Nr. 22/2021
Unlautere Informationsbeschaffung / Anhörung bei schweren Vorwürfen

(X. c. «higgs.ch»)

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I. Sachverhalt

A. Am 12. November 2020 veröffentlichte das Online-Wissensmagazin «higgs.ch» einen Artikel von Katrin Schregenberger mit dem Titel «‹Ich werde die 5G-Antennen sabotieren›: Wie Verschwörungstheorien in die Schweiz gelangen». Darin geht die Autorin laut dem Untertitel der Frage nach, woher die «Mythen um den Mobilfunkstandard 5G» kommen und weshalb die Anti-5G-Szene in dubiose Milieus abrutsche.

Nachdem ausführlich dargelegt wurde, wie diverse meist äusserst dubiose Quellen weltweit aus verschiedenen Motiven erfolgreich Verschwörungstheorien in die Diskussion um die neue Mobilfunk-Technologie eingebracht hätten, geht der Artikel auf den Stand der Dinge in der Schweiz ein. Zunächst stellt die Autorin fest, dass das Spektrum von 5G-Gegnern «von radikalen Verschwörungstheoretikern bis zu moderaten Kritikern» reiche. Allerdings seien darunter keine ForscherInnen zu finden, die in einem universitären Rahmen zu 5G forschten. Unter dem Zwischentitel «Die Wissenschaftler dahinter» kommt der Artikel auf 5G-Gegner zu sprechen, «die sich als Wissenschaftler positionieren» und bemerkt einleitend (zur Lage in der Schweiz): «In der Regel handelt es sich hier um moderate Gegner.» Es werden zuerst sieben Wissenschaftler genannt, die einen «Appell der Wissenschaftler» an die EU unterzeichnet haben, von denen aber keine und keiner auf dem Gebiet elektromagnetischer Wellen geforscht habe. Danach ist von einem «anderen Appell» die Rede, den 232 Personen aus der Schweiz als «Wissenschaftler» unterzeichnet hätten, dabei zeige sich: Der grösste Teil von ihnen seien Biologen. Nach dem Hinweis, dass auch einige Politiker der Grünen und der SP dort unterschrieben hätten, wird – als Bekanntesten unter diesen – auf den Basler Grünen X. hingewiesen. Er habe – so wird er zitiert – diesen Appell unterschrieben, «weil ich hoffe, dass man dadurch weltweit sensibler mit Mikrowellen umgeht» – nicht nur spezifisch bezüglich 5G. X. sei Mit-Initiant einer Volksinitiative für niedrigere Strahlenbelastung und Klimatologe. Er verweise auf seine Forschung im Bereich der Mikrowellenausbreitung (mit einem Link dokumentiert), die er in den 1990er-Jahren durchführte. Seine Forschung sei zwar schon eine Weile her, räume er ein, aber die physikalischen Eigenschaften von Mikrowellen hätten sich ja nicht geändert. Zuletzt habe er beim European Microwave Signature Laboratory in Ispra geforscht. Später im Artikel geht die Autorin der Problematik nach, wie sich die Erkenntnisse der Forschung auf den verschiedenen Informationskanälen mit Verschwörungstheorien vermischten.

B. Mit Eingabe vom 16. November 2020 reichte X. Beschwerde gegen den Artikel beim Schweizer Presserat ein. Der Beschwerdeführer (BF) sieht die Ziffer 4 (unlautere Informationsbeschaffung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») verletzt sowie die Richtlinie 3.8 zur «Erklärung» (Anhörung bei schweren Vorwürfen).

In der Hauptsache rügt der Beschwerdeführer, dass er im Kontext von Verschwörungstheorien genannt werde. Schon der Titel des Artikels platziere ihn in diese Problematik, auch dass der von ihm unterzeichnete Appell nicht mit vollem Namen (5G-space-appeal) genannt werde, sondern nur als «anderer Appell» vorgestellt werde, stelle ihn in diesen anderen, falschen Zusammenhang. Er erscheine im ganzen Kontext des Artikels als «Verschwörungstheoretiker».

Die Ziffer 4 der «Erklärung» werde verletzt, weil die Autorin ihn unter einer falschen Prämisse befragt habe: Sie habe ihm geschrieben, sie arbeite an einem Artikel über die 5G-Gegnerschaft in der Schweiz und nehme dabei Bezug auf den 5G-space-appeal. Dazu habe sie zwei Fragen: Weshalb haben Sie den Appell unterzeichnet? Und: Weshalb haben Sie den Appell als «Scientist» unterzeichnet?

Er habe dann nach einem Telefoninterview einen Text unterbreitet erhalten, den er mit vier Korrekturen versehen habe. Dieser sei dann veröffentlicht worden, aber mit einem Unterschied: Sein Hinweis «historische Website» unmittelbar vor dem Link auf seine frühere Forschungsarbeit sei weggelassen worden. Das bedeute, dass der von ihm genehmigte Text wissentlich verändert worden sei. Und der Hinweis auf den «5G-space-appeal» sei ersetzt worden durch ein «anderer Appell». Damit sei er in einen «völlig anderen Zusammenhang gestellt» worden.

Den Verstoss gegen das Gebot, Betroffene anzuhören, sieht der BF darin begründet, dass im ganzen Artikel der schwere Vorwurf im Raum stehe, er sei ein Verschwörungstheoretiker.

Aufgrund all dessen habe er die Autorin gebeten, ihn aus dem Online-Text zu entfernen. Darauf sei sie nicht eingegangen.

C. Gemäss Art. 13 Abs. 1 des Geschäftsreglements behandelt das Presserats-präsidium, bestehend aus Dominique von Burg, Präsident, sowie Casper Selg und Max Trossmann, Vizepräsidenten, Beschwerden, auf die der Presserat nicht eintritt.

D. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 12. April 2021 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägung

Gestützt auf Art. 11 Abs. 1 seines Geschäftsreglements tritt der Presserat nicht auf eine Beschwerde ein, wenn diese offensichtlich unbegründet ist. Das ist hier der Fall und zwar aus folgenden Gründen:

Der BF sieht die Ziffer 4 der «Erklärung» verletzt, «higgs» habe unlautere Methoden bei der Beschaffung von Informationen angewendet. Er beschreibt zunächst den Text, den er mit der Autorin abgesprochen habe und stellt dann fest, dass der Hinweis «historische Website» vor einem besprochenen Link, der ausdrücklich mit «in den 1990er-Jahren» charakterisiert wird, fehle, was einer unlauteren Beschaffung von Information gleichkomme. Das ist nicht der Fall. In der publizierten Version wurden alle vom Beschwerdeführer in den vorgeschlagenen Text eingefügten Ergänzungen und Weglassungen übernommen, mit Ausnahme dieses einen Ausdrucks «historische Website» vor dem entsprechenden Link. Der Hinweis gleich nach dem Link macht aber diesen Hinweis überflüssig, er sagt noch präziser als «historisch», dass es sich um Material der 90er-Jahre handelt. Mit dieser Änderung hat «higgs» keine relevante inhaltliche Änderung am vereinbarten Text, am Original vorgenommen.

«Viel entscheidender» sei im Weiteren, so der BF, dass der Bezug auf den «5G-space-appeal» weggelassen worden sei, auf den die Autorin bei ihrer Anfrage ausdrücklich Bezug genommen habe und dass dieser durch «ein anderer Appell» ersetzt worden sei. Das stelle den Appell in einen völlig anderen Zusammenhang. Auch hier ist ein Verstoss gegen die Ziffer 4 der «Erklärung» nicht zu erkennen. Angesichts des Umstands, dass der Ausdruck «anderer Appell» direkt mit «5G-space-appeal» verlinkt ist und dieser damit sofort einsehbar, sowie der Tatsache, dass zwei Zeilen nach der fraglichen Textstelle eine Grafik aufscheint, in welcher dieser «andere Appell» ausdrücklich als «5G-space-appeal» thematisiert wird, kann von unlauteren Methoden bei der Beschaffung von Information keine Rede sein. Unter beiden Gesichtspunkten ist die Ziffer 4 der «Erklärung» klar nicht verletzt.

Der BF sieht sich, allgemeiner, auch falsch dargestellt, weil er in einem grossen Kontext von «Verschwörungstheoretikern» beschrieben werde. So werde er für die Leserschaft selber zum Verschwörungstheoretiker und hätte zu diesem schweren Vorwurf mindestens befragt werden müssen (Richtlinie 3.8). Auch dieser Vorwurf geht aus der Sicht des Presserates eindeutig fehl: Zwar hat der BF durchaus recht, wenn er sagt, das Thema Verschwörungstheorien bilde einen thematischen Schwerpunkt des Artikels. Dennoch wird er in diesem Text selber nicht in diesen Zusammenhang gerückt: Zum einen wird im fraglichen Abschnitt über Schweizer 5G-Gegner, die sich als Wissenschaftler positionierten, einleitend gesagt: «In der Regel handelt es sich hier um moderate Gegner.» Das sind nicht Verschwörungstheoretiker. Der BF wird dann vorgestellt als einer der Politiker der Grünen und der SP, welche diesen «anderen Appell» unterzeichnet hätten, er sei ehemaliger Präsident der Umwelt-, Verkehrs- und Energiekommission des Basler Grossen Rates, Mit-Initiant der Volksinitiative für niedrigere Strahlenbelastung in der Schweiz, Klimatologe und jemand, der im Bereich der Mikrowellenausbreitung geforscht habe. Es wird auch das Forschungsinstitut erwähnt, in welchem er zuletzt geforscht habe. Der Artikel fährt anschliessend weiter mit der Bemerkung, dass gut 30 dieser Schweizer 5G-Gegner über einen Hochschulabschluss verfügten, Forschungserfahrung hätten und schon Studien publiziert hätten.

Das heisst im Ergebnis: Der Beschwerdeführer wurde nicht als Verschwörungstheoretiker dargestellt. Dieser Vorwurf wurde ihm nicht gemacht, er erscheint als moderater Gegner mit wissenschaftlichem Hintergrund. Entsprechend entfällt auch die Frage, ob es sich bei diesem Vorwurf wirklich um einen «schweren Vorwurf» im Sinne der Praxis des Presserats gehandelt hätte. Die Richtlinie 3.8 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) der «Erklärung» ist nicht verletzt.

Der Bitte des Beschwerdeführers, «entsprechende Schritte» einzuleiten, nachdem dieser Text über ihn ohne sein Einverständnis gedruckt worden sei (er hatte dieses nach der Auseinandersetzung über die genannte Weglassung zurückgezogen), kann der Presserat nicht entsprechen. Zum einen hat er keine Befugnis, den Redaktionen Weisungen zu erteilen, er beurteilt nur die Frage, ob ein Artikel den Vorgaben der «Erklärung» entspricht. Und zum anderen ist die Autorin grundsätzlich frei in der Wahl ihrer Themen, etwa nach den Unterzeichnern eines Appells gegen die 5G-Technologie zu fragen, der BF könnte nur seine eigenen Zitate zurückziehen.

Die Beschwerde ist somit offensichtlich unbegründet.

III. Feststellung

Der Presserat tritt auf die Beschwerde nicht ein.