Nr. 63/2010
Löschung von Online-Inhalten / Unschuldsvermutung

(PNOS Basel c. «OnlineReports»)

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I. Sachverhalt

A. Unter dem Titel «Immer noch hat die PNOS ihren Hetzartikel nicht gelöscht» berichtete Ruedi Suter am 3. August 2010 im Nachrichtenportal «OnlineReports», über den Umgang der Sektion Basel der Partei national orientierter Schweizer (PNOS) mit der Anordnung des Strafgerichts Basel, einen rassendiskriminierenden Artikel von ihrer Website zu entfernen. Der Lead lautet: «Er kann nach wie vor im Internet gelesen werden: Der rassendiskriminierende Kommentar des Nationalisten Philippe Eglin über die ‹Lügen um Anne Frank›. Das hat OnlineReports festgemacht. Die Basler Staatsanwaltschaft fordert nun die sofortige und totale Entfernung des Textes.»

Dem Lauftext ist dann zu entnehmen, Philippe Eglin habe unmittelbar nach der Gerichtsverhandlung vom 21. Juli 2010 zuerst gezögert, ob er seinen anstössigen Kommentar – wie vom Strafgericht unmissverständlich gefordert – tatsächlich lösche. Bereits am gleichen Abend sei der Text dann aber von der Homepage verschwunden gewesen. «Auf der Homepage gelöscht heisst aber noch lange nicht, dass etwas auch im World Wide Web gelöscht ist (…) OnlineReports stiess während einer Recherche ohne Probleme – auf den ‹gelöschten› Kommentar Eglins. Und zwar auf der Supersuchmaschine Google. Diese erklärt sich selbst: ‹Während Google das gesamte Web durchforstet, erstellt und speichert es von jeder Website einen ‹Schnappschuss›, der im sogenannten ‹Cache› abgelegt wird. Dort steht nun über der von der Basler Justiz geächteten Seite: ‹Es handelt sich dabei um ein Abbild der Seite, wie diese am 22. Mai 2010 04:49:57 angezeigt wurde. Die aktuelle Seite sieht mittlerweile eventuell anders aus.» Wer auf die aktivierte ‹aktuelle Seite› klicke, sehe nun tatsächlich ein leeres Textfeld.

Um auch das Cache von Google zu löschen und damit den Inhalt aus den Suchergebnissen der Suchmaschine zu entfernen, müsse der Onlineinhalt laut Google «zuerst aus dem Web entfernt oder für Suchmaschinen blockiert werden». Entsprechend müsste also die PNOS als Betreiberin der Seite dafür sorgen, dass der rassistische Kommentar im Google-Cache nicht mehr auftauche. «Der Inhaber der Website, so zeigt Google die dazu möglichen Wege für alle nachweisbar auf, könne ‹die betreffenden Informationen von der Seite entfernen, die Seite ganz aus dem Web nehmen oder angeben, dass ihre Suchmaschine die Seite weder crawlen noch indexieren soll›. Das dürfte auch Eglin, Herrmann und Kameraden bekannt sein.»

Nun wolle die Basler Staatsanwaltschaft gestützt auf die Recherche von «OnlineReports» Motivationshilfe leisten und die PNOS dazu veranlassen, den Artikel beim Provider löschen zu lassen.

B. Am 4. August 2010 beschwerte sich Philippe Eglin namens der PNOS Basel beim Presserat über den obengenannten Bericht, der ihm fälschlicherweise böse Absichten unterstelle und in mehrfacher Hinsicht gegen die Ziffer 3 (Unterschlagung von wichtigen Informationen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstosse.

Der Titel «Immer noch hat die PNOS ihren Hetzartikel nicht gelöscht» sei offensichtlich unwahr, stelle doch der Bericht im Lauftext selber fest, dass der umstrittene Kommentar «noch am gleichen Abend» von der Homepage verschwunden sei.

Ebenso unwahr sei die weitere Behauptung des Autors, die PNOS sei dafür verantwortlich, dass der Artikel im Google Cache immer noch verfügbar ist. Mit der Entfernung des Textes von der Website sei die von Google aufgestellte Bedingung erfüllt, damit der Text beim nächsten Suchlauf von Google nicht mehr gefunden und das bisherige Cache überschrieben werde. Die PNOS habe keinen Einfluss darauf, wie häufig ihre Website von Google nach neuen Inhalten durchsucht werde.

Schliesslich beanstandet Philippe Eglin unter Berufung auf die Unschuldsvermutung, der Text unterschlage, dass das gegen ihn gerichtete Urteil noch nicht rechtskräftig sei, da er das Verfahren an die nächste Instanz weitergezogen habe. Dies habe die PNOS bereits am 21. Juli 2010 in einer Medienmitteilung kommuniziert.

