Zusammenfassung
Im September 2023 reichten die Universitären Psychiatrischen Dienste UPD Beschwerde beim Presserat gegen die «Berner Zeitung» und den «Bund» ein. Der Titel des Artikels lautete «Verurteilte Ärztin arbeitet trotz Verbot». Im Lead stand: «Universitäre Psychiatrische Dienste Bern. Weil sie einen ehemaligen Patienten sexuell genötigt hat, bekommt eine Psychiatrieärztin ein Tätigkeitsverbot. Die UPD haben sie trotzdem angestellt.» Der Beschwerdeführer monierte, die «Berner Zeitung» habe im Beitrag nicht wahrheitsgemäss berichtet, Fakten und Kommentar nicht sauber getrennt und den Schutz der Privatsphäre sowie die Menschenwürde verletzt.
Der Presserat kommt zum Schluss, dass der Artikel die Wahrheitspflicht, wenn auch teilweise knapp, nicht verletzt habe und die geforderte Trennung von Fakten und Kommentar eingehalten worden sei. Auch in Bezug auf die Menschenwürde kann der Presserat keine Verletzung erkennen. Hingegen kommt er zum Schluss, dass die verurteilte Ärztin für die Öffentlichkeit identifizierbar wurde und diese Identifikation nicht im öffentlichen Interesse gelegen hatte. Damit haben die «Berner Zeitung» und «Der Bund» den Kodex verletzt.
Résumé
En septembre 2023 les Universitäre Psychiatrischen Dienste UPD ont déposé une plainte auprès du Conseil suisse de la presse contre la « Berner Zeitung » et «Der Bund» à propos d’un article intitulé « Verurteilte Ärztin arbeitet trotz Verbot » (la condamnée exerce comme médecin malgré l’interdiction). Le chapeau de l’article mentionnait : « Universitäre Psychiatrische Dienste Bern. Weil sie einen ehemaligen Patienten sexuell genötigt hat, bekommt eine Psychiatrieärztin ein Tätigkeitsverbot. Die UPD haben sie trotzdem angestellt. » (Services psychiatriques universitaires de Berne (SPU). Un médecin en psychiatrie écope d’une interdiction d’exercer une activité pour avoir contraint sexuellement un ancien patient. Les SPU l’engagent malgré tout.) Le plaignant a relevé que la « Berner Zeitung » et « Der Bund » n’avaient pas fait un compte-rendu conforme à la vérité, n’avaient pas strictement séparé les faits de l’appréciation et avaient porté atteinte à la sphère privée et à la dignité de la personne visée dans l’article.
Le Conseil suisse de la presse conclut que l’article ne viole pas, de justesse, l’obligation de rechercher la vérité, et qu’il fait la distinction requise entre information et appréciations. Il ne perçoit pas non plus d’atteinte à la dignité humaine. Il reconnaît par contre que le médecin en question était identifiable et que cette identification n’était pas d’intérêt public. La « Berner Zeitung » et «Der Bund» ont donc enfreint le code de déontologie.
Riassunto
Nel settembre 2023, le Universitäre Psychiatrische Dienste UPD hanno presentato al Consiglio della stampa un reclamo contro la «Berner Zeitung» e «Der Bund» dal titolo «Verurteilte Ärztin arbeitet trotz Verbot» (medico condannato lavora nonostante il divieto). Nell’attacco si leggeva: «Universitäre Psychiatrische Dienste Bern. Weil sie einen ehemaligen Patienten sexuell genötigt hat, bekommt eine Psychiatrieärztin ein Tätigkeitsverbot. Die UPD haben sie trotzdem angestellt.» (Servizi psichiatrici universitari di Berna. A una psichiatra è stato vietato di lavorare perché ha aggredito sessualmente un ex paziente. I servizi psichiatrici universitari l’hanno assunta comunque). Il reclamante ha accusato la «Berner Zeitung» e «Der Bund» di non aver riportato la verità nel loro articolo, di non aver separato correttamente fatti e commenti e di aver violato la protezione della privacy e della dignità umana
Il Consiglio della stampa è giunto alla conclusione che l’articolo non ha violato il dovere di dire la verità, anche se in parte di stretta misura, e che è stata rispettata la necessaria separazione tra fatti e commenti. Il Consiglio della stampa non ha inoltre riscontrato alcuna violazione della dignità umana. Per contro, è giunto alla conclusione che il medico condannato era divenuto identificabile dal pubblico e che questa identificazione non era d’interesse pubblico. Al riguardo, la «Berner Zeitung» e «Der Bund» hanno quindi violato il codice deontologico.
