Nr. 28/2025
Wahrheitssuche / Trennung von Fakten und Kommentar

(Verein Zentralwäscherei c. «Neue Zürcher Zeitung»)

Drucken

Zusammenfassung

Die «Neue Zürcher Zeitung» (NZZ) hat den Zürcher Verein Zentralwäscherei als «Plattform für Fundamentalisten und Terrorsympathisanten» bezeichnet – gemäss Praxis des Presserats ein schwerer Vorwurf. Dagegen ging eine Beschwerde des Vereins ein. Die NZZ hatte schon früher kritisch über den Verein berichtet. Beim besagten Artikel ist aber unklar, worauf sich der Vorwurf bezieht, weil die NZZ ihre früher publizierte, differenziertere Darstellung der Zentralwäscherei nicht berücksichtigt hat. Der Presserat hält in seinem Entscheid fest, dass die relevanten Fakten, die einen schweren Vorwurf belegen, im jeweiligen Beitrag selber – mindestens kurz und knapp – erwähnt werden müssen. Ein Link in der Online-Version des Artikels reicht als Faktenbeleg ebenfalls nicht aus, weil man nicht davon ausgehen kann, dass Onlineleser und -leserinnen den Link auch anklicken. Zudem müsste der relevanteste und aktuellste Beitrag zum Thema verlinkt werden. Der Presserat hat die Beschwerde teilweise gutgeheissen.

Résumé

La « Neue Zürcher Zeitung » (NZZ) a qualifié l’association zurichoise Zentralwäscherei de « Plattform für Fundamentalisten und Terrorsympathisanten » (plateforme pour les fondamentalistes et les sympathisants du terrorisme). Il s’agit de reproches graves selon la pratique du Conseil suisse de la presse, qui a été saisi d’une plainte de l’association. La NZZ s’était déjà montrée critique à l’égard de celle-ci précédemment. Dans l’article qui fait l’objet de la plainte, il n’est cependant pas possible de déterminer à quoi se rapportent les reproches, car la NZZ n’a pas rendu compte de la présentation plus nuancée qu’elle avait faite antérieurement de l’association. Dans sa décision, le Conseil suisse de la presse relève que les faits qui sous-tendent les reproches graves doivent être évoqués dans chaque article, tout du moins brièvement. Un lien dans la version en ligne de l’article ne suffit pas à attester des faits, car on ne peut pas partir du principe que les lecteurs vont cliquer dessus. Il faudrait en outre ajouter des liens vers l’article le plus pertinent et le plus actuel sur le sujet. Le Conseil suisse de la presse a admis la plainte partiellement.

Riassunto

Il quotidiano «Neue Zürcher Zeitung» (NZZ) ha definito l’Associazione zurighese Zentralwäscherei una «Plattform für Fundamentalisten und Terrorsympathisanten» (‘una piattaforma al servizio dei fondamentalisti e dei simpatizzanti del terrorismo’). Secondo la prassi del Consiglio svizzero della stampa si tratta di una grave accusa. L’associazione ha presentato un reclamo, indicando che NZZ aveva già pubblicato articoli critici nei suoi confronti. Tuttavia, riguardo all’articolo contestato non risulta chiaro a che contenuti si riferisca il reclamo. NZZ non ha infatti preso in considerazione una sua precedente pubblicazione, più articolata, dedicata alla Zentralwäscherei. Nella sua decisione, il Consiglio della stampa ricorda che i fatti rilevanti a sostegno di una grave accusa, devono comparire nell’articolo oggetto di reclamo, anche solo in maniera concisa. Un collegamento a un altro testo nella versione in linea non è sufficiente come prova fattuale, perché non si può dare per scontato che lettrici e lettori online lo aprano. Inoltre, se si rimanda a un approfondimento dell’articolo, questo dovrebbe essere il più aggiornato e pertinente sull’argomento.
Il Consiglio della stampa ha accolto parzialmente il reclamo.

 

I. Sachverhalt

A. Am 29. Mai 2024 erschien in der «Neuen Zürcher Zeitung» (NZZ) ein Artikel von Zeno Geisseler mit dem Titel «Radio Lora verbreitet auf 97,5 Megahertz ungestört linksextremen Terror». Im Beitrag geht es primär um Radio Lora und die Finanzierung des Senders durch öffentliche Gelder. Der Untertitel bezeichnet Lora als «Plattform für Freunde der RAF und für Feinde Israels». Im Lauftext heisst es, der Sender sei «Sprachrohr extremer demokratiefeindlicher Gruppierungen». Unvermittelt zieht der Journalist im Artikel einen Vergleich zwischen Radio Lora und der Zürcher Zentralwäscherei: «Radio Lora ist für den Äther das, was die Zürcher Zentralwäscherei für die Veranstaltungsszene ist: eine Plattform für Fundamentalisten und Terrorsympathisanten, finanziert von der Allgemeinheit.» Diese Aussage wird nicht weiter ausgeführt.