C. Am 16. September 2010 wies Chefredaktor Peter Knechtli die Beschwerde namens der Redaktion von «OnlineReports» als unbegründet zurück. Autor Ruedi Suter habe sich bei Internetspezialisten und in den Gebrauchsanweisungen von Google ausgiebig informiert und sei dabei zum Schluss gekommen, dass die PNOS ihren «vom Basler Strafgericht als ‹rassendiskriminierend› eingestuften Artikel nicht, wie vom Gericht gefordert, vollständig gelöscht hat». In der Tat sei der Artikel über das Google-Cache nach wie vor abrufbar gewesen. Der Autor habe dabei lediglich aus der Gebrauchsanweisung von Google für das vollständige Löschen von Inhalten aus dem «Google-Bereich» zitiert. «Dies kann durch den Inhaber der Website erreicht werden.»

«OnlineReports» habe zudem zu keiner Zeit behauptet, das erstinstanzliche Urteil sei rechtskräftig. Die der Beschwerde beigelegte Medienmitteilung sei «OnlineReports» nicht zugestellt worden.

D. Der Presserat wies die Beschwerde der 1. Kammer zu, der Edy Salmina (Kammerpräsident), Luisa Ghiringhelli Mazza, Pia Horlacher, Klaus Lange, Philip Kübler, Sonja Schmidmeister und Francesca Snider (Mitglieder) angehören.

E. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 16. Dezember 2010 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Die Beschwerde beruft sich explizit auf die Ziffer 3 der «Erklärung», macht aber inhaltlich in erster Linie geltend, ein Teil der veröffentlichten Informationen sei «unwahr» (Ziffer 1 der «Erklärung»). Der Presserat behandelt diese Beanstandungen deshalb unter dem Gesichtspunkt der Wahrheitspflicht. Soweit sich die PNOS Basel beziehungsweise Philippe Eglin zudem auf die Unschuldsvermutung berufen, prüft der Presserat diese Rüge unter dem Gesichtspunkt der Ziffer 7 zur «Erklärung»

2. a) Die Beschwerdeführerin hält den Titel des Berichts der Beschwerdegegnerin für irreführend. «Immer noch hat die PNOS ihren Hetzartikel nicht gelöscht» – das erwecke den unwahren Eindruck, dass sich die Beschwerdeführerin widersetze, den Text zu löschen. Darin liege eine Entstellung der Tatsachen. Unbestritten sei nämlich, dass der Text auf der PNOS-Website gelöscht worden sei. Was die Beschwerdegegnerin sagen wollte, komme nicht im Titel, sondern erst im Text zum Ausdruck: Über Google sei der inkriminierte Text immer noch abrufbar, weil die Suchmaschine Webseiten in einem Zwischenspeicher (Cache) ablege und im Web zur Verfügung stelle.

b) Der Presserat hat sich mehrfach mit der Zu- und Überspitzung von Tatsachenbehauptungen in Titeln und Schlagzeilen auseinandergesetzt (Stellungnahmen 31/2006, 58/2007, 30/2008). Er prüft dabei, ob die Gefahr besteht, dass Leserinnen und Leser, bei denen nicht vorausgesetzt werden kann, dass sie neben Titel und Lead auch den Lauftext eines Artikels von A-Z aufmerksam lesen, in relevanter Weise getäuscht werden. Die Täuschung besteht meist darin, dass die Leserschaft aufgrund überspitzter Schlagzeilen und Titel von Tatsachen ausgeht, die so durch die journalistische Recherche nicht oder zumindest nicht eindeutig erstellt sind.

c) Der Presserat teilt die Einschätzung der Beschwerde, dass der beanstandete Titel irreführend wirken kann. Wer bloss den Titel und den Lead liest, erhält den falschen Eindruck, die PNOS Basel mache den rassendiskriminierenden Text auf ihrer Website nach wie vor zugänglich. Tatsächlich wurde der Artikel aber offenbar noch am Tag des erstinstanzlichen Gerichtsurteils von der Website entfernt. Im Gegensatz zum Titel erhebt «OnlineReports» im Lauftext denn auch «bloss» den Vorwurf, die PNOS habe nichts oder jedenfalls zu wenig unternommen, damit der Text zusätzlich auch aus dem Cache der dominierenden Web-Suchmaschine Google verschwindet. Für den Presserat hat «Online-Reports» durch den überspitzten Titel deshalb die Ziffer 1 der «Erklärung» verletzt.

