.S. Umgang mit Schock- und People Bildern, Sammlung 1998, S. 29ff., ausführlich bestätigt.

3. Im konkreten Fall ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin, soweit es um das Thema Astrologie geht, innerhalb der Deutschschweiz zu den prominenten Vertreterinnen ihres Fachs gehört. Weiter ist auch der gemäss der dargestellten Praxis des Presserates zu verlangende thematische Zusammenhang zwischen dem Gegenstand des beanstandeten Medienberichts und dem Grund für die Bekanntheit der Beschwerdeführerin gegeben.

Sofern die genannten Voraussetzungen (Prominenz und thematischer Zusammenhang) gegeben sind, entspricht es einer verbreiteten journalistischen Praxis, gegen die aus berufsethischer Sicht grundsätzlich nichts einzuwenden ist, dass Bilder von öffentlichen Personen zu Illustrationszwecken verwendet werden. Dementsprechend stellt die Verwendung des Bildes der Beschwerdeführerin zur Illustration eines „Beobachter“-Artikels für sich allein keine Verletzung der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ dar.

4. Ebenso ist im Zusammenhang mit der Berichterstattung über Personen der Zeitgeschichte und dem Abdruck von Bildern von Prominenten daran zu erinnern, dass Personen des öffentlichen Lebens nicht verlangen können, dass über sie nur in einem ihnen genehmen Kontext berichtet wird. Das Recht der Personen der Zeitgeschichte auf Wahrung ihrer Privatsphäre beinhaltet keinen Anspruch auf blosse Selbstdarstellung in den Medien. Aufgabe der Medien ist die kritische Fremddarstellung von Personen und Ereignissen von öffentlichem Interesse (Stellungnahme i.S. Tor
nare / Télévision Suisse romande, a.a.O.; Stellungnahme i.S. Arbeitsbedingungen der Pressefotografen).

5. Die von den Medienschaffenden zu fordernde kritische Fremddarstellung stellt jedoch keinen Selbstzweck dar, sondern dient allein dem Recht der Öffentlichkeit auf Kenntnis von Tatsachen und Meinungen. Ziff. 1 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ verpflichtet die Medienschaffenden, sich an die Wahrheit zu halten. Gemäss Ziff. 3 der „Erklärung“ dürfen sie keine wichtigen Elemente von Informationen unterschlagen und weder Tatsachen, Dokumente und Bilder noch von anderen geäusserte Meinungen entstellen. Mit andern Worten darf eine berufsethisch an sich zulässige Illustration eines Medienberichts mit einem Bild eines Prominenten nicht dazu führen, dass das Publikum dadurch in die Irre geführt wird und Schlüsse zieht, die nicht den dem Medienbericht zugrundeliegenden Tatsachen entsprechen.

6. Im von der Beschwerdeführerin beanstandeten „Beobachter-Artikel“ wird sie als Blickfang gebraucht, obwohl sie mit dem Text wenig bis nichts zu tun hat. Wer den Titel, die Illustration und den Text des beanstandeten Artikels sehr sorgfältig betrachtet, liest und analyisert, kann entsprechend der Argumentation der Beschwerdegegnerin feststellen, dass umstrittene Äusserungen wie z.B., Lafontaine hätte die Finger besser von der Politik gelassen, weil er genau wie Adolf Hitler den „Saturn im 10. Haus habe“, oder aus dem Horoskop könne man feststellen, ob jemand vertrauliche Informationen für sich behalten kann, nicht der Beschwerdeführerin zuzuordnen sind. Eine derart sorgfältige Lektüre kann man von der Leserschaft des „Beobachters“ aber nicht erwarten. Deshalb kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Publikum durch den Abdruck des Bildes der Beschwerdeführerin den falschen Eindruck erhielt, die im Bericht enthaltenen umstrittenen Äusserungen von anderen Astrologinnen seien auch ihr persönlich zuzurechnen.

Diese mögliche Irreführung des Publikums wäre vermeidbar gewesen, wenn entweder auf die Verwendung des Bildes verzichtet worden wäre oder wenn die Beschwerdeführerin vor der Publikation des Berichts zu den umstrittenen Thesen befragt worden wäre und ihre Stellungnahme dem Publikum zur Kenntnis gebracht worden wäre.

7. Zumindest wäre aber nach Erscheinen des Berichts bzw. aufgrund der Reklamation der Beschwerdeführerin die Veröffentlichung einer Stellungnahme oder Richtigstellung der Beschwerdeführerin durch den „Beobachter“ angebracht gewesen.

III. Feststellungen

1. Auch Personen des öffentlichen Lebens haben Anspruch auf Wahrung ihrer Privatsphäre, weshalb das Bild von Prominenten nicht weniger schutzwürdig ist als das Bild irgendeines Inidividuums.

2. Personen des öffentlichen Lebens können nicht verlangen, dass über sie nur in einem ihnen genehmen Kontext berichtet wird. Das Recht der Personen der Zeitgeschichte auf Wahrung ihrer Privatsphäre beinhaltet keinen Anspruch auf blosse Selbstdarstellung in den Medien.

3. Gegen die verbreitete journalistische Praxis Medienberichte mit Bildern Prominenter zu illustrieren, ist aus berufsethischer Sicht grundsätzlich nichts einzuwenden.

4. Es verstösst jedoch gegen Ziff. 1 und 3 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“, wenn das Publikum durch eine solche Illustration einen Eindruck erhalten kann, der nicht den dem Medienbericht zugrundeliegenden Tatsachen entspricht.