B. Am 6. Juni 2024 reichte der Verein Zentralwäscherei Beschwerde beim Schweizer Presserat ein. Der Verein macht geltend, der Artikel verletze die Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung») und die damit verbundene Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) sowie die Richtlinie 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar). Die Beschwerde moniert einzig die oben genannte Passage, wonach die Zentralwäscherei «eine Plattform für Fundamentalisten und Terrorsympathisanten» sei. Die Beschwerde richtet sich in erster Linie gegen den Print-Artikel, dem nicht zu entnehmen sei, worauf sich der Vorwurf beziehe. Der Beschwerdeführer verweist aber auch auf den Online-Artikel, in dem die besagte Passage mit einem Link zu einem früheren NZZ-Beitrag versehen ist. Jener NZZ-Artikel wurde am 24. Februar 2024 publiziert und trägt den Titel «Subventioniert, links – und antisemitisch? Die Zentralwäscherei bietet dem palästinensischen Netzwerk Samidoun eine Bühne und spricht von einer ‹inhaltsvollen Debatte›». Der Text befasst sich mit einer extern organisierten Veranstaltung in der Zentralwäscherei, bei der Mohammed Khatib aufgetreten war; Khatib ist der Europakoordinator des in Deutschland verbotenen palästinensischen Netzwerks Samidoun. Der Beschwerde ist ein weiterer NZZ-Artikel beigefügt, der darlegt, wie der Verein, aber auch die Politik auf den Auftritt von Khatib reagiert haben (Titel: «Stadtrat verschärft den Ton gegenüber der Zentralwäscherei», erschienen am 8. Mai 2024).

Der Beschwerdeführer bezeichnet die oben angeführte Passage als «als Tatsache dargestellter, extrem schwerer und rufschädigender Vorwurf», der weder der Wahrheit entspreche noch belegbar und absolut haltlos sei. Der Verein verweist darauf, dass der Auftritt von Mohammed Khatib politische Diskussionen mit der Stadt Zürich ausgelöst habe (sie ist Eigentümerin des Kultur- und Begegnungsraums, der vom Verein Zentralwäscherei betrieben wird). Im Zuge dieser Diskussionen seien dem Verein aber «nie Fundamentalismus- und vor allem keine Terrorunterstützungsvorwürfe gemacht» worden. Die Stadt Zürich habe «keine Verletzung der vertraglichen Bedingungen der Gebrauchsleihe» festgestellt. Der Verein seinerseits habe Verbesserungsbedarf im Kurationsprozess identifiziert und «Richtlinien für politisch motivierte Veranstaltungen» erlassen. Die Stadt Zürich habe die Richtlinien entgegengenommen «und die Sache wurde ohne weitere Konsequenzen ad acta gelegt». Der Verein schreibt, dass er «sich mehrfach dezidiert gegen jegliche Formen von Diskriminierung positioniert» habe. Ausserdem verfüge er über «Vereinsgrundsätze und Awareness-Konzepte, welche integrale Bestandteile der Raumnutzung durch Externe und den Verein selbst sind». Die NZZ habe darüber (Artikel vom 8. Mai 2024) ausführlich berichtet. Trotzdem platziere sie im beanstandeten Artikel den Vorwurf, die Zentralwäscherei sei eine Plattform für Fundamentalisten und Terrorsympathisanten, «als Tatsache gekleidet in einem Nebensatz». Damit verletze sie das Prinzip der Wahrheitssuche.

Ausserdem macht der Beschwerdeführer eine Verletzung der Richtlinie 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar) geltend. Der Journalist nenne keine Beweise, die seine Darstellung der Zentralwäscherei als «Plattform für Fundamentalisten und Terrorsympathisanten» belegen würden. Diese Passage weise auch «keinen Zusammenhang mit dem Rest des Artikels» auf. Die Zentralwäscherei sei gar nicht Thema des Artikels: Es erschliesse sich nicht, weshalb der «diffamierende Seitenhieb an dieser Stelle» vorkomme. Der Autor habe «den Kommentar absichtlich und täuschenderweise als Fakt publiziert», um einen «rufschädigenden Bezug zweier voneinander unabhängiger Akteure (von Radio LORA und dem Verein Zentralwäscherei) herzustellen». Der Beschwerdeführer ist der Meinung, der Autor habe «Fakten nicht von kommentierenden, kritisierenden Einschätzungen» getrennt, womit gegen Richtlinie 2.3 verstossen worden sei.

