Nr. 49/2021
Diskriminierung

(X. c. «Inside Paradeplatz»)

Zusammenfassung

Der Presserat weist eine Beschwerde gegen das Finanzportal «Inside Paradeplatz» knapp ab. Dabei hatte der Presserat zu beurteilen, wo die Grenze zu ziehen ist zwischen dem Recht auf freie Meinungsäusserung und dem Diskriminierungsverbot gemäss Journalistenkodex.

Konkret ging es um den im Februar 2021 publizierten Gastbeitrag «Kein Platz mehr für Juden im Saas Tal» von PR-Berater Klaus J. Stöhlker. Die Beschwerdeführerin monierte, der Text verstosse gegen den Kodex, weil Stöhlker unzählige Anspielungen auf «die Juden» mache und gängige Klischees und Stereotype wiederhole.

Der Presserat kam zum Eindruck, dass Stöhlker einige der von ihm aufgezählten antisemitischen Stereotype teilt, da er sich an keiner Stelle von ihnen distanziert. Dennoch weist das medienethische Gremium die Beschwerde ab. Dies aus drei Gründen: Erstens sieht sich der Presserat nicht als Hüter der «politischen Korrektheit». Zweitens gehört die Verteidigung des Rechts auf freie Meinungsäusserung zu seinen vornehmsten Aufgaben. Drittens sieht er das Diskriminierungsverbot jeweils nur dann als verletzt an, wenn die diskriminierenden Äusserungen eine gewisse Mindestintensität erreichen. Die von Stöhlker reproduzierten Klischees erreichen diese Mindestintensität knapp nicht, auch wenn sein Text – gewollt oder ungewollt – diskriminierende Züge trägt. Allerdings verknüpft der Presserat die Abweisung der Beschwerde mit einer Empfehlung an «Inside Paradeplatz»: Das Portal soll künftig bei Diskriminierungsfragen mehr journalistische Sorgfalt walten lassen.

Résumé

De justesse, le Conseil de la presse rejette une plainte contre le site financier «Inside Paradeplatz». En l’occurrence, le Conseil de la presse devait déterminer où se situait la frontière entre le droit à la libre expression d’une opinion et l’interdiction de discriminer selon le code des journalistes.

En l’espèce il s’agit de la contribution extérieure du conseiller en relations publiques Klaus J. Stöhlker publiée en février 2021 et intitulée «Plus de place pour les Juifs dans la Vallée de Saas». Pour la plaignante, le texte viole le code parce que Stöhlker fait de nombreuses allusions aux «Juifs» et reprend des clichés et des stéréotypes courants.

Pour le Conseil de la presse, Stöhlker semble partager certains stéréotypes antisémites qu’il énumère, dans la mesure où il ne se distancie nulle part. Pourtant l’organe déontologique rejette la plainte. Et cela pour trois raisons: Tout d’abord le Conseil de la presse ne se considère pas comme le gardien du «politiquement correct». Deuxièmement la défense du droit à la libre expression d’une opinion est une de ses tâches les plus nobles. Enfin il considère que l’interdiction de discriminer n’est violée que si les propos discriminatoires atteignent un certain degré d’intensité. Les clichés reproduits par Stöhlker n’atteignent juste pas un tel degré d’intensité, même si son texte – de manière volontaire ou pas – contient des aspects discriminatoires. Toutefois le Conseil de la presse combine le rejet de la plainte avec une recommandation à «Inside Paradeplatz»: le site est prié de faire preuve à l’avenir de plus de diligence journalistique sur les questions de discrimination.

Riassunto

Il Consiglio della stampa respinge di misura il reclamo del portale finanziario «Inside Paradeplatz». Il Consiglio della stampa era stato chiamato a giudicare dove tirare la linea di confine tra il diritto d libertà di opinione e il divieto di discriminazione secondo il codice giornalistico.

In concreto si trattava dell’opinione pubblicata nel febbraio 2021 «Non c’è più posto per gli ebrei nella Valle di Saas» a firma del consulente di pubbliche relazioni Klaus J. Stöhlker. La reclamante ammoniva che il testo – per via delle innumerevoli allusioni agli ebrei da parte di Stöhlker e dei continui riferimenti a clichés e stereotipi – violasse il codice deontologico.

