Nr. 13/2012
Anonymisierung / Verwendung eines echten Namens für ein Pseudonym

(X. c. «20 Minuten»/«20 Minuten Online» «Tages-Anzeiger Online»/«Newsnet») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 20. April 2012

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I. Sachverhalt

A.
Am 23. November 2011 berichtete Maja Sommerhalder in «20 Minuten Online» («Juniorentrainer verprügelte Kids»), ein 25-jähriger Fussball-Juniorentrainer und
Schiedsrichter habe nebenbei als Anführer einer Jugendbande Minderjährige terrorisiert. Der Artikel benennt den Betroffenen mit einem verbreiteten Vornamen und Nachnamen,  weist aber mit einem Asterix und dem zugehörigen Vermerk «*Namen geändert» am Ende des Berichts darauf hin, dass es sich nicht um den richtigen Namen handelt.

B. Tags darauf erschien der gleiche Artikel in der Printausgabe von «20 Minuten» («Juniorentrainer verprügelte als brutaler Gangboss Kids»). Und die Redaktion «Newsnet» des «Tages-Anzeiger» veröffentlichte einen ähnlichen Bericht von Simon Eppenberger («Terror mit Methode»). Auch dieser nennt den umstrittenen Fussballtrainer mit dem gleichen Vor- und Nachnamen und enthält den Hinweis «Namen durch die Redaktion geändert». Ebenfalls am 24. November 2011 veröffentlichte «20 Minuten Online» einen Bericht von Amir Mustedanagic («Der Prügel-Schiri lebt in zwei Welten»), der den delinquierenden Fussballtrainer erneut mit dem gleichen Namen bezeichnet.

C. Gleichentags beschwerte sich X., Träger dieses Namens, beim Presserat über die obengenannten Berichte und machte geltend, die Verwendung seines Namens zur anonymisierenden Berichterstattung über einen prügelnden Fussball-Juniorentrainer verletzte seine Privatsphäre (Ziffer 7 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten»). Nach Auffassung des Beschwerdeführers wäre es für die drei Redaktionen ohne Weiteres möglich gewesen, anstelle des falschen Fantasienamens ein Kürzel oder nur den Vor- oder den Nachnamen zu verwenden. «Zudem ist mein Name auf der Google-Suche mit Verbrechen beschmutzt worden.» Am Tag der Veröffentlichung sei bei der Eingabe seines Namens der Bericht über den falschen Namensvetter als erstes Suchresultat erschienen. Dies könne beispielsweise bei einer Stellensuche dazu führen, dass ein vermeintlicher Täterschutz zu einer Diskriminierung einer anderen Person führe (Ziffer 8 der «Erklärung»).

D.
Nachdem das Sekretariat des Presserates die Beschwerde an die betroffenen Redaktionen gesandt und diesen eine Frist zur Beschwerdeantwort gesetzt hatte, traf beim Presserat eine zweite Beschwerde eines weiteren Namensvetters in gleicher Sache und mit der gleichen Begründung ein Der zweite Beschwerdeführer stellte insbesondere die Vermutung in den Raum, sein Name sei nicht rein zufällig, sondern vielmehr mit der Absicht verwendet worden, ihm in seiner politischen Tätigkeit als kantonaler Parlamentarier zu schaden.

Da ansonsten aber beide Beschwerden inhaltlich weitgehend identisch sind, verzichtete der Presserat darauf, diese zweite Beschwerde den Redaktionen ebenfalls zur Stellungnahme zu unterbreiten (Schreiben des Sekretariats der Presserats vom 9. und 22. Dezember 2011 an den zweiten Beschwerdeführer). Die nachstehende Stellungnahme des Presserates behandelt somit nur die erstgenannte Beschwerde und geht auf die zweite Beschwerde nur insoweit ein, als sich daraus zusätzliche Aspekte ergeben.

E. Am 9. Januar 2012 wiesen die durch den Rechtsdienst Tamedia AG vertretenen Redaktionen von «20 Minuten», «20 Minuten Online» und «Tages-Anzeiger Online» die Beschwerde von X. als unbegründet zurück. Wenn die Nennung des richtigen Namens in einem Medienbericht nicht möglich sei, verwendeten Medien häufig gewöhnliche Durchschnittsnamen wie denjenigen von X. Durch den Hinweis «Name geändert» respektive «Name von der Redaktion geändert» sei aber klar, dass es sich nicht um einen der richtigen X. handle. Beim Artikel von Amir Mustedanagic habe die Redaktion nach einer Reklamation des Beschwerdeführers ebenfalls den Hinweis «Name geändert» hinzugefügt. Eine Verletzung der Ziffer 7 der «Erklärung» (Verletzung der Privatsphäre) sei mithin zu verneinen. Und als Einzelperson könne der Beschwerdeführer nur dann diskriminiert werden, wenn man ihn aufgrund einer Gruppenzugehörigkeit benachteilige, beispielsweise wegen seines Geschlechts, Alters, der Religion, der Hautfarbe oder der ethnischen Zugehörigkeit. Ein Verstoss gegen Ziffer 8 falle hingegen ausser Betracht, wenn eine Einzelperson oder die Gruppe sämtlicher Träger des Namens X. wegen der Verwendung dieses Namens zur Anynomisierung eines Medienberichts Unannehmlichkeiten erleide.

F. Am 13. Januar 2012 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg, Vizepräsidentin Francesca Snider und Vizepräsident Max Trossmann.

G. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 20. April 2012 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

 
II. Erwägungen

1. a) Gemäss der Ziffer 7 zur «Erklärung» respektieren die Medienschaffenden «die Privatsphäre der einzelnen Personen, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt». Die zugehörige Richtlinie 7.2 (Identifizierung) verlangt, dass die Medienschaffenden «die beteiligten Interessen (Recht der Öffentlichkeit auf Information, Schutz der Privatsphäre) sorgfältig» abwägen. Eine identifizierende Berichterstattung ist zulässig, «sofern die betroffene Person ein politisches Amt beziehungsweise eine staatliche oder gesellschaftlich leitende Funktion wahrnimmt und der Medienbericht damit im Zusammenhang steht. (…) Überwiegt das Interesse am Schutz der Privatsphäre das Interesse der Öffentlichkeit an einer identifizierenden Berichterstattung, veröffentlichen Journalistinnen und Journalisten weder Namen noch andere Angaben, welche die Identifikation einer Person durch Dritte ermöglichen, die nicht zu Familie, sozialem oder beruflichem Umfeld des Betroffenen gehören, also ausschliesslich durch die Medien informiert werden.»

b) Zwischen den Parteien ist unbestritten, dass eine identifizierende Berichterstattung über den prügelnden Juniorentrainer nicht gerechtfertigt wäre. Selbst wenn aber im Einzelfall eine Namensnennung gerechtfertigt ist, lässt sich daraus keine Pflicht zur Namensnennung ableiten (Stellungnahme 25/2005).

c) Ist im Einzelfall eine anonymisierende Berichterstattung angezeigt, liegt es grundsätzlich im Ermessen der Redaktionen, wie sie eine Identifizierbarkeit der Personen vermeiden, über die sie berichten. In diesem Zusammenhang hat der Presserat mehrfach darauf hingewiesen, dass er die leider verbreitete Verwendung der richtigen Initialen und insbesondere die Kombination des richtigen Vornamens mit dem Initial des Nachnamens für höchst problematisch hält, weil dies die Gefahr einer Identifikation in sich birgt (so bereits die Stellungnahmen 3 und 7/1994 sowie 4 und 21/2007, 53/2008, 11/2009). Selbst wenn diese Praxis die Ziffer 7 der «Erklärung» nicht automatisch verletzt, empfiehlt der Presserat deshalb mit Nachdruck, auf entsprechende Angaben zu verzichten und stattdessen beispielsweise ein Pseudonym zu verwenden.

d)
Die Verwendung eines Fantasienamens oder eines real existierenden, verbreiteten Namens wie desjenigen des Beschwerdeführers ist mithin der Verwendung der Verwendung der richtigen Initialen und insbesondere der Kombination des richtigen Vornamens mit dem Initial des Nachnamens grundsätzlich vorzuziehen. Sie verstösst allerdings dann gegen Ziffer 7 der «Erklärung», wenn sie das Publikum eines Mediums dazu verleitet, eine falsche Person – beispielsweise den Beschwerdeführer – zu verdächtigen. Auch wenn die Verwendung seines Namens für den Beschwerdeführer ärgerlich sein mag, erscheint dem Presser
at aber vorliegend eine Verwechslung aufgrund des Hinweises «Name geändert» ausgeschlossen. Denn um die Gefahr einer Verwechslung als real erscheinen zu lassen, müssten wohl auch weitere Informationselemente (beispielsweise die Elemente Fussball-Juniorentrainer und Schiedsrichter) übereinstimmen.

Dies gilt auch für die vom Beschwerdeführer angeführte potenzielle Benachteiligung bei einer Stellenbewerbung. Zum einen ist darauf hinzuweisen, dass die Berichterstattung über den «falschen» X. bereits nach wenigen Tagen nicht mehr zuoberst in der Trefferliste der Google-Suche auftauchte. Und angesichts der grossen Zahl der Träger dieses Namens in der Schweiz – eine Suche bei directories.ch ergibt 80 Treffer – erscheint die Gefahr einer Benachteiligung kaum als real. Ebenso unrealistisch und jedenfalls nicht belegt erscheint zudem die These des Autors der zweiten Beschwerde vom 8. Dezember 2011, der Name sei gar mit Bedacht gewählt worden, um ihm als Politiker zu schaden.

Auch wenn die Verwendung des realen Namens X. zur Anonymisierung des Berichts über einen delinquierenden Fussball-Juniorentrainer mithin nicht gegen Ziffer 7 der «Erklärung» verstösst, sollten die Redaktionen aber berücksichtigen, dass die Verwendung solcher Namen wie vorliegend dazu führen kann, dass sich die echten Träger des Namens in unangenehmer Weise angesprochen fühlen. Der Presserat empfiehlt deshalb, entweder reine Fantasienamen zu verwenden oder sich auf einen Vor- oder Nachnamen zu beschränken.

2.
Die Beschwerdegegner weisen in Bezug auf Ziffer 8 der «Erklärung» mit Recht darauf hin, dass die Gruppe der Träger des Namens X. nicht zu den vor Diskriminierung zu schützenden Minderheiten gehört. Eine Verletzung dieser berufethischen Norm ist schon deshalb zu verneinen.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde gegen den «20 Minuten», «20 Minuten Online» und «Tages-Anzeiger Online»/«Newsnet» wird abgewiesen.

2. «20 Minuten», «20 Minuten Online» und «Tages-Anzeiger Online» haben mit der Verwendung eines richtigen Namens als Pseudonym zur Anonymisierung der Berichte «Juniorentrainer verprügelte Kids» («20 Minuten Online» vom 23. November 2011), «Juniorentrainer verprügelte als brutaler Gangboss Kids» («20 Minuten»), «Terror mit Methode» («Tages-Anzeiger»/«Newsnet») und «Der Prügel-Schiri lebt in zwei Welten» («20 Minuten Online») – alle vom 24. November 2011 – die Ziffern 7 (Persönlichkeitsschutz) und 8 (Diskriminierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.