3. a) Hat die PNOS Basel mit der Löschung des Textes auf der Website das ihr Zumutbare getan oder hätte sie, wie das der beanstandete Text behauptet und auch die Beschwerdeantwort von «OnlineReports» geltend macht, mehr tun können (und müssen), um zu verhindern, dass der umstrittene Kommentar von Philippe Eglin Anfang August 2010 nach wie vor via den Speicher der Suchmaschine Google im Internet zu finden war?

b) Die 1. Kammer hat diesen Punkt kontrovers diskutiert, war sich aber gestützt auf die von den Parteien eingereichten Unterlagen und angesichts fehlender eigener technischer Fachkenntnisse zu wenig sicher, um diese Frage abschliessend zu beantworten. Zwar ist der PNOS Basel zuzugestehen, dass sie mit der Löschung des Artikels von der eigenen Website einen gewichtigen Schritt unternommen hat. Gemäss den Angaben von Google sollte der gelöschte Inhalt nach dem nächsten Suchlauf des Webcrawlers nicht mehr im Google-Index enthalten sein. Laut der gleichen Anleitung von Google («Inhalte aus Google entfernen: Eine Seite oder Website aus den Suchergebnissen von Google entfernen») kann der Betreiber einer Website dieses Verfahren jedoch mit Hilfe eines von Google bereitgestellten Tools beschleunigen. Insoweit ist für den Presserat deshalb nicht erstellt, dass der Vorwurf von «OnlineReports», die PNOS Basel hätte sich über die Entfernung des Textes von der Website hinaus auch um die umgehende Löschung des Google-Caches kümmern müssen, die Ziffer 1 der «Erklärung» verletzt, wenn auch an dieser Stelle offen bleibt, ob dies tatsächlich wesentlich rascher zum Ziel geführt hätte.

Die 3. Kammer des Presserates ist zur Zeit daran, das Thema «Gegendarstellung, Berichtigung und Löschung von Onlineinhalten» grundsätzlich abzuklären und hat dazu bereits Hearings mit Experten aus verschiedenen Bereichen durchgeführt. Gestützt auf diese Hearings wird der Presserat in der ersten Jahreshälfte 2011 eine grundsätzliche Stellungnahme verabschieden und veröffentlichen.

4. a) Gemäss der Richtlinie 7.4 zur «Erklärung» (vormals Richtlinie 7.5) ist bei der Gerichtsberichterstattung der Unschuldsvermutung Rechnung zu tragen. Im Vordergrund steht dabei der Schutz der Persönlichkeit des/der von einer Medienberichterstattung Betroffenen. Entsprechend verlangt der Presserat in seiner Praxis zu dieser Richtlinie (vgl. dazu z.B. die Stellungnahme 21/2007 und zuletzt die Stellungnahmen 26 und 40/2010), dass bei der Erwähnung eines Strafverfahrens oder einer strafrechtlichen Verurteilung in einem Medienbericht nicht vorverurteilend zu Unrecht bereits eine (rechtskräftige) Verurteilung unterstellt wird.

b) Das Urteil des Strafgerichts Basel steht zwar nicht im Mittelpunkt des Artikels von «OnlineReports» und es handelt sich auch nicht um eine Gerichtsberichterstattung. Der Lauftext beginnt jedoch mit der Aussage: «Das war taktisch: Als der wegen Rassendiskriminierung eben verurteilte Philippe Eglin (…)». Das Urteil bildet zudem die Grundlage für die gerichtliche Anordnung, den rassendiskriminierenden Kommentar von der Website zu entfernen. Der Bericht hätte deshalb vermerken sollen, dass das Urteil nicht rechtskräftig ist. «OnlineReports» kann sich dabei nicht darauf berufen, es sei von der PNOS Basel nicht mit deren Medienmitteilung vom 21. Juli 2010 bedient worden, zumal andere Medien, beispielsweise die «Basler Zeitung» und die «Basellandschaftliche Zeitung», bereits am 22. Juli berichteten, Eglin ziehe das Urteil weiter. Vielmehr wäre es Aufgabe des Newsportals gewesen, diesen Punkt von sich aus zu recherchieren.

III. Feststellungen

1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.

2. «OnlineReports» hat durch den überspitzten Titel «Immer noch hat die PNOS ihren Hetzartikel nicht gelöscht» des Berichts vom 3. August 2010 die Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt.

3. Das Newsportal wäre zudem verpflichtet gewesen, im Artikel darauf hinzuwiesen, dass Philipep Eglin das Urteil des Strafgerichts Basel vom 21. Juli 2010 an das Obergericht weitergezogen hat (Ziffer 7 der «Erklärung» – Unschuldsvermutung).

4. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.

5. Mit dem Vorwurf, die PNOS Basel habe sich nicht umfassend genug um die Löschung des von Philippe Eglin ins Netz gestellten rassendiskriminierenden Texts aus dem Google Cache gekümmert, hat «OnlineReports» die Ziffer 1 der «Erklärung» (Wahrheit) nicht verletzt.