Nr. 19/2021
Wahrheit / Entstellen von Tatsachen / Berichtigung

(X. c. «Saldo»)

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I. Sachverhalt

A. In seiner Ausgabe 17/2020 vom 21. Oktober 2020 veröffentlichte die KonsumentInnen-Zeitschrift «Saldo» einen Artikel von Christian Gurtner mit dem Titel: «Schwere Unfälle: Nicht überall rücken Notärzte aus». Im Lead wird erklärt, dass die Rettungsdienste in einigen Kantonen ohne Notärzte unterwegs seien, dass also mit einer schlechteren Betreuung rechnen müsse, wer dort verunfalle oder einen Schlaganfall erleide. Im Artikel wird ausgeführt, dass die Kantone Aargau, Bern, Glarus, Graubünden, Schaffhausen und Zug keine Vorschrift hätten, wonach bei Rettungseinsätzen immer ein Notarzt dabei sein müsse. In der Schweiz rückten Rettungsdienste fast 500 Mal pro Tag zu lebensgefährlich Verletzten aus. Dabei sei es wichtig, so wird der Chefarzt des Rettungsdienstes am Kantonsspital Olten zitiert, dass in vielen dieser Fälle «ein Notarzt dabei sein sollte, besonders in komplexen Situationen». Die «Schweizerische Gesellschaft für Notfall- und Rettungsmedizin» wird zitiert mit der Einschätzung: «Für die optimale Behandlung lebensgefährlich verletzter Personen sind Notärzte zwingend.» Dafür brauche es umfassende Kenntnisse, wie sie nur das Medizinstudium vermittle. Rettungssanitäter mit Weiterbildung in Anästhesiepflege, wie sie im Aargau, in Schaffhausen und Zug alleine eingesetzt würden, könnten Patienten zwar stabilisieren und ihren Zustand überwachen, aber sie hätten keine umfassenden medizinischen Kenntnisse. Die Ausbildung zum Rettungssanitäter dauere drei Jahre, die Weiterbildung zum Anästhesiepfleger weitere zwei. Demgegenüber werde eine Pflegefachperson sechs Jahre lang ausgebildet. Der Artikel schildert weiter, wie welche Kantone ihre Equipen zusammensetzen und geht schliesslich darauf ein, dass bei der Besetzung auch die Kosten eine Rolle spielten: Eine genügende Anzahl Notärzte bereit zu halten koste mehr als das bei Sanitätern der Fall sei.

B. Am 23. Oktober 2020 reichte X. Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Er macht geltend, der Artikel verletzte die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Entstellen von Tatsachen) und 5 (Berichtigung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»).

Zur Begründung dieser Vorwürfe verweist der Beschwerdeführer (BF) lediglich auf eine «Beschwerde und Aufforderung zur Richtigstellung», die er gleichentags an «Saldo» geschickt hat. Dort führt er die Verstösse allerdings nicht mit Bezug auf die entsprechenden Bestimmungen der «Erklärung» auf, sondern er stellt der Redaktion zum Teil empörte Fragen und trifft Feststellungen. Er bestreitet etwa, dass Kostenüberlegungen für den Einsatz von Sanitätern eine Rolle spielen. Es gebe keinen Beweis und keine Studie für das Kostenargument. Dass mit einer schlechteren Betreuung rechnen müsse, wer bei einem Unfall oder einem Schlaganfall keinen Notarzt geschickt erhält, stellt der BF infrage mit einer Studie zur Betreuung von Schlaganfällen, die das Gegenteil beweise. Die vermeintlich besser ausgebildeten Notärzte seien häufig nur Assistenzärzte, welche den Fähigkeitsausweis überhaupt erst erwerben wollten. Die Angaben zur Dauer der Ausbildung von Rettungssanitätern und Pflegefachpersonen seien im Artikel falsch angegeben und es würden die Termini «Notärzte» und «Notfallärzte» verwechselt. Zusammenfassend verurteilt der BF in seiner Eingabe an «Saldo» den Bericht als «diffamierend» gegenüber Rettungssanitätern, als Schreckung der Bevölkerung, und er verlangt eine Richtigstellung. In der Beschwerdeschrift stellt er fest, diese Berichtigung sei «bisher nicht erfolgt».

C. Mit Beschwerdeantwort vom 2. Dezember 2020 beantragte der Anwalt der Konsumenteninfo AG, welche «Saldo» herausgibt (Beschwerdegegner, BG), auf die Beschwerde sei nicht einzutreten. Eventuell sei diese abzuweisen.

Den Antrag auf Nichteintreten begründet er damit, dass der BF eine strafrechtliche Klage ins Auge fasse, was einem Parallelverfahren und damit einem Nichteintretensgrund entspräche.

Falls dennoch eingetreten werde, weist «Saldo» einleitend darauf hin, der Artikel habe in der Tat effektiv einen Fehler in der Sache enthalten, was die Dauer der Ausbildung zur Pflegefachperson betreffe. Dieser Fehler sei im Beitrag auf der Website angepasst worden. Darüber hinaus habe der Verband der Schweizer Rettungssanitäter Gelegenheit erhalten, seinen Standpunkt in dieser politisch umstrittenen Angelegenheit (Notarztpflicht bei Rettungseinsätzen?) in der übernächsten Ausgabe von «Saldo» in einem Leserbrief darzulegen.