I. Sachverhalt
A. Am 17. Juni 2023 publizierten die «Berner Zeitung» und «Der Bund» einen Artikel von Marius Aschwanden mit dem Titel «Verurteilte Ärztin arbeitet trotz Verbot». Der Lead ergänzt: «Universitäre Psychiatrische Dienste Bern. Weil sie einen ehemaligen Patienten sexuell genötigt hat, bekommt eine Psychiatrieärztin ein Tätigkeitsverbot. Die UPD haben sie trotzdem angestellt.»
Im Zeitungsartikel wird beschrieben, dass die Ärztin K.* (* Name der Redaktion bekannt) wegen verschiedener Delikte verurteilt wurde und ein zehnjähriges Tätigkeitsverbot erhielt. Trotz dieses Urteils arbeite K. weiterhin bei den Universitären Psychiatrischen Diensten Bern (UPD) als Assistenzärztin, was weder das kantonale Gesundheitsamt noch die UPD als Problem erachten würden. K. habe im Kanton Freiburg als Ärztin im Bereich Kinder- und Jugendpsychiatrie gearbeitet, wo sie seit 2014 einen Patienten mit einer Autismus-Spektrum-Störung betreut habe. K. habe sich unsterblich in den Patienten, welcher inzwischen volljährig geworden sei, verliebt und eine sexuelle Beziehung mit ihm gewollt. 2016 sei es zwei Mal zu Oralsex gekommen, wobei der Mann damals nicht mehr ihr Patient gewesen sei. Danach hätten sich die beiden kaum mehr gesehen. 2019 sei die Ärztin vom Bezirksgericht zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt und es sei ein zehnjähriges Tätigkeitsverbot verhängt worden. Dieses Urteil sei von allen Rechtsmittelinstanzen bestätigt worden.
2018 sei K. als Assistenzärztin bei den UPD in der Erwachsenenpsychiatrie eingestellt worden. Zu diesem Zeitpunkt sei K. noch nicht verurteilt gewesen, aber der Kanton Freiburg habe ihr bereits 2017 die Berufsausübungsbewilligung entzogen. Eine solche werde für die Berufsausübung als Arzt benötigt, nicht aber für die Tätigkeit als Assistenzarzt. Das erstinstanzliche Urteil sei ein Jahr nach Anstellung ergangen. Der Autor stellt die Frage, ob die UPD dies erfahren hätten. Die UPD hätten auf die ihr vom Autor gestellten Fragen nur mit einem knappen Statement geantwortet und festgehalten, dass sie Kenntnis hätten vom Entzug der Bewilligung im früheren Fachgebiet von K. sowie vom Bundesgerichtsurteil. Man habe die Situation sorgfältig geprüft und die Anstellungsbedingungen angepasst. Die Einsatzbereiche seien mit dem Urteil des Bundesgerichts konform und die Ärztin sei unter engmaschiger ober- und chefärztlicher Supervision tätig. Ähnlich sehe dies auch das kantonale Gesundheitsamt, welches die Auffassung der UPD teile. Zudem umfasse das Verbot die psychiatrisch-ärztliche Tätigkeit im Umgang mit vulnerablen erwachsenen Personen. Der Einsatzbereich sei so definiert, dass keine Betreuung solcher Patienten erfolge.
Der Autor schreibt, die Patientenorganisation SPO habe festgehalten, dass sich Patienten darauf verlassen können müssten, dass sie nicht von Ärzten betreut würden, über welche ein Tätigkeitsverbot verhängt worden sei. Zudem könne nicht nachvollzogen werden, dass K. noch tätig sei. Noch schwerer vorstellbar wäre die Situation nur dann, wenn K. ein Arzt wäre und der ehemalige Patient eine Patientin. Abschliessend wird im Artikel festgehalten, dass sich die Diskussion heute nach der Revision des relevanten Artikels im Strafrecht erübrigen würde. Das Tätigkeitsverbot gelte nun nicht nur zehn Jahre, sondern lebenslänglich.
