Nr. 30/2004
Anhörung bei schweren Vorwürfen

(X. SA c. «SonntagsZeitung») Stellungnahme des Schweizer Presserates vom 9. Juli 2004

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I. Sachverhalt

A. Die «SonntagsZeitung» berichtete am 19. Oktober 2003 in einer kurzen Meldung: «Hinterbliebene der Terroranschläge des 11. September 2001 haben in Washington Klage gegen die Genfer Holdinggesellschaft X. eingereicht. Der Finanzfirma wird vorgeworfen, Geldgeschäfte für Al-Qaida-Chef Osama Bin Laden abgewickelt zu haben. (…) Ein Sprecher der X. wies am Freitag sämtliche Vorwürfe gegen die Holdinggesellschaft zurück und bezeichnete sie als Ðhaltlos.?» Der Titel lautete: «US-Klage gegen Genfer Firma», der Untertitel: «Verbindungen zu Bin Laden?»

B. Am 19. November 2003 gelangte die anwaltlich vertretene X. an den Presserat und rügte insbesondere, die «SonntagsZeitung» habe mit dem Artikel vom 19. Oktober 2003 die Anhörungspflicht verletzt (Richtlinie 3.8 zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten»). Der Autor des Artikels, Beat Michel, habe am Donnerstag, 16. Oktober 2004, einen Angestellten der X. per E-Mail kontaktiert und ihm die Frage unterbreitet, ob dieser garantieren könne, dass die terroristischen Organisationen nicht Geld an X. überwiesen hätten. Der Mitarbeiter habe in seiner Antwort vom 17. Oktober 2003 darauf hingewiesen, dass die Direktionsmitglieder, die eingehend zu den Vorwürfen Stellung nehmen könnten, bis anfangs nächste Woche abwesend seien und habe ihn deshalb gebeten, am Montag, 20. Oktober 2003, wieder Kontakt aufzunehmen. Trotz der extrem schweren gegenüber X. erhobenen Vorwürfe habe es der Journalist nicht für notwendig erachtet, vor der Publikation die Stellungnahme der Verantwortlichen abzuwarten.

C. In einer Stellungnahme vom 8. Januar 2004 beantragte die ebenfalls anwaltlich vertretene Redaktion der «SonntagsZeitung», die Beschwerde sei abzuweisen. Die Haltung von X.sei im Artikel zum Ausdruck gekommen. X. habe auch in ihrer kulanterweise publizierten Gegendarstellung nichts anderes gesagt, als dass die Behauptungen der Kläger in Amerika haltlos seien. Im Ergebnis sei X. im Bericht vom 19. Oktober 2004 angemessen zu Wort gekommen. Es gebe keine Verpflichtung, eine Stellungnahme von der Direktion einer Firma einzuholen.

D. Gemäss Art. 10 Abs. 7 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserates kann das Präsidium zu Beschwerden, die in ihren Grundzügen mit vom Presserat bereits früher behandelten Fällen übereinstimmen oder sonstwie von untergeordneter Bedeutung erscheinen, abschliessend Stellung nehmen.

E. Am 20. Januar 2004 erklärte der Presserat den Schriftenwechsel als geschlossen und teilte den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium, bestehend aus dem Präsidenten Peter Studer sowie den Vizepräsidentinnen Sylvie Arsever und Esther Diener-Morscher behandelt.

G. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 9. Juli 2004 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Die Richtlinie 3.8 lautet: «Aus dem Fairnessprinzip und dem ethischen Gebot der Anhörung beider Seiten (ÐAudiatur et altera pars?) leitet sich die Pflicht der Journalistinnen und Journalisten ab, Betroffene vor der Publikation schwerer Vorwürfe anzuhören. Deren Stellungnahme ist im gleichen Medienbericht kurz und fair wiederzugeben. Ausnahmsweise kann auf die Anhörung verzichtet werden, wenn dies durch ein überwiegendes öffentliches Interesse gerechtfertigt ist. Der von schweren Vorwürfen betroffenen Partei muss nicht derselbe Umfang im Bericht zugestanden werden wie der Kritik. Aber die Betroffenen sollen sich zu den schweren Vorwürfen äussern können.»

2. Die beanstandete kurze Meldung der «SonntagsZeitung» vom 19. Oktober 2003 endet mit dem Satz: «Ein Sprecher der X. wies am Freitag sämtliche Vorwürfe gegen die Holdinggesellschaft zurück und bezeichnete sie als Ðhaltlos?». Damit ist vorab festzustellen, dass die X. mit ihrem Dementi grundsätzlich in angemessener Weise zu Wort gekommen ist. Vorbehalten bleibt die nachfolgende Prüfung des Zeitpunkts der Anhörung und der korrekten Wiedergabe des Statements.

3. Zum Zeitpunkt der Durchführung der Anhörung hat der Presserat in der Stellungnahme 54/2002 i.S. SNP c. «dimanche.ch» festgehalten, dass es bei einer Sonntagszeitung gerade noch genüge, wenn die Stellungnahme am Freitag vor der geplanten Publikation verlangt werde. «Allerdings darf die Anhörung nicht zu einer bloss formellen Handlung verkommen. Wenn Medien immer bis in letzter Minute zuwarten, um eine Stellungnahme zu schweren Vorwürfen einzuholen, vermindern sie die Chancen einer fairen Anhörung. Umgekehrt wendet die Gegenseite häufig Vermeidungs- und Nichterreichbarkeitsstrategien an.» (Stellungnahme 9/2003). Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Zeitpunkt der Kontaktnahme des Autoren mit der Firma bereits am Donnerstag, also drei Tage vor der Publikation, hier nicht zu beanstanden.

4. Bezüglich der korrekten Wiedergabe des Statements des Angestellten von X. macht die «SonntagsZeitung» geltend, es treffe zwar zu, dass die X. in der erwähnten E-Mail gebeten habe, mit einer Publikation noch zuzuwarten und die Firma am folgenden Montag noch einmal zu kontaktieren. Redaktor Beat Michel habe aber mit dem gleichen Angestellten telefoniert gehabt und von ihm mündlich das erfahren, was im Bericht am Ende wiedergegeben wurde. Da keine in den Akten enthaltenen Indizien darauf hindeuten, dass dieses vorangehende Telefonat eine blosse Schutzbehauptung der «SonntagsZeitung» wäre, hat der Presserat in diesem Punkt auf deren Darstellung abzustellen. Wenn aber ein Angestellter von X. die gegen diese Firma eingereichte Strafanzeige pauschal als «haltlos» bezeichnete, war die «SonntagsZeitung» jedenfalls so lange nicht verpflichtet, detailliertere Erklärungen von Seiten der X.-Direktion abzuwarten, als sich ihre Berichterstattung auf die Zusammenfassung der Strafanzeige und die Wiedergabe des Dementis in einer kurzen Meldung beschränkte.

III. Feststellung

Die Beschwerde wird abgewiesen.