Nr. 1/2019
Vervielfachung der Informationsseiten im Internet: Zuständigkeit des Presserats

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Zusammenfassung

In seiner Stellungnahme 1/2019 hält der Presserat fest, dass sich seine Zuständigkeit auf alle Publikationen journalistischer Art erstreckt, unabhängig von Verbreitungsform und Periodizität. Als Veröffentlichung journalistischen Charakters, schreibt der Presserat auf der Grundlage seines früheren Grundsatzentscheids 36/2000, gilt jede Publikation, die aus einer Tätigkeit resultiert, welche «aus unabhängiger Warte Material sammelt, auswählt, bearbeitet, interpretiert oder kommentiert». Der Presserat weist darauf hin, dass damit reine Propagandainhalte ausgeschlossen sind.

Résumé

Dans sa prise de position 1/2019, le Conseil de la presse se déclare compétent pour toute publication de caractère journalistique, quel qu’en soit le support et la périodicité. Une publication de caractère journalistique, écrit le Conseil de la presse en s’appuyant sur sa prise de position fondamentale antérieure 36/2000, «s’entend de toute publication résultant d’un travail consistant, dans une démarche indépendante, à récolter, choisir, mettre en forme, interpréter ou commenter des informations liées à l’actualité». Le Conseil de la presse précise que cela exclut les contenus de pure propagande.

Riassunto

Nella sua presa di posizione 1/2019 il Consiglio della stampa ha descritto la propria competenza come estesa ad ogni pubblicazione di carattere giornalistico, indipendentemente da quale ne sia il supporto o la periodicità. Per carattere giornalistico – definito nella presa di posizione 36/2000 – s’intende il prodotto di una ricerca indipendente, nella selezione, nella scelta della forma, nell’interpretazione e nel commento di un’informazione legata all’attualità, escludendo i contenuti di pura propaganda.

I. Sachverhalt

A. Mit dem Aufkommen des Internets und der sozialen Medien hat sich das Gesicht der Medien radikal verändert. Diese sind nicht nur auf allen Verbreitungskanälen verfügbar, sondern es speisen auch viele (journalistische oder nicht-journalistische) Informationswebseiten und Propagandaseiten die öffentliche Debatte. Darüber hinaus können Journalisten die Öffentlichkeit selbst direkt ansprechen, dies ohne den Weg über Medien zu benützen. Diese Entwicklungen stellen die Frage nach dem Zuständigkeitsbereich des Presserats neu.

B. Der Stiftungsrat des Schweizer Presserats hat an seiner Sitzung vom 21. November 2017 den Presserat beauftragt, gegebenenfalls Änderungen des Geschäftsreglements des Presserats vorzuschlagen, um die Zuständigkeit des Presserats klarer zu definieren.

C. An seiner Sitzung vom 26. Januar 2018 hat das Präsidium des Presserats beschlossen, die Prüfung dieser Frage einer Arbeitsgruppe zu übertragen. Die Arbeitsgruppe setzte sich – nach Konsultation der Mitglieder des Presserats – wie folgt zusammen: Michel Bührer, Jan Grüebler, Michael Herzka, Denis Masmejan, David Spinnler, Dominique von Burg (Vorsitz) und Ursina Wey.

D. Die Arbeitsgruppe hat in ihren Sitzungen vom 12. März und 7. Mai 2018 zwei grundsätzliche Stellungnahmen erarbeitet. Die eine bezieht sich auf Journalisten in sozialen Netzwerken, die andere auf Informationsseiten im Internet.

E. Die vorliegende Stellungnahme, die vom Plenum des Presserats am 24. Mai 2018 und auf dem Korrespondenzweg verabschiedet wurde, ist der Zuständigkeit des Presserats für Informationsseiten im Internet gewidmet.

II. Erwägungen

1. Artikel 2 des Geschäftsreglements des Schweizer Presserats definiert dessen Zuständigkeitsbereich wie folgt: «Die Zuständigkeit des Schweizer Presserats erstreckt sich auf den redaktionellen Teil oder damit zusammenhängende berufsethische Fragen sämtlicher öffentlicher, periodischer und/oder auf die Aktualität bezogener Medien.» Doch mit dem Aufkommen des Internets und der Multiplikation von Informations- und Kommentarseiten im Grenzbereich zwischen Journalismus, Aktivismus, Propaganda oder der einfachen Ausübung der Meinungsfreiheit haben sich die Konturen des Medienbegriffs verwischt. In der Folge ist auch die Zuständigkeit des Presserats unscharf geworden. Ziel dieser Stellungnahme ist es, die Situation zu klären. Der Presserat hatte im Übrigen bereits darauf hingewiesen, dass er beabsichtigt, seine Praxis neu zu bewerten und zu prüfen, ob eine Präzisierung seines Geschäftsreglements erforderlich ist (Stellungnahme 48/2017).

2. Bereits im Jahr 2000 hatte der Presserat seine Zuständigkeit für Veröffentlichungen im Internet geprüft und anerkannt (36/2000). Er war der Ansicht, dass es keinen Grund gibt, eine Veröffentlichung von seiner Überprüfung auszuschliessen, nur weil sie rein digital war. Diese Haltung ist auch heute noch uneingeschränkt gültig. Die Digitalisierung der Medien macht sie legitimer denn je. Die Verbreitungsform ist gleichgültig geworden und kann daher nicht als Kriterium für die Zuständigkeit des Presserats herangezogen werden.