B. Die Universitären Psychiatrischen Dienste Bern UPD reichten am 27. Juni 2023 beim Schweizer Presserat eine Beschwerde gegen den Artikel ein. Sie legen dar, dass dieser wesentliche Tatsachen unterschlage und falsch darstelle, was zu einer Rufschädigung führe. Die Beschwerdeführerin sieht Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) zur «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») durch die folgenden Formulierungen verletzt, und zwar weil wesentliche Tatsachen unterschlagen worden seien (die Passagen sind wörtlich aus dem Artikel zitiert):
• Verurteilte Ärztin arbeitet trotz Verbot (Titel)
• Weil sie einen ehemaligen Patienten sexuell genötigt hat, bekommt eine Psychiatrieärztin ein Tätigkeitsverbot. Die UPD haben sie trotzdem angestellt.
• «Patientinnen und Patienten müssen sich darauf verlassen können, dass sie keinen Ärztinnen und Ärzten mit Tätigkeitsverbot gegenüber sitzen.» Offenbar, das zeigt diese Recherche, können sie dies nicht in jedem Fall.
• Bei K. folgte zudem das strafrechtliche Urteil ein Jahr nach der Anstellung. Haben die UPD dies damals erfahren?
Die Beschwerdeführerin hält fest, dass der UPD das Urteil bekannt gewesen sei, das Tätigkeitsverbot nur für den Kanton Freiburg gegolten habe und die UPD das Anstellungsverhältnis aufgrund des tadellosen Verhaltens von K. nicht gekündigt und den Vertrag an alle Auflagen des Urteils angepasst hätten. Der Verfasser des Artikels habe gewusst, dass es sich nicht um ein absolutes, sondern ein partielles Tätigkeitsverbot gehandelt habe, das den Tätigkeitsbereich der Ärztin bei den UPD nicht tangiere.
Weiter moniert die Beschwerdeführerin, dass K. im Artikel zu Unrecht identifizierbar gemacht worden sei, da in der Erwachsenenpsychiatrie der UPD nur eine 50-jährige Assistenzärztin mit dem entsprechenden Hintergrund arbeite. Sie sei daher eindeutig identifizierbar für Fachpersonen, Patienten und UPD-Angestellte.
Die Beschwerdeführerin macht weiter geltend, die Passage, welche festhalte, dass die Situation nur noch schwerer vorstellbar wäre, wenn K. ein Arzt und der ehemalige Patient eine Patientin wäre sowie der Verweis auf das verschärfte Strafrecht verletzten die Richtlinie 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar), 7.4 (Resozialisierung) und 7.5. (Recht auf Vergessen).
Schliesslich hält die Beschwerdeführerin fest, dass die Passage «Oralsex mit Ex-Patienten» Richtline 8.1 (Achtung der Menschenwürde) verletze, da es sich um ein reisserisches, für die wahrheitsgetreue Darstellung unnötiges Detail handle, welches die Menschenwürde der Ärztin und des Patienten tangiere.
