Nr. 18/1999
Berichterstattung über politische Minderheiten

(Brühwiler / KVP des Kantons Thurgau c. „St. Galler Tagblatt“ / „Bodensee Tagblatt“) Stellungnahme vom 1. Oktober 1999

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I. Sachverhalt

A. Mit Schreiben vom 14. Juni 1999 gelangte RA Dr. Lukas Brühwiler-Frésey in seinem Namen und demjenigen der Katholischen Volkspartei (KVP) des Kantons Thurgau, deren Präsident er ist, an den Presserat und erhob Beschwerde gegen das „St. Galler Tagblatt“ und das „Bodensee Tagblatt“. RA Brühwiler-Frésey (nachfolgend der Beschwerdeführer) macht geltend, er werde von den beschwerdebeklagten Zeitungen laufend diskriminiert und im Vergleich zu anderen Personen oder politischen Parteien – insbesondere auch im Zusammenhang mit seiner Ständeratskandidatur – rechtsungleich behandelt. Viele Artikel und Pressemitteilungen des Beschwerdeführers bzw. der KVP Thurgau würden von den Beschwerdegegnern oftmals nicht oder nur dann publiziert, wenn zuvor ein oder mehrmals gemahnt worden sei. Insgesamt werde das unerlässliche Mass an Publizität nicht erreicht, obwohl die KVP Thurgau im Kanton immer wieder wesentliche Volksabstimmungen gewinne und in diesem Lager Meinungsführerschaft beanspruchen dürfe. Seine überparteiliche Ständeratskandidatur sei von den Beschwerdegegnern fälschlicherweise als „von ganz aussen rechts“ qualifiziert worden und zudem würden Wahlveranstaltungen boykottiert. Weiter rügt der Beschwerdeführer, dass er sich mehrmals schriftlich bei der Redaktion der Beschwerdegegner beschwert habe, ohne je in irgendeiner Form eine Antwort zu erhalten. Schliesslich würden die Beschwerdegegner „Schlüssel-Artikel“ zu oft und ohne hinreichenden Anlass und ohne jeglichen Sinn und Zweck kürzen, offensichtlich in der Absicht, den Beschwerdeführer bzw. die KVP Thurgau in der Öffentlichkeit als unbeholfen und unverständlich darzustellen. Mit ihrem Verhalten hätten die Beschwerdeführer die Ziffern 1 (Recht der Öffentlichkeit, die Wahrheit zu erfahren), 3 (Unterschlagen wichtiger Elemente von Informationen und der von andern geäusserten Meinungen), 5 (Berichtigung von Falschmeldungen) und 7 (sachlich nicht gerechtfertigte Anschuldigungen) der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ verletzt. Mit Schreiben vom 5. Juli 1999 ergänzte und präzisierte der Beschwerdeführer die Beschwerde in einzelnen Punkten. B. Das Presseratspräsidium überwies die Beschwerde an die erste Kammer, der Roger Blum als Präsident, sowie Sylvie Arsever, Sandra Baumeler, Esther-Maria Jenny, Enrico Morresi sowie Edy Salmina angehören. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 25. August 1999 sowie auf dem Korrespondenzweg. C. In ihrer Stellungnahme vom 2. August 1999 machen das „St. Galler Tagblatt“ und das „Bodensee Tagblatt“ geltend, es treffe nicht zu, dass dem Beschwerdeführer bzw. der KVP ungenügend Platz eingeräumt worden sei. Zur Stützung ihrer Stellungnahme bringen sie folgende Zahlen vor: Seit April 1997 sei der Beschwerdeführer als KVP-Präsident 72 Mal (FPS-Präsident: 51 Nennungen, EVP-Präsident 17 Nennungen) namentlich genannt worden, die KVP als kleine politische Partei sei mit 37 Textbeiträgen berücksichtigt worden (EVP Thurgau: 24 Textbeiträge; FPS Thurgau: 18 Textbeiträge). Damit sei dargelegt, dass der Diskriminierungsvorwurf des Beschwerdeführers zu Unrecht erhoben werde. Der Beschwerdeführer lasse der Redaktion des „Bodensee-Tagblatts“ mit seinem „Info-Dienst KVP Thurgau“ fast wöchentlich zum Teil sehr umfangreiche Stellungnahmen zu allen möglichen Themen zukommen. Wenn diese nicht sogleich veröffentlicht würden, interveniere der Beschwerdeführer bei der Redaktion zum Teil sehr massiv. Trotzdem habe die Redaktion des „Bodensee Tagblatts“ in den ersten 6 Monaten 1999 neun derartige Stellungnahmen abgedruckt. Doch gelte auch für die Forum-Seite, dass dort argumentiert, nicht verdächtigt und verunglimpft werden solle. Dass „St. Galler Tagblatt“ wolle den sachdienlichen Streit der begründeten Meinungen vermitteln, nicht Anschwärzungen und Herabwürdigungen. Diesem Anspruch vermöchten viele der Zuschriften des Beschwerdeführers nicht zu genügen, was deren Veröffentlichung ausschliesse.