C. Am 10. Januar 2025 nahm die «Neue Zürcher Zeitung» Stellung dazu. Sie beantragt, die Beschwerde «vollumfänglich abzuweisen». Der Artikel werfe die «grundsätzliche Frage» auf, «ob und in welchem Ausmass staatliche Subventionen für lnstitutionen verwendet werden sollen, die Inhalte mit extremistischen Tendenzen verbreiten oder solchen Personen eine Plattform bieten». Diese Frage sei «von erheblichem Interesse für die Öffentlichkeit». Der Beitrag trage zur Meinungsbildung bei und rege eine notwendige Debatte an. Die Meinungsfreiheit schütze «auch zugespitzte Formulierungen», der Vergleich zwischen Radio Lora und Zentralwäscherei sei als solche zu betrachten und diene der journalistischen Einordnung. Die Formulierung «Plattform für Fundamentalisten und Terrorsympathisanten» stütze sich auf öffentlich bekannte Ereignisse und sei eine «zulässige Bewertung». Als Beleg führt die NZZ mehrere Punkte an: Zum einen den Auftritt des Europa-Koordinators von Samidoun (eine «in Deutschland als antisemitisch und extremistisch verbotene» Organisation, wie sie schreibt). Ferner «fehlende Transparenz und Nachbesserungsbedarf» seitens des Vereins Zentralwäscherei, der «die Veranstaltung nicht ausreichend dokumentieren» konnte und «erst nach massiver Kritik neue Kurationsrichtlinien eingeführt» habe. Ausserdem führt die Redaktion «wiederkehrende problematische lnhalte» an wie zum Beispiel den «umstrittene[n] Film ‹lsraelism›, der lsrael als Apartheidregime darstellt», der in der Zentralwäscherei gezeigt worden sei. Oder die Tatsache, dass die Zentralwäscherei «mehrfach mit dem Revolutionären Aufbau (…), einer Gruppierung mit extremistischen Tendenzen», zusammengearbeitet habe. Die NZZ konstatiert, die kritisierte Passage des Artikels basiere «auf einer fundierten Tatsachengrundlage, insbesondere dokumentierten Vorfällen und Berichten über Radio Lora und die Zentralwäscherei».

In ihrer Stellungnahme macht die NZZ ausserdem geltend, der Artikel verletze nicht die Richtlinie 2.3 der «Erklärung» (Trennung von Fakten und Kommentar). Der Beitrag sei zwar «nicht explizit als Kommentar oder Meinungsartikel gekennzeichnet», der sprachliche Kontext mache aber «den Meinungscharakter der Aussagen für den durchschnittlichen Leser klar ersichtlich». Die Redaktion verweist auf die ständige Praxis des Presserats, wonach die Trennung von Fakten und Kommentar auch ohne formale Kennzeichnung gewahrt bleibe, solange keine absichtliche lrreführung vorliege und die Faktenbasis transparent dargelegt sei.

D. Am 6. März 2025 teilte der Presserat den Parteien mit, die Beschwerde werde von der 1. Kammer behandelt, bestehend aus Susan Boos, Präsidentin, Luca Allidi, Catherine Boss, Ursin Cadisch, Stefano Guerra, Erik Schönenberger und Casper Selg. Erik Schönenberger trat von sich aus in den Ausstand.

E. Die 1. Kammer des Presserats hat die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 10. Juli 2025 sowie auf dem Korrespondenzweg verabschiedet.

II. Erwägungen

1. Ziffer 1 der «Erklärung» und die damit verbundene Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) verpflichten Journalistinnen und Journalisten, sich an die Wahrheit zu halten und die Wahrheitssuche zum Ausgangspunkt ihrer Informationstätigkeit zu machen. Die Wahrheitssuche setzt unter anderem die Beachtung aller verfügbaren und zugänglichen Daten voraus. Der beschwerdeführende Verein Zentralwäscherei ist der Meinung, dass die Formulierung, die Zentralwäscherei sei eine «Plattform für Fundamentalisten und Terrorsympathisanten» einen schweren und pauschalen Vorwurf darstelle, der weder der Wahrheit entspreche noch belegbar sei. Die NZZ hingegen vertritt die Ansicht, die kritisierte Passage basiere «auf einer fundierten Tatsachengrundlage, insbesondere dokumentierten Vorfällen und Berichten über Radio Lora und die Zentralwäscherei».