C. Am 7. September 2023 nahm der Rechtsdienst der TX Group im Namen der Redaktion «Berner Zeitung» und «Der Bund» (nachfolgend «die Beschwerdegegnerin») zu den Vorwürfen Stellung. Der Titel verletze die Wahrheitspflicht nicht. Selbst wenn die Formulierung überspitzt sei, sei es Fakt, dass K. aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung in Freiburg ein Tätigkeitsverbot erhalten habe und trotz dieses Verbots bei den UPD arbeiten durfte. Auch in Bezug auf die nächsten beiden durch die Beschwerdeführerin gerügten Punkte hält die Redaktion fest, dass keine Verletzung der Wahrheitspflicht vorliege. Die Ärztin habe als Assistenzärztin arbeiten dürfen trotz Verurteilung, was der breiteren Öffentlichkeit nicht intuitiv einleuchte. Entsprechend sei es im öffentlichen Interesse, dass eine faktenbasierte Berichterstattung erfolge, welche dieses Thema aufnehme. Auch in Bezug auf den letzten gerügten Punkt liege keine Verletzung des Wahrheitsgebotes vor. Die Information, dass den UPD das Urteil bekannt war, erkläre sich durch den Satz «Trotz all dem sehen die UPD in der Anstellung kein Problem». Zudem sei das Wahrheitsgebot auch nicht dadurch verletzt, dass man nicht erwähnt habe, dass K. eine einwandfreie Führung attestiert werde und man den Arbeitsvertrag an sämtliche Auflagen des Urteils angepasst habe. Die von der Beschwerdeführerin erwähnte Seite 22 des Bundesgerichtsurteils sei der Beschwerdegegnerin nicht zugestellt worden. Aus dem Urteil sei zudem auch nicht ersichtlich, dass das Tätigkeitsverbot nur für den Kanton Freiburg gelte. Um eine Identifizierung zu verhindern, habe die Beschwerdegegnerin beschlossen, die Suchtpsychiatrie nicht zu erwähnen.
In Bezug auf die Rüge der fehlenden Trennung von Fakten und Kommentar bezüglich des Abschnitts «Noch schwerer vorstellbar wäre das wohl nur, […]» hält die Beschwerdegegnerin fest, dass es nicht darum gehe, einem Gericht zu unterstellen, dass die Geschlechter ungleichbehandelt würden. Vielmehr beziehe sich dieser Teil des Artikels auf eine Aussage der Patientenschützerin. Zudem sei es Sinn und Zweck dieses Abschnittes gewesen, dass sich die gesetzliche Grundlage in der Zwischenzeit verschärft habe.
Zum Vorwurf, diese Passage verletze auch die Richtlinien 7.4 (Gerichtsberichterstattung; Unschuldsvermutung und Resozialisierung) und 7.5 (Recht auf Vergessen), hält die Beschwerdegegnerin fest, dass die Passage das Ziel gehabt habe, auf die Verschärfung der gesetzlichen Grundlage hinzuweisen und nicht das Recht auf Resozialisierung und Vergessen in Abrede stellen würde.
Die TX Group hält weiter fest, der Vorwurf, die Passage «Die Geschichte von K. beginnt im Kanton Freiburg […] als 2014 ein Jugendlicher mit Autismusspektrumsstörung ihr Patient wurde» ermögliche eine Identifizierung, sei nicht gerechtfertigt. Man habe bei der Erstellung des Artikels die Interessen der Beteiligten sehr sorgfältig abgewogen. Diese Abwägung stehe im Einklang mit Richtlinie 7.2 (Identifizierung). Man habe die Angaben zur Assistenzärztin sowie zu ihrem Hintergrund bewusst vage gehalten und eine Initiale gewählt, welche nicht mit ihrem Namen in Verbindung zu bringen sei. Schliesslich sei anzumerken, dass eine mögliche Identifizierung durch Personen, welche sich im beruflichen Umfeld befinden, nicht explizit durch Richtlinie 7.2 geschützt sei.
Schliesslich legt die Beschwerdegegnerin dar, dass die Passage im Text «Oralsex mit Ex-Patienten» kein reisserisches, für die wahrheitsgetreue Darstellung des Falles unnötiges Detail sei und die Menschenwürde von Ärztin und Patient nicht verletzt sei. Die Passage sei notwendig, um die volle Tragweite des Falls zu verdeutlichen und entspreche den Tatsachen.
D. Das Präsidium des Presserats wies den Fall seiner 3. Kammer zu. Ihr gehören Jan Grüebler (Kammerpräsident), Annika Bangerter, Monika Dommann, Christina Neuhaus, Simone Rau, Pascal Tischhauser und Hilary von Arx an.
E. Die 3. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 4. Oktober 2023 sowie auf dem Korrespondenzweg.
II. Erwägungen
1. Die Beschwerdeführerin sieht verschiedene Pflichten der «Erklärung» als verletzt an: die in Ziffer 1 statuierte Wahrheitspflicht, die in Ziffer 2 geschützte Informationsfreiheit, die in Ziffer 7 geschützte Privatsphäre sowie die in Ziffer 8 geschützte Menschenwürde.
