Nr. 63/2004
Filmberichterstattung / Kommentarfreiheit

(X./Y./Z. c. «20 Minuten») Stellungnahme des Presserates vom 31. Dezember 2004

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I. Sachverhalt

In seiner Ausgabe vom 10. Juni 2004 veröffentlichte «20 Minuten» eine von Benjamin Bögli verfasste Kritik des Films «Cattolica» des Schweizer Regisseurs X. Unter dem Titel « «Cattolica›. Halbbrüder auf Vatersuche in Italien» und dem Untertitel: «Auf der Suche nach dem Vater: Zwei Brüder, sie sich nicht kannten, reisen in den Süden» war zu lesen: «Stefan (Lukas Gregorowicz) wusste nichts von allem: Eines Nachts besucht ihn der ihm unbekannte Martin (Merab Ninidze) und beweist, dass er sein Bruder ist. Genauer: Halbbruder. Ihre Mutter hatte nämlich ein Verhältnis mit einem italienischen Gastarbeiter, aus welchem Stefan stammt. Nur: Vom Vater fehlt jede Spur. Mit Hilfe eines Briefes und eines Fotos, die ihre Mutter in Italien zeigen, machen sich Stefan und Martin auf nach Italien, um Stefans Vater ausfindig zu machen (…) Die Tragikomödie ‹Cattolica› (…) überzeugt nur teilweise: Der Einstieg in die Geschichte ist hübsch gemacht – im Anschluss, also ab der der Reise nach Italien, bietet der Film aber nur noch Lifestyle-Kino ohne Ecken und Kanten: Den Dialogen fehlt die Würze, der Handlung die Spannung. Doch der italienische Charme von ‹Cattolica› stimmt einen schon fast wieder versöhnlich.»

B. Am 20. Juli 2004 gelangten X., Y. und Z. mit einer Beschwerde gegen die Filmkritik von Benjamin Bögli an den Presserat. Die Beschwerdeführer rügten eine Verletzung der Ziffern 1.1 (Wahrheitssuche) und 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) der Richtlinien zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten».

C. Gemäss Art. 9 Abs. 3 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates sind offensichtlich unbegründete Beschwerden durch das Presseratspräsidium zurückzuweisen. Das Presseratspräsidium – bestehend aus dem Präsidenten Peter Studer sowie den Vizepräsidentinnen Sylvie Arsever und Esther Diener-Morscher – hat die vorliegende Stellungnahme per 31. Dezember 2004 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. a) Unter dem Gesichtspunkt der Richtlinie 1.1 (Wahrheitspflicht) beanstanden die Beschwerdeführer vorab, im Titel und im Lauftext des Artikels von «20 Minuten» sei fälschlicherweise von Halbbrüdern die Rede. Demgegenüber seien die beiden Protagonisten des Films nicht Halbbrüder, sondern hätten dieselbe leibliche Mutter und denselben leiblichen Vater. Aus der Handlung des Films ergebe sich zudem klar, dass der eine Bruder zur Adoption freigegeben worden sei, weshalb sie sich nicht gekannt hätten. Zudem seien auch die Presseinformationen diesbezüglich eindeutig gewesen. Dieser Fehler des Kritikers werfe die Frage auf, inwiefern überhaupt von einer ernsthaften inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Film die Rede sein könne.

b) Es gehört nicht zu den Aufgaben des Presserates, die Qualität beanstandeter Medienberichte zu werten. Dementsprechend kann hier nicht zur Debatte stehen, ob und inwiefern sich der Filmkritiker inhaltlich ernsthaft mit dem besprochenen Film auseinandergesetzt hat. Vielmehr stellt sich in erster Linie die Frage nach der Relevanz der geltend gemachten Falschinformation aus Sicht der Leserinnen und Lesern. Der Presserat hat mehrfach darauf hingewiesen, dass es unter berufsethischen Gesichtspunkten unverhältnismässig erscheint, aufgrund für das Verständnis der Leserschaft nicht allzu wichtig erscheinenden Unschärfe eine Verletzung der Wahrheitspflicht abzuleiten (vgl. hierzu zuletzt die Stellungnahme 49/2004 mit weiteren Hinweisen). Zwar mag die Verwechslung zwischen Halbbrüdern und leiblichen Brüdern unverständlich und zu kritisieren sein. Dennoch hatte diese Ungenauigkeit bei der Beschreibung der verwandschaftlichen Verhältnisse in dieser fiktiven Geschichte nach Auffassung des Presserates für einen unbefangenen Leser von «20 Minuten» wohl kaum einen wesentlichen Einfluss auf das Verständnis des zentralen Themas von Film und Besprechung: Der gemeinsamen Vatersuche von zwei Brüdern in Italien. Eine Verletzung der journalistischen Wahrheitspflicht ist deshalb zu verneinen.