Im ganzen Print-Artikel «Radio Lora verbreitet auf 97,5 Megahertz ungestört linksextremen Terror» geht es jedoch nicht um die Zentralwäscherei, sondern nur um Radio Lora. Der Beitrag enthält keinerlei Informationen zur Zentralwäscherei oder zu ihren Tätigkeiten, man findet auch nichts Relevantes zum Verständnis der umstrittenen Passage. Bei der Aussage weiss man nicht, auf welchen konkreten Tatsachen sie beruht, die Leser und Leserinnen werden im Dunkeln gelassen. Der Journalist kann nicht davon ausgehen, dass seine zugespitzte, isolierte Formulierung verstanden werden kann. Es hilft auch nicht, dassdie «Neue Zürcher Zeitung» in ihrer Stellungnahme Begründungen liefert, die auf früher publizierte NZZ-Artikel (die Beiträge vom 24. Februar und vom 8. Mai 2024) verweisen. Und sie verweist darauf, dass der Text auf allgemeinen, «öffentlich bekannten Ereignissen» basiere, doch kann nicht davon ausgegangen werden, dass den LeserInnen die früheren Beiträge zugänglich respektive präsent sind. Zudem gibt die kritisierte Passage nicht den aktuellen Wissensstand der Redaktion wieder. In ihrem Beitrag vom 8. Mai 2024 hatte die NZZ kritisch, aber differenziert über das «Massnahmenpaket» berichtet, dort wurde etwa erwähnt, dass der Verein beschlossen hat, bei politisch motivierten Veranstaltungen bei Bedarf intervenieren zu können. Dieser Artikel widerspricht der apodiktischen Darstellung, die Zentralwäscherei sei «eine Plattform für Fundamentalisten und Terrorsympathisanten». Im am 29. Mai 2024 publizierten Artikel hat die NZZ ihre früher publizierte, differenziertere Darstellung nicht berücksichtigt und verletzt damit Ziffer 1 der «Erklärung» und die damit verbundene Richtlinie 1.1.

Auch in der Online-Version des Artikels finden sich keine erläuternden Fakten zur kritisierten Passage. Allerdings wird die Passage mit einem Link versehen, der zum NZZ-Beitrag vom 24. Februar 2024 führt. Das reicht aber als Faktenbeleg nicht aus, weil die NZZ nicht davon ausgehen kann, dass die Onlineleserund -leserinnen den Link auch anklicken. Zudem müsste der relevanteste und aktuellste Beitrag zum Thema verlinkt werden – in diesem konkreten Fall wäre dies der aktuellere Artikel vom 8. Mai 2024 (der dann aber eben die verkürzte apodiktische Darstellung gar nicht stützt). Abgesehen davon müssen die relevanten Fakten, die einen schweren Vorwurf belegen, im Beitrag selber – mindestens kurz und knapp – erwähnt werden.

Im vorliegenden Fall wirkt der gesetzte Link sogar irreführend, weil er nur auf den älteren Artikel vom Februar verweist, den aktuelleren Beitrag (vom 8. Mai 2024), der die erhobenen Vorwürfe eher relativiert, gar nicht erwähnt.

2. Zur monierten Verletzung von Richtlinie 2.3 (Trennung von Fakten und Kommentar): Es handelt sich bei der kritisierten Passage nicht um eine erkennbare Meinungsäusserung, sondern um eine Tatsachenbehauptung (siehe oben). Richtlinie 2.3 ist somit nicht anwendbar.

3. Der Presserat erinnert daran, dass Journalistinnen und Journalisten verpflichtet sind, betroffene Personen und gesellschaftliche Akteure zu schweren Vorwürfen anzuhören und ihre Aussage im Bericht zumindest kurz wiederzugeben (Richtlinie 3.8 zur «Erklärung»). Einer Organisation vorzuwerfen, sie sei «eine Plattform für Fundamentalisten und Terrorsympathisanten», muss als ein schwerer Vorwurf betrachtet werden. Der Beschwerdeführer hat jedoch keine Verletzung von Richtlinie 3.8 geltend gemacht, weshalb sich der Presserat nicht weiter dazu äussert.

III. Feststellungen

1. Der Presserat heisst die Beschwerde gegen die «Neue Zürcher Zeitung» teilweise gut.

2. Die NZZ hat mit dem Artikel «Radio Lora verbreitet auf 97,5 Megahertz ungestört linksextremen Terror» vom 29. Mai 2024 die Ziffer 1 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (Wahrheit) und die Richtlinie 1.1 (Wahrheitssuche) verletzt.

3. Darüber hinausgehend wird die Beschwerde abgewiesen.