Er sieht Ziffer 1 der «Erklärung» durch die folgenden Textpassagen verletzt:
a) Der Titel «Verurteilte Ärztin arbeitet trotz Verbot» verletze die Wahrheitspflicht, da unterschlagen worden sei, dass das Tätigkeitsverbot nur für den Kanton Freiburg gelte. Grundsätzlich darf ein Titel pointiert und scharf formuliert sein. Die Beschwerdegegnerin selbst bezeichnet den Titel gar als überspitzt, jedoch zulässig. Auch der Presserat ist der Auffassung, dass der Titel an sich die Wahrheitspflicht nicht verletzt, da im Zeitpunkt der Publikation ein rechtskräftiges Tätigkeitsverbot vorlag. Kritischer zu beurteilen ist hingegen der Lead («Universitäre Psychiatrische Dienste Bern. Weil sie einen ehemaligen Patienten sexuell genötigt hat, bekommt eine Psychiatrieärztin ein Tätigkeitsverbot. Die UPD haben sie trotzdem angestellt.»). Dieser suggeriert dem Leser/der Leserin, dass eine Psychiatrieärztin angestellt wurde, welche im Zeitpunkt der Anstellung nicht hätte tätig sein dürfen. Erst eine genaue Lektüre des Artikels wirft Licht auf die Tatsache, dass alle Ärzte, die in eigener fachlicher Verantwortung tätig sind, eine Bewilligung benötigen, welche von kantonalen Gesundheitsämtern ausgestellt und im Falle von Verfehlungen von diesen auch wieder entzogen wird. Auch wird im Artikel festgehalten, dass die Anstellung von K. im Jahr 2018 rechtlich unproblematisch war. Nicht erläutert wird hingegen, dass Tätigkeitsverbote als Massnahmen im Sinne des Strafgesetzbuches ausgesprochen werden und im Gegensatz zu Bewilligungsentzügen schweizweit Wirkung entfalten. Aus rein juristischer Perspektive war dies jedoch erst mit Rechtskraft des Bundesgerichtsentscheids der Fall. Der Presserat sieht die Wahrheitspflicht nur als knapp nicht verletzt an. Der Artikel enthält zwar die notwendigen rechtlichen Fakten, jedoch werden diese im Rahmen des Artikels so zerpflückt wiedergegeben, dass es in der Folge an der wünschenswerten Klarheit fehlt. Dem Publikum wird aus der Kombination von Titel und Lead nicht unmittelbar klar, dass die Einstellung und Weiterbeschäftigung von K. durch die UPD rechtens war. Es wird aber auch nicht behauptet, dass die Anstellung und Beschäftigung gegen das Gesetz verstossen hätten.
b) Die Beschwerdeführerin macht weiter geltend, die Zitatwiedergabe «Patientinnen und Patienten müssen sich darauf verlassen können, dass sie keinen Ärztinnen und Ärzten mit Tätigkeitsverbot gegenüber sitzen» und der darauffolgende Kommentar des Autors «Offenbar, das zeigt diese Recherche, können sie dies nicht in jedem Fall» verletzten die Wahrheitspflicht. Das Zitat bezieht sich ganz allgemein auf Tätigkeitsverbote von Ärztinnen und Ärzten und verletzt die Wahrheitspflicht deshalb nicht. Der Kommentar dazu sagt, dass ein Tätigkeitsverbot vorliege. Dass dieses nicht rechtskräftig war, wird an einer anderen Stelle im Artikel klar (siehe dazu Erwägung 1. a) oben).
c) Weiter sieht die Beschwerdeführerin die Wahrheitspflicht verletzt durch die im Text gestellte Frage, ob die UPD vom erstinstanzlichen Urteil erfahren hätten, als dieses ausgesprochen wurde. Dazu schreibt der Autor jedoch im nachfolgenden Absatz, die UPD hätten festgehalten, über den Entzug der Berufsausübungsbewilligung Bescheid gewusst zu haben. Wann die UPD davon erfuhren, wurde im Artikel tatsächlich nicht spezifiziert, die Antwort der UPD wird im Artikel jedoch wiedergegeben. Allein dadurch, dass im Artikel die erwähnte Frage gestellt wird, ist die Wahrheitspflicht nicht verletzt.