L’impressione del Consiglio della stampa è che Stöhlker condivida alcuni di questi stereotipi antisemti, dato che in nessun punto del testo se ne distanzia. Ciò malgrado il gremio dell’etica dei media respinge il reclamo e lo fa per tre motivi. Primo, il Consiglio della stampa non si erge a difensore del «politicamente corretto». Secondo, la difesa del diritto della libertà di espressione appartiene ai suoi compiti principali. Terzo, vede una violazione del divieto di dicriminazione solo nel caso in cui le affermazioni discriminanti raggiungono una certa intensità minima. I clichés riprodotti da Stöhlker non raggiungono questa intensità minima solo per poco, anche se il suo testo – volente o nolente – presenta dei tratti discriminatori. In ogni caso il Consiglio della stampa abbina il respingimento del reclamo ad una raccomandazione rivolta a «Inside Paradeplatz»: in futuro, nel caso di questioni discriminatorie, dovrebbe far valere una maggiore accuratezza giornalistica.

I. Sachverhalt

A. Am 13. Februar 2021 veröffentlichte das Finanzportal «Inside Paradeplatz» einen Artikel mit dem Titel «Kein Platz mehr für Juden im Saas Tal». Autor ist der als PR-Berater bekannte Klaus J. Stöhlker. Der Beitrag handelt vom Umgang verschiedener Schweizer Gemeinden mit jüdischen Touristen und Einheimischen. So hätten beispielsweise die Einwohner der Walliser Gemeinde Saas Fee jüngst «erneut ein Zeichen gesetzt, dass jüdische Touristen in der Schweiz nicht unbedingt willkommen sind», indem sie verhindert hätten, dass auf dem Dach eines Parkhauses ein jüdisches Bethaus errichtet wird. In der Folge habe keine andere Gemeinde im Saastal den ferienhungrigen Juden ersatzweise Gelände zur Verfügung stellen wollen.

Weil er seit 50 Jahren in Zürich lebe, seien ihm die Schweizer Juden nicht unbekannt, schreibt Stöhlker. Im Zürcher Quartier Enge wohnten «viele, oft sehr reiche Juden». Jeder Raum ihrer stattlichen Villen sei von einer Pracht, wie sie auch am reichen Zürichberg immer weniger anzutreffen sei. «Diese Juden sind sehr höflich und sehr selbstbewusst. Sie kommen aus aller Welt in unsere Berggebiete und erwarten, dass man auf sie eingeht. Niemand sollte erwarten, dass sie auf uns eingehen.» Denn: Sie ässen nur koscher, kauften keine Wanderschuhe, und die Frauen trügen gerne Vollkörper-Badeanzüge. Zudem hätten die Orthodoxen «oft viele Kinder, 6 bis 12, und treten meist rudelweise auf», sie mieden den Kontakt mit Schweizerinnen und Schweizern und gäben Frauen nicht die Hand. «Wer denkt da nicht an die kommende Abstimmung vom 7. März, wo das Schweizer Volk entscheiden soll, welches Mass an körperlicher Verhüllung in der Schweiz angemessen sein soll?»

Bis vor 50 Jahren sei das Wallis erzkatholisch gewesen, so Stöhlker. «Ein bekennender Jude hatte dort keine Überlebenschance.» Zwar spiele der kulturelle Konflikt im Berufsleben heute keine Rolle mehr; im Privatleben aber seien die Mauern hoch geblieben. Allerdings werde sich das bald ändern. «Jetzt, wo unten in Visp die Lonza Medikamente für Moderna gegen Covid-19 für die ganze Welt herstellt, wo tausende junger Menschen, darunter viele Wissenschaftler aus aller Welt, sich dort fest niederlassen, wird die alte Walliser Kultur von der neuen Industriekultur überrannt. Ganz wie in Zürich.» Dann gehörten die Konflikte «zwischen der Grüezi- und der Koscher-Kultur» bald der Vergangenheit an, auch wenn es vielleicht ein wenig dauere, wolle im Wallis doch niemand das Wort Grüezi hören. Dort heisse es «Güätun Tag».