D. In einer „Replik“ vom 12. August 1999 zur Stellungnahme der Beschwerdegegner macht der Beschwerdegegner u.a. geltend, dass seine Hauptvorwürfe in der Beschwerdeantwort nicht behandelt würden. Zwischenzeitlich habe das „Tagblatt“ die Berichterstattung über eine weitere Wahlveranstaltung unterschlagen. Deshalb halte er am Vorwurf fest, dass seine Ständeratskandidatur nach wie vor nicht bloss verunglimpft, sondern auch in wesentlichen Teilen unterdrückt werde.

II. Erwägungen

1. Aus der Präambel und aus Ziff. 1 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ kann kein Anspruch auf die Veröffentlichung von Informationen abgeleitet werden, die einer Medienredaktion von Dritten zugetragen werden. Journalistinnen und Journalisten sind berufsethisch verpflichtet, allein nach journalistischen Kriterien, namentlich nach Aktualität, Originalität und Relevanz einer Nachricht zu entscheiden, ob eine Information abgedruckt wird. Der Presserat hat bereits in seiner Stellungnahme Nr. 1/92 i.S. H. c. „Blick“ (Sammlung der Stellungnahmen des Presserates 1992, S. 7ff.) darauf hingewiesen, dass Medienschaffende Tag für Tag mit der Problematik der Auswahl der zu veröffentlichenden Informationen aus einer grossen Informationsfülle konfrontiert sind. Welche Informationen als relevant bewertet werden, wird von den einzelnen Massenmedien je nach Standort und Umfeld unterschiedlich behandelt. Der Presserat hat darüber hinaus u.a. in der Stellungnahme Nr. 3/96 i.S. U. AG c. „Beobachter (Sammlung 1996, S. 43ff.) festgehalten, dass aus der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ keine Pflicht zu objektiver Berichterstattung abgeleitet werden kann. Auch eine einseitige und parteiergreifende Berichterstattung ist demnach zulässig, sofern sie für das Publikum als solche erkennbar ist und entsprechend eingeordnet werden kann.

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Presserat bereits in früheren Stellungnahmen (Stellungnahme i.S. S. c. Baillod vom 13. Juni 1996, Sammlung 1983-1989, S. 42ff., Stellungnahme Nr. 11/98 i.S. KVP Luzern c. „Neue Luzerner Zeitung“, Sammlung 1998, S. 102ff.) festgehalten, dass Medien grundsätzlich nicht verpflichtet sind, sämtliche Medienmitteilungen von politischen Parteien und ähnlichen Organisationen abzudrucken. Dementsprechend kann auch eine politische Minderheit keine Sonderbehandlung verlangen. Umgekehrt stellt die Kleinheit einer Gruppierung auch kein wesentliches Kriterium gegen eine Publikation dar, wenn der Informationswert der von ihr verbreiteten Informationen nach jounalistischen Kriterien anerkannt ist. Wenn der Platz für Veröffentlichungen wie meist knapp ist oder wenn es um ein Thema geht, dessen Bedeutung über das Lokale hinausgeht, ist den grossen nationalen Parteien – ausgehend vom Verhältnismässigkeitsprinzip – eine erhöhte Aufmerksamkeit zuzubilligen.

Diese Grundsätze sind gerade auch für kleine Zeitungen von Bedeutung, deren Schwergewicht in der Berichterstattung im Lokalbereich liegt. Sie dürfen sich nicht einfach darauf beschränken, den in ihrem Einzugsgebiet aktiven Vereinigungen einen Briefkasten zur Verfügung zu stellen. Aus dem Recht der Öffentlichkeit auf Kenntnis von Tatsachen und Meinungen ist jedoch abzuleiten, dass die eine oder andere Information im Einzelfall veröffentlicht werden muss.