d) Schliesslich sieht die Beschwerdeführerin die Wahrheitspflicht auch durch das Nichterwähnen der Tatsache verletzt, dass man den Vertrag nach allen Auflagen des Urteils ausgerichtet habe. Man habe den Arbeitsvertrag so angepasst, dass die auf Seite 22 des Gerichtsurteils erwähnte Behandlung von Suchtpatienten berücksichtigt worden sei. Der Autor hat den UPD einen ausführlichen Fragenkatalog geschickt und die Antworten der UPD im Artikel angemessen wiedergegeben. Unter anderem mit deren Aussage, der Anstellungsvertrag sei «mit dem Urteil des Bundesgerichts konform». Da die UPD in ihrer Antwort nicht erklärt haben, wie der Arbeitsvertrag an das Gerichtsurteil angepasst worden ist, kann dem Autor auch nicht vorgeworfen werden, dass er dies nicht erwähnt hat. Insgesamt ist die Wahrheitspflicht gemäss Ziffer 1 der «Erklärung» nicht verletzt.
2. a) Ziffer 7 der «Erklärung» schützt die Privatsphäre der Menschen. Richtlinie 7.2 (Identifizierung) zur «Erklärung» verlangt im Einzelnen, dass nicht identifizierend über Elemente der Privatsphäre berichtet werden darf, ausser wenn der oder die Betroffene damit einverstanden ist, oder wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse daran besteht. Wann dies nicht der Fall ist, präzisiert Richtlinie 7.2 wie folgt: «Überwiegt das Interesse am Schutz der Privatsphäre das Interesse der Öffentlichkeit an einer identifizierenden Berichterstattung, veröffentlichen Journalistinnen und Journalisten weder Namen noch andere Angaben, welche die Identifikation einer Person durch Dritte ermöglichen, die nicht zu Familie, sozialem oder beruflichem Umfeld des Betroffenen gehören, also ausschliesslich durch die Medien informiert werden.»
Der Artikel gibt folgende Informationen, die zur Identifizierbarkeit von K. beitragen: Frau, Ärztin, im Jahr 2014 «Anfang 40» und tätig im Bereich der Kinder und Jugendpsychiatrie im Kanton Freiburg, Entzug der Berufsausübungsbewilligung im Kanton Freiburg 2017, seit 2018 tätig als Assistenzärztin bei den UPD. Es ist zu fragen, ob diese Angaben zusammen eine Identifizierung von K. über den in Richtlinie 7.2 erwähnten Personenkreis hinaus ermöglichten.
Die Beschwerdegegnerin hält dazu fest, dass man die Angaben zu K. bewusst vage gehalten habe und eine Initiale gewählt habe, welche nicht mit ihrem Namen in Verbindung gebracht werden könne. Zudem sei eine mögliche Identifizierung durch Personen im beruflichen Umfeld nicht explizit durch die Richtlinie geschützt.
Der Presserat kommt zum Schluss, dass K. mit den im Artikel genannten Informationen für einen weiten Kreis von Menschen identifizierbar war. Für die Verständlichkeit hätte es nicht alle diese Informationen gebraucht. Deshalb ist Ziffer 7 (Richtlinie 7.2) verletzt.
