Nr. 47/2012
Identifizierung / Privatsphäre

(X.c. «20 Minuten»/«20 Minuten Online») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 31. August 2012

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I. Sachverhalt

A. Unter dem Titel «Die Edelhure, die sich nimmt, was sie will» vermeldete Attila Szenogrady am 28. Februar 2012 in «20 Minuten Online», das Zürcher Bezirksgericht habe eine Prostituierte wegen Freiheitsberaubung und Betrugs zu 24 Monaten Freiheitsentzug verurteilt. Sie habe einen Banker terrorisiert und ihn mehrfach in ihrer Wohnung eingesperrt. «Beim ersten Mal soll sie ihn sogar gegen seinen Willen zum Geschlechtsverkehr gezwungen haben.» Von diesem Vorwurf der sexuellen Nötigung habe das Gericht die Frau allerdings freigesprochen.

B. Am 29. Februar 2012 berichtete Roman Hodel in der Printausgabe von «20 Minuten» ebenfalls über den Prozess vom Vortag (Titel: «Freispruch: Banker nicht sexuell genötigt»). Die «Edelprostituierte» habe einen «CS-Kadermann» nicht zum Sex gezwungen. Das Gericht habe sie hingegen wegen IV-Betrugs und weiterer Delikte zu 24 Monaten Freiheitsstrafe unbedingt verurteilt, «aufgeschoben zugunsten einer ambulanten Psychotherapie – die Edelprostituierte leidet an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung.» Illustriert ist der Bericht mit zwei Bildern: Eines zeigt das Facebook-Profilfoto der Angeschuldigten, auf dem sie eine Maske trägt, das andere zeigt sie von hinten auf dem Weg zur Gerichtsverhandlung.

C. Am 6. März und 3. Mai 2012 beschwerte sich X. beim Presserat, aufgrund der Berichterstattung von «20 Minuten» und «20 Minuten Online» und insbesondere wegen des in der Printausgabe veröffentlichten Facebook-Profilbilds hätten viele Bekannte sie erkannt, zumal sie in Facebook unter ihrem richtigen Namen auftrete. «20 Minuten» habe dadurch in ihre Privatsphäre eingegriffen und ihre Persönlichkeit verletzt. Den Titel «Die Edelhure, die sich nimmt, was sie will» empfinde sie als ehrverletzend, man habe sie generell verächtlich dargestellt und intime Details veröffentlicht – dass sie unter Borderline leide und als Prostituierte arbeite.

D.
Am 29. Mai 2012 räumte die durch den Rechtsdienst der Tamedia AG vertretene Redaktion von «20 Minuten» ein, sie habe die Beschwerdeführerin im beanstandeten Bericht vom 29. Februar zu wenig anonymisiert. Die Beschwerdegegner seien aufgrund der Maske davon ausgegangen, dass X. damit genügend unkenntlich gemacht sei. Sie hätten nicht erkannt, dass die Beschwerdeführerin gerade aufgrund der Maske für einen breiten Personenkreis individualisierbar sei. «20 Minuten» habe nicht beabsichtigt, auf diese Weise die Privatsphäre der Beschwerdeführerin zu verletzen und habe das betreffende Bild deshalb unverzüglich aus dem Online-Archiv entfernt.

E. Am 5. Mai 2012 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

F. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 31. August 2012 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Gemäss der Ziffer 7 zur «Erklärung» respektieren die Medienschaffenden «die Privatsphäre der einzelnen Personen, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt». Die zugehörige Richtlinie 7.2 (Identifizierung) verlangt, dass die Medienschaffenden die beteiligten Interessen (Recht der Öffentlichkeit auf Information, Schutz der Privatsphäre) sorgfältig abwägen.

2. Vorliegend ist zwischen den Parteien unbestritten, dass die Beschwerdeführerin aufgrund des im Bericht der Printausgabe von «20 Minuten» veröffentlichten Facebook-Profilbildes über ihr engstes familiäres und soziales Umfeld hinaus erkennbar war, ohne dass ein überwiegendes öffentliches Interesse an einer identifizierenden Berichterstattung bestand. Auch wenn die Redaktion der Printausgabe von «20 Minuten» ihren Fehler anerkennt, ändert dies nichts daran, dass sie in Bezug auf die Identifizierung deshalb die Ziffer 7 der «Erklärung» verletzt hat.

3. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin haben die Berichte von «20 Minuten» und «20 Minuten Online» hingegen ihre Persönlichkeit nicht schon dadurch verletzt, dass sie wahrheitsgemäss und in verhältnismässiger Weise über die Gerichtsverhandlung berichtet haben, auch wenn sie dabei auch Privates und Persönliches thematisierten. Zu beanstanden ist wie ausgeführt einzig – was auch die Beschwerdegegner einräumen – die Veröffentlichung des Facebook-Profilfotos, aufgrund dessen ein zu grosser Personenkreis diese Informationen der Beschwerdeführerin zuordnen konnte.

III. Feststellungen

1.
Die Beschwerde gegen «20 Minuten» wird teilweise gutgeheissen.

2.
«20 Minuten» hat mit der Illustration des Berichts «Freispruch: Banker nicht sexuell genötigt» mit einem Facebook-Profilfoto, das die Betroffene für einen weiteren Personenkreis identifizierbar machte, die Ziffer 7 (Identifizierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

3.
Darüber hinausgehend wird die Beschwerde gegen «20 Minuten» und «20 Minuten Online» abgewiesen.

4. «20 Minuten» und «20 Minuten Online» haben die Ziffer 7 der «Erklärung» (Privatsphäre) nicht schon dadurch verletzt, indem sie in einem Gerichtsbericht intime Details über die Persönlichkeit der Angeschuldigten veröffentlichten.