3. Einer politischen Partei und/oder deren Spitzenleute ist unter den dargestellten einschränkenden Voraussetzungen grundsätzlich ein Mindestmass an öffentlicher Aufmerksamkeit zu gewähren. Dies ändert aber nichts daran, dass allein die Redaktion zu bestimmen hat, wann und wo berichtet wird, jedefanlls so lange dieses Mindestmass erfüllt ist, das eine faire Behandlung der politischen (aber auch sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen) Akteure durch die Medie
n gewährleisten soll. Soweit ein Medium von vornherein eine für das Publikum erkennbare Grundhaltung gewählt hat, ist es weniger als ein Forumsmedium gehalten, sämtlichen Auffassungen den gleichen Platz einzuräumen. Befinden sich Medien demgegenpber in einer Monopolsituation oder werden sie – in einem an sich zeitungsreichen Kanton – zumindest in einem Teil ihres Verbreitungsgebiet deutlich am meisten beachtet, ist umgekehrt eine stärkere Sensibilisierung gerade auch für politische Minderheiten vonnöten, selbst wenn diese nicht der Grundhaltung des Mediums entsprechen.

4. Bei Übertragung dieser Grundsätze auf die Behandlung der Beschwerdeführer durch die Beschwerdegegner gelangt der Presserat zum Schluss, dass sich die Beschwerde hinsichtlich der angeblichen Diskriminierung der Beschwerdeführer durch die Berichterstattung des „St. Galler Tagblatts“ und des „Bodensee Tagblatts“ als unbegründet erweist. Bereits die zahlreichen von den Beschwerdeführer eingereichten abgedruckten Leserbriefe und Artikel zeigen deutlich auf, dass die Beschwerdegegner den Beschwerdeführern eine erhebliche Aufmerksamkeit haben zukommen lassen. Diese Wertung wird weiter durch die von den Beschwerdegegnern vorgebrachte zahlenmässige Auswertung bestätigt. Der Presserat sieht vorliegend keinen Anlass, an der Zuverlässigkeit dieser Angaben zu zweifeln. Darüber hinaus vermag der Presserat nach der Lektüre der Beschwerdebeilagen darunter keine Medienberichte zu erkennen, bei denen den Beschwerdeführern zwingend hätte Gelegenheit zu einer Stellungnahme oder einer Berichtigung eingeräumt werden müssen.

5. Als aufschlussreiches Beispiel für die Haltung der Beschwerdeführer kann der Artikel des „Bodensee Tagblatts“ vom 27. Mai 1999 betreffend der Ankündigung der Ständeratskandidatur von Lukas Brühwiler herangezogen werden. Die Journalistin stuft diese Kandidatur als von „ganz rechts aussen“ kommend ein. Diese kommentierende Wertung ist unter dem Gesichtspunkt von Ziff. 2 der „Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten“ ohne weiteres zulässig, „gehört es doch zu den politischen Funktionen der Medien, dem Publikum eine Einordnung der Akteure in der politischen Landschaft zu liefern. Stellten die Medien auf die Selbstdeklaration der Politikerinnen und Politiker ab, würden sich diese mehrheitlich in der „Mitte“ ansiedeln, womit das Publikum kaum in die Lage versetzt würde, sich eine eigene Meinung bilden zu können“ (Stellungnahme Nr. 16/99 i.S. H. c. „Zuger Presse“ vom 1. Oktober 1999). Die Beschwerdeführer machen demgegenüber geltend, hinter der Bezeichnung der Kandidatur als „von ganz aussen rechts“ stehe die Absicht, Lukas Brühwiler in die Nähe von Skinheads und solcher Kreise zu setzen, jedenfalls als Extremen hinzustellen. Dieser Vorwurf ist offensichtlich unzutreffend, ist doch das Publikum ohne weiteres in der Lage, zwischen der politischen Rechten und gewaltbereiten Extremisten zu unterscheiden (letztere haben sich, jedenfalls bis heute, nicht an Ständeratswahlen beteiligt). Jede andere Schlussfolgerung würde der Journalistin eine nicht nachgewiesene Absicht unterstellen.