b) In Bezug auf denselben Abschnitt macht die Beschwerdeführerin zudem geltend, dass die Richtlinien 7.4 (Gerichtsberichterstattung; Unschuldsvermutung und Resozialisierung) und 7.5 (Recht auf Vergessen) verletzt würden. Richtlinie 7.4 hält folgendes fest: «Bei der Gerichtsberichterstattung wägen Journalistinnen und Journalisten Namensnennung und identifizierende Berichterstattung besonders sorgfältig ab. Sie tragen der Unschuldsvermutung Rechnung. Nach einer Verurteilung nehmen sie Rücksicht auf die Familie und die Angehörigen der/des Verurteilten, wie auch auf die Chancen zur Resozialisierung.» Die Berichterstattung war, wie oben dargelegt, identifizierend. Allerdings handelt es sich um keinen Gerichtsbericht im eigentlichen Sinn, sondern um die Folgen eines Gerichtsurteils, genauer ein Tätigkeitsverbot infolge eines Gerichtsurteils. Die Beschwerdegegnerin führt dazu aus, die Passage habe das Ziel gehabt, auf die Verschärfung der gesetzlichen Grundlage hinzuweisen und würde das Recht auf Resozialisierung und Vergessen nicht in Abrede stellen. Dies ist letztlich unerheblich, denn Richtlinie 7.4 verlangt klar eine Rücksichtnahme auf Familie und Angehörige einer verurteilten Person sowie auf die Chancen einer Resozialisierung. Eine identifizierende Berichterstattung trägt dieser Anforderung nicht Rechnung, Richtlinie 7.4 ist somit verletzt.
Nicht verletzt ist hingegen das Recht auf Vergessen (Richtlinie 7.5), da zwischen dem Bericht und dem Urteil ein Zusammenhang besteht und die Verurteilung von K. noch nicht lange zurückliegt.
3. Die Beschwerdeführerin sieht durch die Aussagen «Was, wenn es ein Arzt wäre?» und den Hinweis darauf, dass inzwischen ein solches Tätigkeitsverbot nicht für zehn Jahre, sondern lebenslänglich gilt, die Richtlinie 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) verletzt. Es liege dabei eine Vermischung von für den Fall nichtzutreffenden Fakten (später geänderte Gesetzeslage) und spekulativen Unterstellungen (Ungleichbehandlung der Geschlechter) mit faktenbasierter Berichterstattung vor. Die Beschwerdegegnerin hält dazu fest, dass die Bemerkung, wonach es nur noch schwerer vorstellbar wäre, wenn das Geschlecht der Ärztin männlich gewesen wäre, sich auf die Aussage der Patientenschützerin bezogen habe und man auf eine Verschärfung der Gesetzeslage habe hinweisen wollen. Das Problem dieses Abschnitts ist nicht darin zu sehen, dass eine Trennung von Fakten und Kommentar fehlt, sondern dass rein optisch dem Leser nicht klar ist, ob es sich beim Satz «Noch schwerer vorstellbar wäre das wohl nur, wenn die Ärztin ein Arzt wäre und der ehemalige Patient eine Patientin» um die Wiedergabe einer Aussage der Patientenschützerin oder um einen Kommentar handelt. Damit liegt zwar keine Verletzung von Richtline 2.3 vor, jedoch wäre es wünschenswert, dass Zitierungen klar erkennbar gemacht werden, um Missverständnisse zu vermeiden. Die Erwähnung der veränderten Gesetzeslage war durchaus relevant. Im Ergebnis ist damit Richtlinie 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) nicht verletzt.
4. Schliesslich moniert die Beschwerdeführerin, die Passage im Text «Oralsex mit Ex-Patienten» sei ein reisserisches, für die wahrheitsgetreue Darstellung des Falls unnötiges Detail, das die Menschenwürde von K. sowie auch jene ihres ehemaligen Patienten verletze. Die Redaktion bestreitet, dass die Menschenwürde verletzt werde, die Passage verdeutliche vielmehr die Tragweite des Falls. Zwar kann die Notwendigkeit dieser Passage für den Zeitungsartikel zur Diskussion gestellt werden, allerdings ist diese Tatsache auch dem publizierten Bundesgerichtsentscheid zu entnehmen und gibt die tatsächlichen Ereignisse wieder. Im Ergebnis ist die Menschenwürde (Richtlinie 8.1) nicht verletzt.
III. Feststellungen
1. Der Presserat heisst die Beschwerde teilweise gut.
2. Die «Berner Zeitung» respektive «Der Bund» haben mit dem Artikel «Verurteilte Ärztin arbeitet trotz Verbot» vom 17. Juni 2023 die Ziffer 7 (Schutz der Privatsphäre) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.
3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.