3. Hingegen hat sich der Presserat nie für legitimiert erachtet, alles zu beurteilen, was im Internet veröffentlicht wird (62/2008, 48/2017). Eine Überprüfung der Einhaltung der berufsethischen Regeln ist nur sinnvoll für Publikationen, die mit journalistischer Arbeitsweise verfasst wurden. Eine solche Abgrenzung schliesst die grosse Mehrheit dessen, was im Internet veröffentlicht wird, vom Zuständigkeitsbereich dieses Gremiums aus. Sich teilweise auf die Präambel der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») abstützend hat der Presserat die journalistische Tätigkeit wie folgt definiert: «Journalismus bezeichnet die Tätigkeit von Personen, die aus unabhängiger Warte Material sammeln, auswählen und bearbeiten, es allenfalls auch präzisieren, interpretieren und kommentieren und es in verständlicher Form dem Publikum über ein öffentliches und periodisch-aktuelles Medium zur Information oder zur Unterhaltung vermitteln» (36/2000, 1/2006).

4. In Fällen, in denen die journalistische Qualifikation einer Publikation ungewiss war, prüfte der Presserat, ob die für die betreffende Veröffentlichung Verantwortlichen selbst erklärten, die Berufsregeln zu befolgen oder auf andere Weise die Geltung der Berufsregeln für sich beanspruchten. Wenn dies der Fall war, bejahte er seine Zuständigkeit. So erklärte er sich für zuständig, sich zum Artikel in der Zeitung einer Kirchgemeinde zu äussern, weil die Zeitung festhielt, nach professionellen Standards zu arbeiten und sie zudem über eine redaktionelle Charta verfügte (21/2011). Er bejahte seine Zuständigkeit auch bezüglich einer Werbebeilage, die Publireportagen und redaktionelle Inhalte kombiniert, da der Verlag in seiner Beschwerdeantwort betont hatte, nach journalistischen Standards zu arbeiten (7/2016).

5. Die massive Entwicklung des öffentlichen Austauschs im Internet, über Websites, soziale Netzwerke, Plattformen, Blogs oder Newsletter rechtfertigt es, die Frage erneut umfassend zu prüfen. Der Einfluss der neuen Medien auf die Öffentlichkeit, insbesondere bei Wahlen und Abstimmungen, sowie die Zunahme von «Fake News» und die daraus resultierenden Risiken der Manipulation der öffentlichen Meinung stellen die journalistische Ethik, wie sie bisher konzipiert und praktiziert wurde, auf die Probe. Der Presserat bezieht in seine Überlegungen die Massnahmen ein, welche eine Antwort auf die Entgleisungen geben sollen, sei es auf legislativer Ebene (Deutschland, Frankreich), sei es durch die Medien selbst (wie der Journalismus-Trust-Initiative) oder durch die Webunternehmen, insbesondere Facebook.

6. Vor diesem Hintergrund erscheint der Presserat als eines der Hauptinstrumente, welche sich der Berufsstand gegeben hat, um die Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit der Information der Öffentlichkeit zu gewährleisten. Das gilt im digitalen Zeitalter genauso, wenn nicht gar mehr als in der Vergangenheit. Auch wenn die digitale Revolution die Grenzen des Journalismus viel durchlässiger gemacht hat – genannt sei beispielsweise der «Bürgerjournalismus» – ist die Notwendigkeit einer dem Journalismus eigenen Berufsethik unbestreitbar.

7. Aus Sicht des Presserats ist das Hauptkriterium für seine Zuständigkeit der journalistische Charakter einer Publikation, wie unter Ziffer 3 beschrieben. Weder der Besitz eines Presseausweises noch die Erzielung eines Einkommens überwiegend aus journalistischer Tätigkeit oder andere quantitative Kriterien können als alleinige Referenz dienen. Die freiwillige Unterstellung unter die Regeln der «Erklärung», wie sie der Presserat bisweilen in Betracht gezogen hat, ist ebenfalls nicht ausreichend, und sei es nur, weil dies zur Folge hätte, dass diejenige Person, die behauptet, nicht der «Erklärung» zu unterstehen, dieser e contrario auch nicht unterstehen würde.

8. Journalistischen Charakter hat somit jede Veröffentlichung, welche Ergebnis journalistischer Tätigkeit ist. Reine Propagandainhalte sind somit ausgeschlossen. Grundsätzlich ausgeschlossen sind ebenfalls Veröffentlichungen von politischen Parteien, Wirtschaftsorganisationen, Vereinen und Verbänden, wenn der strittige Inhalt militante oder ideologische Anliegen ohne Rücksicht auf Unabhängigkeit oder Pluralismus wiederspiegelt.

III. Feststellungen

1. Die Zuständigkeit des Schweizer Presserates erstreckt sich auf alle Publikationen journalistischer Art, unabhängig von Verbreitungsform und Periodizität.

2. Als Veröffentlichung mit journalistischem Charakter gilt jede Publikation, die aus einer Tätigkeit resultiert, welche aus unabhängiger Warte Material sammelt, auswählt, formatiert, interpretiert oder kommentiert. Reine Propagandainhalte sind damit ausgeschlossen.