B. Am 27. Februar 2021 erhob eine beruflich als Rechtsanwältin tätige Privatperson Beschwerde beim Presserat und monierte einen Verstoss gegen Ziffer 8 der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» (nachfolgend «Erklärung»). Autor Stöhlker mache in seinem Artikel unzählige Anspielungen auf «die Juden» und wiederhole gängige Klischees und Stereotype, etwa über den Reichtum und die Macht jüdischer Mitbürgerinnen. Zudem unterscheide Stöhlker stereotypisiert zwischen angepassten und unangepassten «Juden».

Damit verstärke er antisemitische Ressentiments und Vorurteile, was umso gravierender sei, als es sich bei «Inside Paradeplatz» um ein von vielen wichtigen Akteurinnen und Akteuren des Schweizer Finanzplatzes regelmässig gelesenes Medium handle und nicht um einen obskuren rechtsextremen Blog mit beschränkter Reichweite. Zudem sei der Autor ein renommierter PR-Berater, was die Wirkung des Textes noch verstärken dürfte. «Die Vergangenheit hat gezeigt, wozu das Zementieren solcher festgefahrenen und herabsetzenden Bilder führen kann», schreibt die Beschwerdeführerin. «Wir wissen nie, wann den Worten Taten folgen.»

Auch wenn «Inside Paradeplatz» bereits eine «Gegendarstellung» des Präsidenten des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG), Ralph Lewin, veröffentlicht habe, der die problematischen Stellen benenne und kritisiere, müssten sich die Herausgeber des Portals entschuldigen und den Text Stöhlkers zurückziehen, so die abschliessende Forderung der Beschwerdeführerin.

C. Am 15. April 2021 antwortete «Inside Paradeplatz» auf die Beschwerde mit einer von Klaus J. Stöhlker verfassten Stellungnahme, da dieser als Autor der Rubrik «Standpunkt» auf dem Portal seine freie Meinung geäussert habe. Stöhlker schreibt, es sei keinesfalls seine Absicht gewesen, antisemitische Ressentiments zu verbreiten. «Mein Artikel war vielmehr gedacht, auf antisemitische Ereignisse und Vorteile in der Schweiz hinzuweisen» [gemeint sind wohl Vorurteile]. Weil es die meisten Schweizer Medien vermieden, «jüdische Themen» aufzugreifen, blieben Aggressionen gegen Angehörige dieser Religion zumeist im Untergrund, wo sie weiter Unruhe schafften. «In diesem Sinne habe ich die Menschenwürde von Angehörigen der jüdischen Religion mehr verteidigt als infrage gestellt.» So habe er keine diskriminierenden Anspielungen gemacht, sondern auf diskriminierende Vorgänge aufmerksam gemacht.

Im Begleitschreiben weist der Chefredaktor von «Inside Paradeplatz» darauf hin, dass Ralph Lewin seine Stellungnahme zunächst auf seiner eigenen Homepage publiziert habe, worauf seine Redaktion dem SIG vorgeschlagen habe, den Text in voller Länge zu publizieren. Der Gemeindebund sei damit einverstanden gewesen.

D. Der Presserat wies die Beschwerde seiner 1. Kammer zu, der Susan Boos (Präsidentin), Luca Allidi, Dennis Bühler, Ursin Cadisch, Michael Herzka, Francesca Luvini und Casper Selg angehören.

E. Die 1. Kammer des Presserats beriet den Fall an ihrer Sitzung vom 22. Juni 2021 sowie auf dem Korrespondenzweg.

II. Erwägungen

1. Die Beschwerde ist fristgerecht eingegangen. Zwar kann der Presserat selbst im Falle ihrer Gutheissung nicht verfügen, dass sich die Redaktion wie von der Beschwerdeführerin gefordert für den Abdruck des fraglichen Textes entschuldigt; ebenso wenig kann er verlangen, dass die Redaktion den Text zurückzieht. Sehr wohl überprüfen kann der Presserat hingegen, ob «Inside Paradeplatz» gegen Ziffer 8 der «Erklärung» verstossen hat, wie es die Beschwerdeführerin geltend macht. Er tritt auf die Beschwerde ein.