c) Dies gilt auch für die von den Beschwerdeführern weiter als falsch gerügte Zuordnung des Films zum Genre «Tragikomödie» anstelle der «richtigen» Bezeichnung als «Roadmovie». Die «korrekte» Zuordnung von Filmen zu bestimmen Genres ist für die journalistische Berufsethik nicht bindend. Genre-Begriffe wie «Tragikomödie» und «Roadmovie» sind für die Leserschaft von «20 Minuten» als kommentierende Einordnungen des Rezensenten erkennbar. Eine aus Sicht der Beschwerdeführer falsche Zuordnung vermag deshalb von vornherein keine Verletzung der Wahrheitspflicht zu begründen.

2. a) Unter dem Aspekt der Trennung von Fakten und Kommentar (Richtlinie 2.3) kritisieren die Beschwerdeführer die Formulierungen «Der Einstieg in die Geschichte ist hübsch gemacht» und «ab der Reise nach Italien bietet der Film aber nur noch Lifestyle-Kino ohne Ecken und Kanten». Der erste Satz sei weder eine eindeutige Information noch ein Kommentar. Der Begriff «Lifestyle-Kino» sei weder als Genre noch als gängiger Begriff im Kinofilmschaffen bekannt. «Der Begriff Lifestyle ist im Bereich der bewegten Bilder verbunden mit Werbespots und Videoclips. Beide verkaufen ein gewisses Lebensgefühl, (…) mit dem Ziel, das Interesse an einem Produkt zu wecken. Bei einem Autorenfilm stehe demgegenüber der künstlerische Aspekt im Vordergrund. Mit der Falschinformation «Lifestyle-Kino», verstärkt durch Zusatz «ohne Ecken und Kanten» werde «Cattolica» damit auf eine Stufe mit einem Werbefilm gestellt.

b) Der Presserat kann auch diese Beanstandungen der Beschwerdeführer nicht nachvollziehen. Der Satz «Der Einstieg in die Geschichte ist hübsch gemacht» ist aus unvoreingenommener Sicht eindeutig als Wertung – und zwar als positive – erkennbar. Abgesehen davon, dass es für die journalistische Filmkritik keinen abschliessend verbindlichen Kanon zulässiger Begriffe geben kann, ist zudem auch die hinter der Wortschöpfung «Lifestyle-Kino» stehende Meinungsäusserung des Filmkritikers ohne weiteres erkennbar. Es geht ihm offensichtlich nicht um eine Gleichsetzung des besprochenen Films mit einem Werbefilm, sondern vielmehr darum, dass «Cattolica» nach Auffassung von Benjamin Bögli nach dem «hübschen Einstieg» hinsichtlich der Dialoge und der Spannung der Handlung etwas belanglos wirke. Eine derartige Kritik bewegt sich offensichtlich innerhalb des weit zu steckenden Rahmens der Kommentarfreiheit.

3. Die Beschwerdeführer werfen darüber hinaus die Frage auf, ob sich die Redaktion von «20 Minuten» und Benjamin Bögli im Besonderen und Medienredaktionen und Journalistinnen und Journalisten im Allgemeinen über die realen Auswirkungen derartiger Besprechungen bewusst seien. Darauf kann der Presserat nicht näher eingehen. Tatsächlich kann eine kritische Berichterstattung – wie dies zumindest die Beschwerdeführer geltend machen – nicht nur die Laufbahn eines Regisseurs, sondern auch die Marktchancen eines Studiofilms und darüber hinaus das Image des Schweizer Films beeinträchtigen. Aber der Presserat hat gemäss der ihm vorgegebenen reglementarischen Grundlagen redaktionelle Inhalte allein nach den Normen der journalistischen Berufsethik und nicht nach ökonomischen oder kulturpolitischen Kriterien zu beurteilen (vgl. hierzu bereits die Stellungnahme 14/2003).

III. Feststellung

Die Beschwerde wird als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.