6. Eine weiteres aufschlussreiches Beispiel für die Argumentation der Beschwerdeführer ist deren Behauptung, dass die Beschwerdegegner laufend die „Homosexuellen-Lobby“ mit ihren Gleichstellungsforderungen unterstützen würden. Die dazu von den Beschwerdeführern vorgelegten Artikel (z.B. „Mehr Rechte für Unverheiratete; Umstrittene Gesetzesvorlage in Frankreich – Anerkennung homosexueller Paare“, „Bodensee-Tagblatt vom 9. Oktober 1998 oder „Mehr Rechte für homosexuelle Paare? Mehrheit für kirchliche Segnung gleichgeschlechtlicher Paare – Rückenwind für politische Forderungen“, „Bodensee-Tagblatt vom 5. Juni 1999) vermögen diesen Vorwurf nicht zu stützen, werden doch in diesen Berichten jeweils befürwortende und ablehnende Haltungen thematisiert.

7. Die Beschwerdeführer scheinen zu glauben, dass sie Anspruch darauf hätten, darüber zu entscheiden zu können, wann und wie in der Presse über sie oder über ihre Anliegen zu berichten sei. Dieser Schluss wird zumindest durch den Wortlaut der äusserst zahlreichen Interventionen der Beschwerdeführer bei der Redaktion des „Bodensee-Tagblatts“ gestützt, die offenbar jeweils dann erfolgen, wenn der Abdruck einer Medienmitteilung oder eines Leserbriefs nicht umgehend erfolgt. Das Ziel der durch die Beschwerdeführer selbst dokumentierten Interventionen besteht in den meisten Fällen darin, die aus ihrer Sicht angemessene journalistische Auswahl von Informationen zu erreichen.

Die Beschwerdeführer erheben in diesem Zusammenhang den Vorwurf, dass viele Artikel und Mitteilungen erst nach Mahnung, und damit oft verspätet abgedruckt würden und dass die Beschwerdegegner nie in irgendeiner Form auf die zahlreichen Beschwerden geantwortet hätten.

Der Presserat hat jüngst in mehrern Stellungnahmen für eine grosszüge Haltung der Redaktionen auf Medienberichte plädiert (vgl. u.a. die Stellungnahmen Nr. 1/99 i.S. S. c. „Bündner Tagblatt“, und Nr./99 i.S. T. c. „La Liberté“). In diesem Zusammenhang ist aus berufsethischer Sicht u.a. auch zu fordern, dass Personen, die sich bei einer Redaktion beschweren, Anspruch auf eine angemessene und prompte Antwort haben. Dementsprechend vermag das Verhalten der Beschwerdegegner in diesem Punkt nicht zu befriedigen. Umgekehrt kann es aber nicht angehen, wenn Exponenten von Parteien ungehörigen Druck auf eine Redaktion ausüben, um den Abdruck ihrer Stellungnahmen zu erreichen. Journalistinnen und Journalisten sind berufsethisch verpflichtet, einem solchen Druck standzuhalten, und den Abdruck von Stellungnahmen zu verweigern, die sich bei einer Auswahl nach journalistischen Kriterien nicht rechtfertigen lassen.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird als im wesentlichen unbegründet abgewiesen.

2. Von einer diskriminierenden Berichterstattung kann keine Rede sein, so lange einer Minderheit ein Mindestmass an medialer Aufmerksamkeit gewährt wird, das eine faire Behandlung der politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Akteure gewährleisten soll.

3. Es gehört zu den politischen Funktionen der Medien, dem Publikum eine Einordnung der Akteure in der politischen Landschaft zu liefern. Die Einordnung einer Ständeratskandidatur als „von ganz aussen rechts“ stellt eine zulässige Kommentierung (Ziff. 2 der „Erklärung“) dar. Das Publikum ist ohne weiteres in der Lage, zwischen den konservativen Rechtsparteien und gewaltbereiten Rechtsextremen zu unterscheiden.

4. Personen, die sich bei einer Redaktion beschweren, haben Anspruch auf eine angemessene und prompte Antwort. Auch wenn Exponenten von Parteien ungehörigen Druck auf eine Redaktion ausüben, um den Abdruck ihrer Stellungnahmen zu erreichen, sind Journalistinnen und Journalisten berufsethisch verpflichtet, den Abdruck von Stellungnahmen zu verweigern, deren Veröffentlichung sich bei einer Auswahl allein nach journalistischen Kriterien nicht rechtfertigen lässt.