2. Für die Prüfung der Beschwerde nicht von Belang ist der von «Inside Paradeplatz» vier Tage nach Stöhlkers Artikel publizierte Beitrag von SIG-Präsident Ralph Lewin, bei dem es sich im Übrigen nicht wie von der Beschwerdeführerin vermutet um eine Gegendarstellung im presserechtlichen Sinne handelt, sondern um einen offenen Brief. Dennoch begrüsst der Presserat den Abdruck des Beitrags, spricht daraus doch der von der Redaktion verspürte Wunsch, dem Text Stöhlkers eine andere Sicht entgegenzusetzen.

3. Ziffer 8 der «Erklärung» verlangt, dass Journalistinnen und Journalisten in ihrer Berichterstattung auf diskriminierende Anspielungen verzichten. Dieses Gebot wird in Richtlinie 8.2 konkretisiert: «Die Nennung der ethnischen oder nationalen Zugehörigkeit, der Herkunft, der Religion, der sexuellen Orientierung und/oder der Hautfarbe kann diskriminierend wirken, insbesondere wenn sie negative Werturteile verallgemeinert und damit Vorurteile gegenüber Minderheiten verstärkt. Journalistinnen und Journalisten wägen deshalb den Informationswert gegen die Gefahr einer Diskriminierung ab und wahren die Verhältnismässigkeit.»

In seinem auf der Onlineplattform «Inside Paradeplatz» erschienenen Artikel referiert Klaus J. Stöhlker über tatsächliche und vermeintliche diskriminierende Vorgänge, denen Jüdinnen und Juden in der Schweiz ausgesetzt sind. Dabei reproduziert er selbst Klischees und Stereotype. Und weil er sich von ihnen nicht distanziert, entsteht der Eindruck, dass der Autor einige dieser Stereotype teilt.

Allerdings sieht der Presserat gemäss seiner langjährigen und oft bestätigten Praxis das Diskriminierungsverbot nur dann als verletzt an, wenn die verbreiteten abwertenden Äusserungen gegen eine Gruppe oder ein Individuum eine gewisse Mindestintensität erreichen (vgl. u.a. die Stellungnahmen 15/2013, 7/2010, 37/2009 und 16/2007). Der Presserat, so die in Stellungnahmen mehrfach wiederholte Aussage, sieht sich selbst nicht als Hüter der «politischen Korrektheit».

Nach Ansicht des Presserats erreicht Stöhlkers Artikel die für eine Verletzung des Kodex notwendige Mindestintensität knapp nicht, auch wenn er – gewollt oder ungewollt – diskriminierende Züge trägt. Zu diesem Schluss gelangt das medienethische Gremium nicht zuletzt im Bewusstsein, dass die Verteidigung des Rechts auf freie Meinungsäusserung gemäss der Präambel der «Erklärung» zu seinen Hauptaufgaben gehört.

Dennoch rät der Presserat der Redaktion von «Inside Paradeplatz», bei Artikeln über Diskriminierungserfahrungen von Gruppen oder Individuen in Zukunft erhöhte journalistische Sorgfalt an den Tag zu legen. Das gilt selbstredend auch für eine Rubrik wie den «Standpunkt», gilt die redaktionelle Verantwortung doch auch für Kolumnen freier Autorinnen und Autoren.

III. Feststellungen

1. Der Presserat weist die Beschwerde ab.

2. «Inside Paradeplatz» hat mit dem Artikel «Kein Platz mehr für Juden im Saas Tal» vom 13. Februar 2021 nicht gegen Ziffer 8 (Diskriminierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen.

3. Der Presserat empfiehlt der Redaktion jedoch, künftig erhöhte journalistische Sorgfalt walten zu lassen, wenn es um Diskriminierungsfragen geht.