Im Übrigen aber seien die Beanstandungen des BF alle unzutreffend:
Die Aussage, wonach in einigen Kantonen keine Notärzte mitfahren müssen, um Kosten zu sparen, sei nach wie vor korrekt. Ein Notarzt mit absolviertem Hochschulstudium in Medizin habe eine umfassendere Ausbildung als ein Rettungssanitäter oder Anästhesiepfleger und verdiene auch mehr. Entsprechend sei sein Einsatz auch kostspieliger. Das sei allgemein bekannt und vor allem weise der BF in seiner Eingabe an «Saldo» selber noch ausdrücklich auf diesen Umstand hin.

Auch die Aussage im Satz «Wer dort verunfallt oder zum Beispiel einen Schlaganfall erleidet, muss mit einer schlechteren Betreuung rechnen» sei korrekt. Dazu brauche es auch keine wissenschaftliche Studie, nach welcher der BF frage: Es sei für jedermann einleuchtend, dass in medizinisch besonders gelagerten Fällen ein Arzt den Patienten besser behandeln könne als ein Sanitäter.

Auch die beanstandete Aussage «Notärzte sind besser ausgebildet», dass also Ärzte eine umfassendere Ausbildung haben als Sanitäter, entspreche zum einen dem Allgemeinwissen und sei zum anderen im Artikel von der Schweizerischen Gesellschaft für Notfall- und Rettungsmedizin ausdrücklich bestätigt worden.

Schliesslich sei auch die Aussage über die je nach Kanton variierenden Besetzungen von Rettungsteams letztlich unbestritten.

Entsprechend habe der Artikel weder gegen die Wahrheitspflicht verstossen (Ziffer 1 der «Erklärung») noch wichtige Informationen unterschlagen oder falsch dargestellt (Ziffer 3). Und eine Berichtigung (Ziffer 5) sei bereits vorgenommen worden in dem Punkt, in welchem sie auch angezeigt gewesen sei.

D. Am 21. August 2020 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde vom Presseratspräsidium behandelt, bestehend aus dem Präsidenten Dominique von Burg sowie den Vizepräsidenten Casper Selg und Max Trossmann.

E. Das Presseratspräsidium hat die vorliegende Stellungnahme per 12. April 2021 auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Der Presserat tritt auf die Beschwerde ein. Eine Nachfrage beim Beschwerdeführer hat ergeben, dass er nicht mehr beabsichtige, eine Strafklage einzureichen, entsprechend entfällt der Nichteintretensgrund eines Parallelverfahrens.

2. Der Presserat kann keine Verletzung der Wahrheitspflicht (Ziffer 1 der «Erklärung») erkennen, ausser den falschen Ausführungen zum zeitlichen Aufwand für die Ausbildung von Pflegefachpersonen. Diese wurden in der Folge in der Online-Version korrigiert, entsprechend ist gemäss Richtlinie 5.1 (Berichtigung) in Verbindung mit Art. 11 des Geschäftsreglements in diesem Punkt der Wahrheitspflicht Genüge getan.

3. Dass ausgebildete Ärzte und Ärztinnen eine umfassendere Ausbildung absolviert haben als RettungssanitäterInnen liegt auf der Hand, das wird im Artikel auch von berufener Seite bestätigt. Dass ihr Einsatz kostspieliger ist als derjenige von SanitäterInnen ist ebenso offensichtlich und wird vom Beschwerdeführer auf Seite 4 seiner Eingabe an «Saldo» auch selber ausdrücklich bestätigt. In all diesen zentralen Punkten der Beschwerde liegt keine Verletzung der Ziffern 1 (Wahrheitspflicht) oder 3 (Entstellen von Tatsachen) der «Erklärung» vor. Und der Ziffer 5 (Berichtigung) der «Erklärung» wurde, wie erwähnt, mit der Korrektur im Online-Artikel Genüge getan. (Auf die übrigen Einwände, wie etwa den, dass nicht eine Ambulanz einen Notarzt alarmieren könne, nur die Pfleger darin, geht der Presserat nicht weiter ein.)

4. Die Frage, die den Beschwerdeführer sehr umtreibt, ob es letztlich besser, effizienter oder sinnvoller sei, nur mit ausgebildeten RettungssanitäterInnen auszurücken, die aber jederzeit auf NotfallärzInnen zurückgreifen können, oder ob man immer gleich NotfallärztInnen einbeziehe, ist letztlich eine politische. Der BF hat hier offenbar eine entschiedene Meinung, diese sei ihm unbenommen, aber der Presserat soll und kann sich dazu nicht äussern.

III. Feststellungen

1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.

2. «Saldo» hat mit dem Artikel «Schwere Unfälle: Nicht überall rücken Notärzte aus» vom 21. Oktober 2020 die Ziffern 1 (Wahrheit), 3 (Entstellen von Tatsachen) und 5 (Berichtigungspflicht) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.